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--Yoongi Pov--

Ein erleichtertes Lächeln huschte über Yoongis Gesicht, als er sein neues Smartphone auf die Bettdecke sinken ließ und sich verlegen das Kissen über den Kopf zog.
Stunde um Stunde war er barfuß in seinem Zimmer auf und ab getigert. War dabei über sämtliche, schmutzige Wäschestücke und Schüsseln mit eingetrockneten Nudelsuppen-Resten gestolpert und hatte, wie von Sinnen, auf eine Antwort gewartet.
Dass Jimin, anders als er selbst, mitten in der Nacht vermutlich schlief, hatte ihn dabei beinahe wahnsinnig werden lassen.
Immerhin hatte er tagelang versucht, unbemerkt ein Handy zu stehlen, ehe er Namjoon schließlich zerknirscht darum gebeten hatte, eine Nachricht von seinem Handy aus schreiben zu dürfen.
Eigentlich hatte Funkstille zwischen ihnen geherrscht, seit dem Namjoon in der Clubnacht zurückgekommen war, um nach ihm zu suchen und ihn schließlich gegen seinen Willen nach Hause gebracht hatte.
Yoongis schlechtes Gewissen, sich dermaßen undankbar seinem besten Freund gegenüber verhalten zu haben, steigerte sich beinahe ins Unermessliche, als Namjoon mit einem blauen Auge die Tür öffnete und abschätzig die Augenbrauen hob.
„Bist du hier um mich weiter zu verprügeln, oder was verschafft mir die Ehre?“, hatte er Yoongi missmutig begrüßt, ihn schließlich aber doch rein gelassen.
„Du bist ein Idiot, weißt du das? Nimm das scheiß Geld und geh dir ein Handy kaufen, verdammt. Kannst es mir ja zurückgeben, wenn du deinen Durchbruch mit der Musik hast.“
Kein bisschen sarkastisch redete Namjoon auf ihn ein, ehe er ihm all sein Geld aus der kleinen Simpsons Spardose in die Hand gedrückt hatte.
Trotzdem hatte Yoongi sich ein sarkastisches Lachen nicht verkneifen können.
Immerhin war es stets Namjoon gewesen, der mit allem mehr Erfolg gehabt hatte, als er selbst. Obwohl sie fast im selben Alter waren, hatte Namjoon seinen Uniabschluss bereits bald in der Tasche. Außerdem arbeiteten beide seiner Eltern als Lehrer in renommierten Privatschulen und so hatte er nie erfahren müssen was es hieß, finanziell komplett auf sich alleine gestellt zu sein.
Er hatte bereits eine eigene, schicke Wohnung am Stadtrand und arbeitete viel an seiner Musik, in einem kleinen Tonstudio, welches seine Eltern ihm gemietet hatten.
Außerdem war er im Bereich social media deutlich erfolgreicher was seine Musik betraf, als Yoongi. Trotzdem glaubte er immer fest an Yoongis Talent und unterstützte ihn, wo es nur ging. Dass Namjoon eher einer dieser Menschen war, welche sich nur zu gerne unter- statt überschätzten, machte sein typisches Grübchen Strahlen nur noch sympathischer.
So hatte Yoongi sich an diesem Abend ausnahmsweise tatsächlich für die großzügige Geste seines besten Freundes bedankt, ehe er schnellst möglich mit einer der städtischen U- Bahnen nach Hause gefahren war.
Dass er sich Jimins Handynummer unterbewusst gemerkt haben musste, erstaunte Yoongi ebenso sehr, wie die Tatsache, dass er vor Nervosität zu schwitzen begonnen hatte, als er Jimin schließlich anrief.
Kein Tag war vergangen, an dem Yoongi nicht an den jungen Mann gedacht hatte und nun war es dessen Stimme, die zu ihm sprach. Noch dazu eine sehr schöne, wenn auch leise und schüchterne Stimme.
Beschämt knurrte er in sein Kissen, als er sich bei dem Gedanken an Jimins Stimme selbst ertappte und sich fragte, seit wann er einer Männerstimme derart hohe Gewichtung verlieh.
So richtig verstand er sich selbst nicht mehr, aber jeder Versuch von den Gedanken an den Fremden los zu kommen, misslang ihm.
Als Yoongi sich das Kissen wieder vom Gesicht zog, war es bereits früh am Morgen.
Golden spiegelte sich das aufgehende Licht in den Fenstern der umliegenden Häuser und Nebelschwaden der kühlen Nacht verhedderten sich in all den offenliegenden Strommasten der Gegend. Entfernt berührten bereits die ersten Strahlen der Sommersonnen Seouls Skyline.
Es würde ein erbarmungslos warmer Tag werden, so wie bereits die letzten Tage den Einwohnern kaum Möglichkeiten der Abkühlung geboten hatten und Yoongi hasste nichts mehr, als die grelle Helligkeit und die erdrückende Hitze jener Tage.
Ächzend schmiss er sich in den verschwitzten Laken hin und her, strampelte sich die Decke von den nackten Beinen und setzte sich schließlich auf.
Wieder ein Semesterferientag an dem nichts geplant war. Wieder ein Tag, der ereignislos träge an ihm vorbei ziehen würde und ein weiterer Tag, an dem er sich nur schwerfällig aus dem Bett quälen konnte.
Normalerweise würde der Sommer seine Melancholie an die Spitze des erträglichen treiben, doch obwohl die Sonne es nicht schaffte, sein Gemüt zu erhellen, war da jemand, der auf unerklärliche Weise ebenso viel Strahlkraft besaß wie sie.
Jemand, der die kleine Benachrichtigungslampe Yoongis Handy zum Glühen brachte.
Sie war ihm nur deswegen aufgefallen, weil das Smartphone mit einem ungesund dumpfen Laut auf dem grünen Teppichboden aufgekommen war, als Yoongi die Decke von sich gestrampelt hatte.
„Scheiße!“, zischte er leise und stürzte dem kleinen Gerät hinterher in der Angst, es hätte bereits wenige Stunden in seinem Besitz schon Schäden davon getragen. Nach einer kurzen Inspektion, die nichts Auffälliges ergab, öffnete er Jimins Nachricht und stockte.
Ähnlich wie das Handy zuvor, rutschte er erschrocken vom Bett auf den Boden und verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als er mit dem Hintern auf einem seiner Controller landete.
Ungeduldig setzte er sich daneben und zog die Beine dicht an seinen Körper.
Jimin hatte ihm ein Bild gesendet und es bedurfte nicht einmal einer Nachricht dazu um zu wissen, dass es sich wirklich um den jungen Mann handelte, mit dem Yoongi bereits einige Wochen schrieb.
Aus verschlafenen, treuen Augen, sah Jimin über den Rand einer schlichten, weißen, Bettdecke in die Kamera. Seine Lippen waren halb vom Stoff verdeckt, ebenso wie sein Kinn und sein Hals. Lediglich die leicht geröteten Wangen, die kleine Nase und das dunkelbraune Haar waren neben den ausdrucksstarken Augen zu sehen. Einige wirre Strähnen hatten sich in seine Stirn verirrt und man erkannte deutlich, dass er gerade erst aufgestanden zu sein schien, so wie Yoongi selbst.
Wirklich aussagekräftig war das Selfie nicht. Man bekam nicht viel von Jimins Gesicht, oder der umliegenden Umgebung zu sehen und auch kein Lächeln oder ein anderer, intensiverer Gesichtsausdruck wurde gezeigt. Dennoch zogen die besonderen Augen Yoongi binnen Sekunden in ihren Bann.
Monotones Rauschen stellte sich genau in dem Moment, in seinen Ohren ein, als er sich fragte, wann sich seine Gefühle, dem jungen Mann gegenüber, so drastisch verändert hatten.
Ob es zu dem Zeitpunkt gewesen war, als sie telefoniert hatte, oder vielleicht schon früher, als Jimin aufgehört hatte ihn „Daddy“ zu nennen und auch das gewünschte „Suga“ scheinbar selbstverständlich ignoriert hatte?
Wie lange Yoongi auf das Foto gestarrt und dabei kaum geatmet hatte, wurde ihm erst bewusst, als der Bildschirm schwarz wurde, um das Gerät zu schonen und verwirrt blinzelnd hob er den Blick.
Irgendetwas fühlte sich gewaltig falsch in ihm an. Etwas, was er auf diese Art und Weise noch nie gespürt hatte. Als hätte er etwas verloren. Etwas, dass er schmerzlich vermisste.
Sein ganzer Körper fühlte sich komisch an und als Yoongi sich schließlich aufrappelte, wusste er auch wieso.
Blut schoss ihm so rasant in den Kopf, dass seine Beine nachgaben und er kraftlos zurück in die Hocke glitt.
Wann und vor allem warum genau sich das heftige Problem in seiner Hose breit gemacht hatte, konnte er sich kaum erklären.
„Scheiße…“
Erneut fluchte er vor sich hin, diesmal aber eher verzweifelt als wütend.
Es war schrecklich stickig in seinem kleinen Zimmer. Die Hitze staute sich bereits jetzt um ihn herum und trieb ihm Schweiß auf die Stirn.
Noch immer rauchte das Blut in seinen Ohren und völlig desillusioniert, schleppte er sich schließlich ins Badezimmer.
Die grünlichen Fliesen der renovierungsbedürftigen Nasszelle, reflektierten das Sonnenlicht viel zu hell, als Yoongi den verrosteten Wasserhahn der Dusche anschaltete.
Dringend musste er seinen kühlen Kopf zurück erlangen und sich irgendwie beruhigen.
Automatisiert streifte er sich die wenigen Klamotten vom Körper und schauderte heftig, als er unter den kalten Wasserstrahl trat. In alle Richtungen sprühte der verkalkte Duschkopf das eisige Nass und wie kühler Nebel klammerten sich die Tropfen sofort an Yoongis Gänsehaut.
Zitternd schlang er die Arme um seinen schmalen Oberkörper und schloss die Augen.
Krampfhaft dachte er an die Universität, den, sicher aufregenderen Strandurlaub seiner Mutter und sogar an Namjoon, doch nichts verdrängte das Bild Jimins aus seinem Kopf.
Yoongis Lippen waren bereits Blau und er schlotterte am ganzen Körper, als er schließlich wütend auf keuchte und einige Male mit der Faust gegen die schäbigen Fliesen trommelte.
Es hatte keinen Wert. Nichts, um die Erregung und die Gedanken an den jungen Mann auf der anderen Seite des Handys zu vertreiben, funktionierte.
So focht Yoongi innerlich einen unerbittlichen Kampf mit sich selbst aus, als er das Wasser wärmer stellte und die bebenden Finger langsam über seinen Bauch gleiten ließ.
Die Wunden an seinen Fingerknöcheln, welche vom Schlag in Namjoons Gesicht entstanden sein mussten, waren durch seinen kleinen Wutanfall wieder aufgesprungen und so sickerte ein wenig seines warmen Blutes über seine Finger und über die pulsierende Erregung, als er sich widerwillig daran machte, diese zu beseitigen.
Es bedurfte nur einiger, ungeduldiger Stöße in seine eigene Hand, während er leise keuchend den Kopf in den Nacken legte und sich mit dem Rücken gegen die kühlen Fließen sinken ließ.
Dass er dabei an Jimins volle Lippen dachte, die er noch nicht einmal ganz zu Gesicht bekommen hatte, beschämte ihn selbst so sehr, dass ihm gleichzeitig Tränen in die Augen schossen, als er heftig gegen die Duschwand kam.
Verzweifelt wusch er all die Erregung von sich und blieb so lange unter dem Wasserstrahl stehen, bis seine Fingerkuppen schrumpelig geworden waren.
Schon oft hatte er mit Frauen geschlafen und immer hatte es ihm Spaß gemacht, doch Herr über sich selbst war er dabei stets gewesen.
Yoongi fühlte sich wie ein Monster. Wie ein willenloser Vollidiot, der sich auf das Selfie eines, prinzipiell fremden Mannes, heimlich einen runter holte.
Die Tatsache, dass ihm dieser Mann auch noch aufrichtig gefiel, setzte dem Hass gegenüber sich selbst zusätzlich die Krone auf.
Stets war er in dem Bewusstsein aufgewachsen, homosexuell zu sein, sei etwas Schlimmes.
In Südkorea schickte es sich nicht einmal als akzeptiertes Paar auf offener Straße zu zeigen, dass man sich liebte. Gleichgeschlechtlichen Paaren gebührte daher noch viel weniger Akzeptanz.
„Was stimmt den nicht mit mir?“, flüsterte Yoongi schließlich in seine eigenen Handflächen, als er aus der Dusche gestiegen war und nackt, von Wassertropfen behangen im Badezimmer stand.
Vielleicht hätte er es dabei belassen sollen, tot in Jimins Augen zu sein.
Sicher wäre alles einfacher, wenn er für ihn der Idiot geblieben wäre, welcher betrunken vom Dach eines Clubs gefallen war. Zumindest redete er sich das ein.
Doch dafür war es jetzt zu spät. Immerhin hatte Yoongi gehört wie sehr Jimin unter seiner Abwesenheit gelitten hatte und wie lief man vor jemandem weg, den man eigentlich um sich haben wollte?
'Du bist verdammt attraktiv…'
Das hatte Jimin geschrieben, als Yoongi ihm das schäbige Bild von sich selbst geschickt hatte. Halb im Dunkeln, nur mit einer Hand aufgenommen, während er noch etwas der Pizza, unzerkaut im Mund gehabt hatte.
Ironisch lachte er auf und schüttelte den Kopf.
„Du willst mich wohl verarschen, Jimin.“
Wütend spuckte er die Worte in die staubige Luft seines Zimmers, als er sich eine schwarze Shorts und ein schwarzes T-Shirt über den blassen Körper streifte.
Über das erneute Blinken der Benachrichtigungsleuchte, verdrehte er genervt die Augen, konnte sich der Anziehung und Neugier aber nicht entziehen und öffnete die eigegangene Nachricht.

[Jimin]
› Tut mir leid wenn ich dich verärgert, oder verschreckt habe. Ich dachte du freust dich vielleicht über ein Bild von mir. ‹
Fassungslos starrte Yoongi auf die kleinen schwarzen Buchstaben und ballte eine Hand zur Faust. Natürlich konnte Jimin nicht im Ansatz ahnen, was das Bild bei ihm ausgelöst hatte, aber Yoongi hatte sich selbst und seine Frustration absolut nichtmehr im Griff.
[Yoongi]
› Halt einfach die Fresse, Jimin. ‹
Erneut war er in dem Stadium angekommen, welches daraus bestand, rastlos in seinem Zimmer auf und ab zu tigern, bis er es nicht mehr aushielt und sich einen seiner Joints aus dem Versteck unter seinen Boxershorts zog.
Ungeduldig zog er seine Sneaker an und bereute die Entscheidung, an die frische Luft zu gehen, augenblicklich, als er anstatt ins Freie, gegen eine Wand, bestehend aus Hitze lief.
Frische Luft gab es schlicht keine. Stattdessen war es ihm, als strömte liquidierte Hitze in seine Lunge, welche ihn sofort von innen in Flammen zu setzten drohte.
Die Feinstaubbelastung war in Tagen wie diesen so hoch, dass er, so wie der Rest der Bevölkerung nur mit Mundschutz vor die Tür gehen konnte und auch ohne Sonnenbrille, ließ es sich, seiner Meinung nach, nicht außerhalb geschlossener Räumlichkeiten aushalten.
So stapfte der junge Mann, blass, übellaunig und völlig in Schwarz gekleidet die staubige Straße entlang und vermied es in der U-Bahn krampfhaft, irgendetwas zu berühren, ehe er an einem abgelegenen Uferstück des Han Flusses ankam.
Das Papier des Joints knisterte verheißungsvoll in der gierigen Flamme des Feuerzeuges, ehe Yoongi sich den Mundschutz vom Gesicht zog und die ersten Züge genoss.
Binnen Sekunden beruhigte das THC seinen Geist und seine Glieder.
Die Spiegelung der Sonne im Han Fluss faszinierte ihn, während er es sich im Schatten eines Baums gemütlich machte.
Wenn man sich konzentrierte, konnte man den Stadtlärm beinahe komplett ausblenden und sich allein auf das Geräusch der rauschenden Blätter konzentrieren.
Ruhe, die es in Yoongis Leben viel zu selten gegeben hatte. Vor allem in ihm selbst.

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⏰ Last updated: Jan 07, 2021 ⏰

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PSYCHOTIC [YoonMin] Where stories live. Discover now