Gandalf und Trash TV

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Montag, der 9. Dezember 2019

„Cool, wir haben heute nur vier Stunden, Musik fällt aus", stellte ich erleichtert fest, als ich einen Blick auf den virtuellen Vertretungsplan warf, der seit diesem Schuljahr endlich auch vor der ersten Stunde einsehbar war. Nichts wahr nerviger, als mit voll gepackter Büchertasche vorm Klassenzimmer zu stehen, nur um zu erfahren, dass die ersten beiden Stunden ausfallen würden und ich ruhig noch zwei Stunden hätte weiterschlafen können.

„Heißt das, du bist früher Zuhause?", fragte Gandalf, der als einziger der Mittelerdler früher aufgestanden war und nun gegenüber von mir am Frühstücktisch saß.

„Ja", freute ich mich, „dann können wir wieder richtig viel unternehmen. Hast du schon was vor?"

„Naja", seufzte der Zauberer, „eigentlich – aber das darfst du nicht weitererzählen – hätte ich Lust, bei dieser Kälte den ganzen Tag nur Träsch-Te-Fau zu schauen. Mir hat es Klinik am Südring und Auf Streife – Die Spezialisten wirklich angetan." Gandalf war knallrot angelaufen und blickte etwas beschämt zu Boden, und ich konnte nicht anders, als loszulachen. Einer der größten Zauberer Mittelerdes war also dem Trash-TV verfallen – was es nicht alles gab.

„Das ist eigentlich ein ganz cooler Plan", gab ich zu, „aber kennst du schon „Im Auftrag der Gerechtigkeit" und „Hilf mir – jung, pleite, verzweifelt"? Das hat auch Suchtfaktor, wenn du mich fragst."

„Nein, das ist mir noch nicht bekannt", erwiderte Gandalf interessiert, „aber das klingt auch spannend. Naja, jetzt weiß ich tatsächlich, wie ich meinen Tag verbringen werde."

„Ich muss dann auch langsam los", lachte ich und stand auf, um mich fertigzumachen. Vier Stunden Schule hatte ich ja leider noch hinter mich zu bringen.

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Endlich gongte es zur zweiten Pause. Oder besser gesagt zum Schulschluss für uns. Fröhlich liefen Selina und ich zur Bushaltestelle. Wir mussten uns ganz schön beeilen, der Bus kam um diese Zeit meist überpünktlich und wir hatten keine Lust, auf den nächsten zu warten, der erst in eineinhalb Stunden kommen würde. Zu unserem Glück standen bereits ein paar Kinder an, das musste bedeuten, dass wir ihn nicht verpasst hatten. Tatsächlich kam erst knapp zwei Minuten später ein Mini-Bus unseres Busunternehmens über den Parkplatz gerast. Der Fahrer bremste scharf vor uns ab und raste, nachdem alle eingestiegen waren, auch schon wieder weiter. Er hatte das Radio laut aufgedreht und zum Hundertsten Mal dieses Jahr trällerte mir Mariah carey ihre Weihnachtswünsche vor. „Scheiß Weihnachtslieder", murmelte auch Selina genervt und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Handy, um sich dann schnell die Kopfhörer in die Ohren zu stecken.

„Sorry, das halte ich sonst nicht aus", entschuldigte sie sich, aber ich winkte nur ab. Ich verstand sie ja so gut. „Hey, ich hab eine Schneewarnung bekommen!", rief sie plötzlich und hielt mir ihr Smartphone vors Gesicht, „morgen soll es in unserer Gegend extreme Schneefälle geben!"

Bitte was? Extreme Schneefälle? In unserer Gegend? „Wie cool, vielleicht kommen die Busse dann nicht!", freute ich mich, „Und wir müssen leider Zuhause bleiben, weil uns niemand fahren kann."

„Das wäre genial", lachte meine Freundin, „aber es schneit wahrscheinlich eh nicht bei uns."

Da hatte sie wohl recht. Aber die Hoffnung starb bekanntlich ja zuletzt. Ich warf nun einen interessierten Blick auf den Tacho des Busses. 53 km/h. In der 30er-Zone. Okay, das war flott. Aber egal. Der Fahrer wollte wohl so schnell wie möglich nach Hause... Als wir endlich die Stadt hinter uns gelassen hatten, beschleunigte er auch schon weiter, sodass wir wenig später mit 120 km/h über die Landstraße bretterten. Ich klammerte mich unwillkürlich am Sitz vor mir fest, das war selbst mir zu schnell. Ich war heilfroh, als er vor unsere Haltestelle zum Stehen kam. Ein Wunder, wir hatten die Fahrt ohne größere Unfälle hinter uns gebracht hatten. „Auf Wiedersehen", verabschiedete ich mich freundlich und sprang aus dem Bus, um dann gemeinsam mit Selina zurück nach Hause zu laufen. Ich freute mich ja so sehr, die Mitties wieder zu sehen... 

Zuhause angekommen, kramte ich den Schlüssel aus meinem Rucksack und öffnete die Tür. "Hallo, wir sind wieder da!", rief ich, doch niemand antwortete. Seltsam. "Lass uns mal im Wohnzimmer nachsehen", meinte Selina und schlüpfte aus ihren Stiefeln und dem Mantel. Ich tat es ihr gleich und folgte ihr dann ins Wohnzimmer. Dort saß tastsächlich Gandalf auf der Couch und starrte gebannt auf den Fernseher. 

"Hallo Gandalf, was machst du da?", fragte meine Freundin überrascht. Der Zauberer schrak kurz zusammen, hatte sich jedoch schnell wieder gefasst. "Oh, ich schaue 'Im Auftrag der Gerechtigkeit'. Das hat Elli mir empfohlen und ich muss sagen, es ist wirklich spannend." 

Er hatte sein Vorhaben also wahrgemacht und suchtete Trash-TV. Okay, das konnten wir auch. 

"Wir schauen mit", bestimmte ich und ließ mich auch schon auf den gemütlichen Teppich fallen, "worum geht es in dem Fall?" 

Vielen lieben Dank für 1 Tausend Reads, das hat mich echt gefreut:) 
Ihr seid cool ❤️❤️

Oh du fröhliche... Weihnachten mit MittelerdeWhere stories live. Discover now