Im Nest der Trolle

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Den folgenden Tag verbringen Kaíyra und ich recht schweigend. Jeder von uns hängt seinen eigenen, besorgten Gedanken nach, bis wir am frühen Abend endlich die geheime Öffnung im Fels erreichen.
Ein schmaler Pfad führt uns dorthin, er verläuft am Rande der Schlucht entlang und tief unter uns hört man nun ununterbrochen das Grollen und Knurren der Trolle.
Die Elfe leitet mich zielsicher zwischen den engstehenden Felsen hindurch und ich folge ihr schweigend. Jedenfalls so lange, bis sie vor einer glatten Wand plötzlich stehen bleibt.
„Hier ist es", sagt Kaíyra leise und zeigt mit der Hand auf ein kleines rundes Loch, kaum groß genug, um bäuchlings hindurch zu robben.
So nahe an den Trollen müssen wir besonders leise und vorsichtig sein, darum antworte auch ich der Elfe mit gedämpfter Stimme.
„Dann trennen sich hier unsere Wege."
Kaíyra nickt, zieht ihren Umhang fester um die Schultern und setzt ihre Kapuze auf.
„Ich wünsche dir viel Erfolg. Und denk dran: du hast ungefähr eine halbe Stunde Zeit. Ich versuche Gknau'z und seine Wachen so lange wie möglich hinzuhalten, aber wenn du danach nicht wieder hier oben bist, komme ich dich suchen."
Die Worte der Elfe sind eindringlich und ich bemerke ihre Anspannung nicht nur in ihrer Stimme, sondern auch in ihrer gesamten Körperhaltung. Ich im Gegenzug, bin seltsam locker und ruhig, was bei der bevorstehenden Mission nur von Vorteil sein kann.
„Verstanden. Ich werde rechtzeitig mit dem Stein zurück sein. Wir treffen uns wieder hier, pass gut auf dich auf", erwidere ich zwar gelassen aber auch ich meine das Gesagte absolut ernst.
Kaíyra nickt und wendet sich dann zum gehen, doch irgendetwas scheint sie zurückzuhalten, denn sie bleibt stehen und dreht sich wieder zu mir um.
Kurz öffnen sich die Lippen der Elfe, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann schließt sich ihr Mund wieder und stattdessen berühren plötzlich ihre Fingerspitzen sanft meine Wange.
Es ist eine Berührung, die so viel mehr ausdrückt, als Worte es jemals könnten.
Pass auf dich auf.
Sei vorsichtig.
Ich zähle auf dich.
Doch dann ist der Moment vorbei und die Elfe verschwindet schnellen Schrittes hinter den Felsen.
Und auch ich muss wieder all meine Konzentration sammeln und mich mental auf meine Aufgabe vorbereiten.
Tief atme ich noch einmal durch, dann springe ich hoch und ziehe mich hinauf in die dunkle Öffnung.
Der Gang ist tatsächlich so niedrig, dass ich nicht einmal krabbeln kann. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich kriechend auf dem Bauch fortzubewegen. Der raue Fels unter mir reibt an meinen Kleidern und macht das Vorankommen nur noch beschwerlicher.
Der Tunnel im Gestein ist länger als ich dachte und führt um zahlreiche Biegungen, mal sanft nach unten und dann wieder steil nach oben.
Schon während der ganzen Zeit nehme ich den Geruch von verdorbenem Fleisch war und als schließlich kleine Rauchwolken an mir vorbeiziehen, kann ich mir endlich denken, wohin dieser Gang führt. Oder besser, wozu er genutzt wird.
„Na super", murmle ich resigniert und verdrehe genervt die Augen, „direkt in Teufelsküche. Wortwörtlich."
Es dauert nicht mehr lange, da wird der Geruch oder besser gesagt der Gestank nach nicht mehr ganz frischem Essen immer intensiver und ich höre die keifende Stimme, eines offenbar weiblichen Trolls. Allerdings verstehe ich keine Wörter, geschweige denn ganze Sätze, es hört sich eher nach einer unzusammenhängenden Folge von Fauch- und Knurrlauten an. Und zwischendurch der Schlag einer kräftigen Hand.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch robbe ich leise weiter und zwinge meine Sorgen und meine Bedenken wieder zurück in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Auch die Gedanken an Kaíyra versuchen sich heimlich wieder in meinen Kopf zu schleichen, doch ich dränge sie eisern zurück.
Meine Aufgabe hat jetzt oberste Priorität. Und ich darf mich auf keinen Fall ablenken lassen.
Und so atme ich tief durch, als ich endlich das Licht am Ende des Ganges entdecke.
So leise wie nur möglich krieche ich darauf zu und spähe vorsichtig über die Kante nach unten in den weiten Raum.
Und da sehe ich sie zum ersten Mal.
Trolle.
Ganze sieben Stück davon.
Und sie sind riesig.
Mindestens dreimal so hoch und fünfmal so breit wie ein erwachsener Mensch, mit gräulicher Haut, einem groben unförmigen und hässlichen Gesicht, sowie mächtigen Armen und Beinen, die so dick wie Baumstämme zu sein scheinen.
Das furchterregendste an ihnen sind aber ihre kleinen tiefschwarzen Augen, die böse und listig funkeln und die beweisen, dass Trolle keineswegs einfältige Kreaturen sind, so wie ihr Verhalten vermuten lässt.
Und das ist weit mehr besorgniserregend, als wenn ich es mit geistig schwachen Wesen zu tun hätte. Denn intelligente Gegner sind um ein Vieles gefährlicher als dumme...
Stumm lasse ich meinen Blick weiter durch den Raum wandern und stelle fest, dass mich meine Vermutung nicht getäuscht hat. Ich blicke hinunter in die „Küche", die man kaum als solche bezeichnen kann, und erkenne viele einzelne Lagerfeuer mit großen Töpfen darüber, in denen rote Fleischklumpen vor sich hin köchelt. Allerdings sehe ich an vielen davon noch Reste von Fell und Krallen und weiß jetzt auch, woher dieser widerliche Gestank kommt.
Vor jedem dieser Kessel stehen Trolle und rührt mit einem armdicken Ast die ganze Brühe um, während sie leise vor sich hin murren. Einzig der größte Troll im Raum, an ihrer Kleidung, die ihr im Gegensatz zu ihren Artgenossen nicht nur als Lendenschurz über die Hüfte sondern auch über die Brust geht, als Frau zu erkennen, schreit ab und zu wütend Befehle durch den großen Raum. Offenbar hat sie hier das volle Kommando.
Mir ist bewusst, dass meine Zeit den Stein zu finden sehr begrenzt ist, also überlege ich fieberhaft, wie ich aus dem Rauchabzug unbemerkt zur großen Holztür an der gegenüberliegenden Wand gelange. So wie ich das sehe, ist sie nur angelehnt, es wäre also kein Problem, unentdeckt hindurch zu schlüpfen. Nur wie?
Zum Glück kommt mir der Zufall zur Hilfe. Denn an meiner linken Hüfte breitet sich langsam aber sicher ein unangenehmer Schmerz aus und als ich nachsehe, liegt dort unter mir ein etwa faustgroßer Stein. Kurz überlege ich noch, doch dann steht mein Entschluss fest.
Ich richte mich in meinem Versteck ein wenig auf und werfe den Stein dann mit voller Wucht auf den am weitesten von der Tür entfernten, rührenden Troll.
Schnell ducke ich mich zurück in die Dunkelheit, doch ich kann gerade noch, beobachten, wie der Fels den Troll am Kopf trifft und diesen wütend aufschreien lässt.
Sofort bricht unter mir ein ohrenbetäubender Tumult los und als ich wenige Sekunden später wieder über die Kante luge, befinden sich alle anwesenden Trolle in einer wilden Schlägerei, die sogar die Wände wackeln lässt.
Jetzt oder nie.
Mit klopfendem Herzen krieche ich aus meinem Versteck hervor, lasse mich an der Kante hinunter hängen und springe dann den letzten Meter hinab auf den harten Boden.
Geduckt laufe ich hinüber zu der hölzernen Tür und schlüpfe leise hindurch, ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen.
Leider.
Denn sonst hätte ich womöglich gesehen, wie mich die glänzende, schwarze Augen der Trollfrau interessiert verfolgen.
So aber sprinte ich durch den riesigen Felsengang, der mit flackernden Fackeln beleuchtet wird, hinein in das unterirdische Netz aus hallenden Tunneln und suche immer wieder in dunklen Nischen Schutz, sobald ich die schweren Schritte der Wachen oder das klappern ihrer eisernen Panzerung höre.
Mein Weg führt mich aber dennoch immer tiefer in die weite Höhle hinein, stets auf der Suche nach einer Treppe oder einem Gang, der nach unten führt. Denn Kaíyras Worte waren eindeutig.
Ihre Schatzkammer liegt vermutlich tief unten im Gestein.
Und es ist auch nur logisch. Wo sonst sollten ihre Reichtümer besser geschützt sein, als unter Millionen von Tonnen rauen Stein.
So in meine Überlegungen vertieft und darum bemüht mir wenigstens ungefähr den Rückweg zur Küche zu merken, wäre ich fast an einem unscheinbaren Seitengang vorbei gelaufen, hätte ich nicht eine allzu vertraute Stimme vernommen.
„Ich denke, Ihr wisst warum ich hier bin."
Kaíyras Stimme klingt ruhig aber bestimmt und sie lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben.
„Oh das tue ich. Gewiss. Aber ich fürchte der weite Weg, den Ihr dafür zurückgelegt habt, war umsonst, Kaíyra."
Die zweite Stimme, die gesprochen hat, klingt mehr wie ein tiefes Donnergrollen mit einem süffisanten Unterton, als eine natürliche Stimme, jedenfalls jagt sie mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Und meine Neugier ist geweckt.
Durch einen Torbogen links von mir gelange ich unbemerkt auf eine Art steinerne Empore und kann über eine glücklicherweise niedrige Mauer auf einen gewaltigen Saal hinuntersehen. Es handelt sich hierbei um eine enorme Höhle, die in den Felsen geschlagen wurde und von großen Feuerschalen an ihrem Boden unheimlich erleuchtet wird. Die Wände sind feucht und abweisend, sowie schwarz vom Ruß der verbrannten Fackeln.
An ihrem kurzen Ende steht außerdem ein hölzerner Thron, auf dem ein wahrhaft riesiger und dicker Troll sitzt, an seiner Seite etliche Wachen mit eiserner Rüstung und langen Speeren und nur wenige Meter davor, begleitet von ebenfalls zwei Wachen, steht Kaíyra.
„Das hoffe ich nicht, Gknau'z, denn der Stein wurde aus Versehen an Euch überreicht und war nicht Teil der Abmachung", sagt die Elfe freundlich, ihre Arme sind jedoch abweisend vor ihrem Körper verschränkt, der auf Grund meiner Höhe und den wuchtigen Wachen neben ihr auf einmal winzig und zerbrechlich wirkt.
Der dicke Troll auf dem Thron, offenbar Gknau'z, ihr Anführer, bricht in tiefes Gelächter aus und seine Wachen stimmen glucksend mit ein.
Mir allerdings sträuben sich die Haare.
Denn wie Kaíyra mir prophezeit hatte, haben ihr die Trolle sämtliche Waffen abgenommen, sogar ihren Umhang musste sie ablegen. Und wieder kommt in mir das übermächtige Gefühl auf, sie beschützen zu müssen. Und sei es auch nur vor den durchdringenden Blicken der Trolle.
„Abmachung oder nicht! Was uns gehört, das geben wir nicht wieder heraus, egal wie wichtig es auch für Euch sein mag, wenn Ihr den ganzen Weg hier her gereist seid! Oder wollt Ihr etwa...", der Anführer der Trolle beugt sie herausfordernd auf seinem Thron nach vorne, „Krieg?"
Einen winzigen Moment lang ist es still.
Doch dann schüttelt Kaíyra den Kopf und Gknau'z lehnt sich zufrieden zurück.
„Natürlich nicht. Aber Ihr wisst genauso gut wie ich, dass wir den Neumondstein brauchen, um einen Nachfolger für unsere Königin zu bestimmen."
Überrascht spitze ich die Ohren, denn das ist auch mir neu. Der riesige Troll scheint aber nicht im geringsten erstaunt zu sein.
„Und ob ich das weiß, Kaíyra. Und ich versichere Euch, er hat einen besonderen Platz in meiner Schatzkammer bekommen", sagt Gknau'z süffisant grinsend und wendet sich an seine Wachen, die zustimmend nicken. Doch dann stutzt er und setzt eine gespielt besorgte Mine auf.
„Ich werde doch damit nicht Eure Chancen auf den Thron kaputt machen, oder? Das wäre nämlich zu schade, ich bin sicher, Ihr wärt eine ausgezeichnete Königin gewesen."
Wieder bricht er in lautes Grölen aus, doch mein Herz macht plötzlich einen Satz.
Kaíyra, Königin? Was?!
Zum Glück muss ich nicht lange auf eine Antwort warten, denn die Augen der Elfe verengen sich und ihre Stimme wird schneidend und brüsk.
„Ihr zerstört die Möglichkeit des gesamten Rates einen Nachfolger zu wählen, dabei hat jeder die gleichen Chancen König oder Königin zu werden."
Gknau'z lächelt nur, dann stützt er seinen mächtigen Kopf auf einer klauenförmigen Hand ab, während er Kaíyra weiterhin fest im Blick hat.
„Wie ich hörte, stehen Eure Chancen aber besonders gut. Die Wahl ist also nur noch eine reine Formalität."
Ich bin froh, das ich in diesem Moment an die Mauer gelehnt stehe, sonst wäre ich vor Schreck vermutlich umgefallen.
Kaíyra ist nicht nur eine Elfe.
Sie ist auch nicht nur Mitglied des Rates!
Sie ist augenscheinlich bald die nächste Königin!!
Und sie hat es niemals, auch nur mit einer Silbe erwähnt!!!
Ich befinde mich seit Wochen in der Gesellschaft der wahrscheinlich nächsten Königin der Elfen und ich wusste absolut nichts davon.
Und damit nicht genug...
Oh Gott. Ich kann ihr nie mehr in die Augen sehen...
Ich habe mich auch noch an sie heran gemacht. Mich in sie verliebt....
In eine Frau, die gerade in unerreichbare Ferne gerückt ist.
Fieberhaft springen meine Gedanken so in meinem Kopf herum und ich bin nicht in der Lage einen von ihnen klar fassen zu können, bis mir schlagartig meine Umgebung wieder bewusst wird und ich gehetzt auf die Füße springe.
Ich muss diesen Stein finden!
Und mir bleibt nicht mehr viel Zeit...

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