Türchen 18

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Grinch

Patrick mochte den Winter nicht. Es war kalt, dunkel und ungemütlich. Ganz schlimm war für ihn der Dezember; jeder hetzte sich um Geschenke und setzte ein Lächeln auf, da schließlich bald das Fest der Liebe anstand und verheimlichten so ihre Winter-Traurigkeit, die so gut wie jeder besaß, sobald das kindliche Denken einmal verschwunden war.

Jedes Jahr wollten seine Eltern sich toppen; ein noch größerer Weihnachtsbaum, eine noch größere Feier, noch mehr Geschenke für ihren einzigen Sohn. Dabei verdiente Patrick mittlerweile selbst Geld und wünschte sich überhaupt nichts – außer Ruhe, die ihm nicht gewährt wurde. Er war schon kurz davor den ganzen Dezember zu reisen, aber seine Eltern wären tottraurig, wenn er nicht bei ihnen sein konnte in der Adventszeit und zu Weihnachten. Also zog er, so wie die letzten drei Jahre, seitdem er eine eigene Wohnung hatte, vorübergehend wieder bei ihnen ein.

Gerade war der zweite Advent und sie hatten ihr ganzes Wohnzimmer voller Gäste. Auf der Kochinsel in der Küche standen verschiedene Speisen; Salate, selbstgebackene Brote und Baguettes, Finger Food, Sushi (von welchem er eventuell schon etwas gestohlen hatte, obwohl das Buffet noch nicht eröffnet wurde) und Kekse und Törtchen. Auf dem Herd waren mehrere Liter Glühwein aufgeheizt, an dem Patrick sich sicherlich ebenfalls oft bedienen würde, damit er diesen Abend hinter sich bringen konnte. Mittlerweile hatte er den Überblick verloren, wen seine Eltern alles einluden; mindestens die Hälfte war ihm völlig fremd – und er würde sich nicht anstrengen, diese kennenzulernen. Er machte er so wie jedes Jahr; er lungerte herum, hörte Gesprächen zu, lästerte gedanklich über die aufgesetzten Gestalten ab und ging früher oder später auf sein Zimmer und versuchte zu schlafen, obwohl unten immer noch eine sehr anstrengende Geräuschkulisse herrschte.

»Ah, Patrick«, sagte seine Mutter freudig und hakte sich bei ihm ein, um ihn in den Eingangsbereich zu führen. »Ich wollte dir da jemanden vorstellen. Das ist Manuel, seine Mutter habe ich durch die Arbeit kennengelernt. Sie müsste schon irgendwo hier sein, nur ich weiß nicht wo. Aber das ist auch nicht so wichtig, denn Manuel ist single.« Sie wackelte mit den Augenbrauen und strich ihm sein bordeauxrotes Hemd glatt, bevor sie vor einem etwas größeren, schlanken Mann stehen blieben.

Seine Mutter hatte schon mehrere Männer versucht mit ihm zu verkuppeln, wobei es jedes Mal kläglich schieflief. Irgendwann regte es ihn nur noch auf, doch dieser – wie hieß er gleich – Manuel gefiel ihm. Er hatte lange, braune Haare, die er in einem unsauberen Dutt trug und dunkelgrüne Augen, in denen er sich sofort verlor. Vielleicht konnte er diese Feier doch interessant machen.

»Okaaaay, peinlich«, kicherte Patrick und kratzte sich am Kopf, als seine Mutter sie allein ließ. »Ich bin Patrick, schön dich kennenzulernen... denke ich.«
»Schön dich kennenzulernen, Patrick«, sagte er und lächelte ihn an. »Denke ich.«
Sie liefen gemeinsam zurück ins Wohnzimmer, da das Buffet eröffnet wurde. Während des Essens verlor Patrick ihn ein wenig aus den Augen – dieses Jahr waren es wirklich zu viele Gäste. Nachdem er fertig war und fast das ganze Sushi für sich beansprucht hatte, füllte er zwei Tassen mit Glühwein und ging auf die Suche nach dem langhaarigen Schönling.
»Glühwein?«, fragte er Manuel, als er ihn am Kamin sitzen sah.
»Nein danke, ich trinke nicht«, lächelte er und stand auf. »Wollen wir eine Runde gehen? Es ist ganz schön warm hier drin... und eng.«
»Aber draußen ist es kalt«, meckerte Patrick und stellte eine Tasse auf den Kaminsims, bevor er von Manuel doch überredet wurde.

Schweigend liefen sie durch die eisige Dunkelheit, die nur von den Straßenlaternen und den Lichterketten der Häuser hier und da aufgehellt wurde. Patrick nippte immer mal wieder an seinem Glühwein und erfreute sich über das wohlig warme Brennen des Alkohols, welcher gleichzeitig seinen Körper von innen erwärmte. Er war in seinen Gedanken versunken, die sich einzig und allein um Manuel kreisten. Er empfand eine starke Anziehungskraft ihm gegenüber, obwohl er nichts über ihn wusste. Das Verlangen war stark, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen, aber er hatte Angst, ihn zu überstürzen. Komischerweise war er jedes Mal darauf angesetzte, harmlos mit ihm zu Flirten, obwohl er sonst nie der Typ war dazu. Er brachte ihn um seinen Verstand.
»Eigentlich war es eine gute Idee spazieren zu gehen, die Weihnachtsmusik und die ganzen bunten Lichter geben mir Kopfschmerzen«, murmelte Patrick und könnte sich kurz darauf selbst verfluchen, sich dafür entschieden zu haben, sowas negatives anzusprechen.
»Magst du kein Weihnachten?«, fragte Manuel belustigt.
»Ich hasse es«, gab er ehrlich zu und trank aus Frust einen Schluck aus seiner Tasse.
»Na aber der Glühwein scheint dir ja trotzdem zu munden«, lachte Manuel auf. »Das kann ich gar nicht verstehen. Weihnachten ist doch so warm und herzlich. Man verbringt Zeit mit der Familie, man kann so viel Essen wie man will und wird nicht dumm angemacht, weil das jeder tut.«
»Ach, das ist doch alles nur aufgesetzt. Und dann rutscht man ab Januar in ein schönes Tief, bis es wieder wärmer und heller wird«, grummelte Patrick.
»Ich glaube dir fehlt jemand, der dir zeigen kann, wie schön Weihnachten wirklich ist«, hauchte Manuel und kam ihm unabsichtlich näher, sodass sich ihre Arme fast streiften.
»Ach ja?«, fragte Patrick und stoppte.

Auch Manuel blieb stehen und drehte sich zu ihm hin, sodass sie sich in die Augen schauten. Eigentlich war das gar nicht seine Intension gewesen, als Patrick meinte, dass der heutige Abend doch noch spaßig werden konnte. Aber er schaffte es nicht mehr, sich zurückzuhalten und kam Manuel noch einen Schritt näher, um ihre Lippen zu vereinen.

»Wow«, sagte er kurze Zeit später, als er wieder von ihm abgelassen hatte und wurde rot. »Das hatte ich eigentlich nicht vor, ich hoffe ich habe dich nicht überrumpelt.«
»Was glaubst du, warum ich mit dir rausgehen wollte?«, fragte Manuel mit einem schiefen Grinsen. »Wir konnten doch schon in eurem Flur nicht die Augen voneinander lassen.«
»Und – und jetzt?«, fragte Patrick überfordert.
»Und jetzt hast du mich wohl an der Backe«, sagte Manuel grinsend. »Ich werde dir zeigen, dass Weihnachten nicht aufgesetzt sein muss. Und wenn du dann immer noch nicht überzeugt bist, dann weiß ich auch nicht.«
»Dann bin ich der Grinch«, sagte Patrick und konnte kaum seine Freude zurückhalten, dass Manuel mehr Zeit mit ihm verbringen wollte.
»Ja, definitiv«, lachte er und lief weiter. »Jetzt aber möchte ich, dass du etwas erzählst von dir. Es ist sonst wirklich unhöflich mich zu küssen und mich im Dunkeln tappen zu lassen. Es ist schon gefährlich genug, mich auf einen Weihnachts-Hasser einzulassen.«

Patrick lachte auf und war sich sicher; Manuel und er würden sich blendend verstehen. Auch, wenn er es vielleicht nicht schaffte, ihn von Weihnachten überzeugen zu können.

All I want for Christmas is You | kürbistumor adventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt