18. Der Dunkle Lord

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Es war die letzte Woche ihrer letzten Sommerferien, denn am 1. September würde ihr siebtes und letztes Schuljahr anbrechen. Elyna und Josec standen vor dem riesigen Anwesen der Lestranges.
Rabastan hatte sie kurzfristig eingeladen, nachdem er und Severus vor drei Tagen den Dunklen Lord kennengelernt hatten. In ihren bisherigen Briefen hatten die beiden Jungen unglaublich von ihm geschwärmt.
Er wollte die Welt verbessern.
Er wollte die Muggelgeborenen unterdrücken.
Er wollte den Reinblütern die ihnen zustehende Macht verschaffen.
Er wollte die Schwarze Magie legalisieren.
Elyna verstand, weshalb Rabastan und Severus so begeistert waren. Der Dunkle Lord war der größte schwarzmagische Zauberer ihrer Zeit und er hatte Ziele, die aus der allgemeinen Sicht der Reinblüter überaus edel waren. Sie selbst fand einige dieser Gedanken durchaus angenehm, doch wenn sie allzu sehr darüber nachdachte, sah sie immer die Gesichter von Remus und Lily vor sich. Lily hatte als Muggelgeborene in dem System des Dunklen Lords keinen Platz, Remus würde als Werwolf auf ewig ein Ausgestoßener bleiben.
"Elyna!", riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken.
Die Schwarzhaarige sah auf und erblickte das freudestrahlende Gesicht ihrer Zwillingsseele. Rabastan umarmte zunächst sie und begrüßte dann erst ihren Bruder. "Kommt herein, meine Eltern sind nicht zu Hause", sagte er und schob sie in das riesige Anwesen.
Elyna sah sich staunend um. Sie war zwar zur Hochzeit von Rodolphus und Bellatrix auf dem Gelände gewesen, aber eben nicht in dem eigentlichen Haus. Der Boden bestand aus Marmor, die Säulen, die die Decke stützten, waren kunstvoll verziert. Obwohl alles so unglaublich edel und teuer aussah, dass man sich kaum traute, irgendetwas anzufassen, fühlte Elyna sich sofort heimisch. Sie mochte dieses Anwesen.
Rabastan deutete ihren verzauberten Gesichtsausdruck richtig und lächelte: "Willkommen in Lestrange Manor." Er zog sie eng an sich und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
Elyna warf einen Blick zu ihrem Bruder, der ähnlich begeistert schien, dann sah sie wieder zu Rabastan. "Zeigst du uns dein Zimmer?"
Er nickte und zog sie mit sich. Noch immer hatte er seinen Arm um ihre Taille geschlungen, aber es störte sie nicht. Die Geste hatte etwas vertrautes, warmes, angenehmes - wie die Küsse, die sie inzwischen ab und an austauschten. Einfach schön.
Rabastan führte die Zwillinge eine Marmortreppe hinauf und durch mehrere lange Gänge hindurch bevor er schließlich vor einer dunklen, reich verzierten Holztür stehen blieb. Er lächelte sanft und öffnete die Tür.
Als Elyna eintrat, blieb ihr beinahe die Spucke im Hals stecken. Das Zimmer, das sich vor ihr erstreckte, war größer als das komplette Haus von Professor McGonagall. Die Wand gegenüber der Tür bestand zur Hälfte aus Glas, ebenso wie die komplette linke Wand. Dadurch hatte man einen wunderbaren Ausblick auf den riesigen Garten der Lestranges und auf den Sonnenuntergang. Die übrigen Wände waren allesamt grün und mit Fotos und Plakaten behängt. Elyna sah häufig ihr eigenes Gesicht sowie das von Narzissa, Josec, Sev und Reg. Der Boden bestand aus dunklem Parkett und wurde von einem großen, kuschelig aussehenden, slytheringrünen Teppich bedeckt. Das dunkelbraune Himmelbett mit den grünen Vorhängen stand frei im rechten Teil des Raumes. Die Decke war unglaublich hoch und von ihr baumelten einige Kronleuchter hinunter. Rechts von sich bemerkte Elyna zwei Türen. Aus Rabastans Erzählungen schloss sie, dass es sich dabei um sein Badezimmer und seinen begehbaren Kleiderschrank handelte.
"Wow", hauchte sie einfach nur und drehte sich im Kreis, um alles aufnehmen zu können. Sie fühlte sich ein wenig von all dem Grün erschlagen. Gleichzeitig dachte sie daran, dass sie wohl nicht wissen würde, was sie den ganzen Tag in diesem riesigen Zimmer völlig alleine tun sollte. Sie würde vermutlich total durchdrehen und ständig ihren Freunden schreiben. Einfach, damit sie sich nicht so allein fühlte.
Sie setzte sich neben Rabastan auf sein Bett, während Josec noch immer durch die Gegend starrte und das Zimmer seines besten Freundes bewunderte.
"Ihr solltet mal die Räumlichkeiten von Rodolphus und Bellatrix sehen", lachte Rabastan über ihre erstaunten Gesichter.
Elyna lehnte sich an einen der Bettpfosten, Josec und Rabastan taten es ihr gleich.
"Und?", fragte Josec begierig. "Erzähl schon! Wie war der Dunkle Lord?"
Auf Rabastans Gesicht schlich sich eine eigenartige Mischung von Bewunderung und Angst, wobei ersteres überwog. "Er war mächtig. Einfach nur mächtig. Du kannst dir das vielleicht nicht vorstellen, Jo, aber sobald man in den Raum hineingekommen ist, hat man es sofort gespürt. Seine Magie ist kalt und rau und endlos. Jeder Zauberer hat ein Limit für seine Magie, ab dem er einfach nicht mehr weiterzaubern kann, aber der Dunkle Lord... bei ihm habe ich einen bodenlosen Vorrat an Magie gespürt. Rodolphus sagt, das kommt daher, weil er sich so unfassbar gut mit Schwarzer Magie auskennt. Schwarze Magie hat kein Ende und keinen Anfang, sie ist ewig. Deswegen konnte sie auch nie ausgelöscht werden, egal wie oft Leute wie Dumbledore oder die Idioten im Ministerium es versucht haben. Sie schlummert nur tief versteckt in der Welt und wartet auf den nächsten, der ihr zu wahrer Größe zurückverhelfen will." Rabastan machte eine kurze Pause.
"Wer war denn der letzte?", fragte Elyna schnell. "Also, wer hat die Schwarze Magie vor dem Dunklen Lord benutzt?"
Josec sah seine Schwester ein wenig missbilligend an, weil sie Rabastan unterbrochen hatte, aber den schien es nicht zu stören.
"Natürlich haben viele Zauberer schon vor dem Dunklen Lord die Schwarze Magie genutzt, selbst meine Eltern. Aber niemand konnte sie in diesen Maßen verwenden und beherrschen. Vor dem Dunklen Lord war für lange Zeit nur Gellert Grindelwald dazu in der Lage. Aber er war zu schwach, in dem entscheidendenden Duell zwischen ihm und Dumbledore hat er zu sehr gezögert und dabei die Kontrolle über die Schwarze Magie verloren. Er lebt nur noch, weil Dumbledore ihn gerettet hat. Inzwischen sitzt er in Nurmengard und kann gar nicht mehr zaubern. Aber wer einmal von der Schwarzen Magie berührt wurde, spürt sie auf ewig als tiefe Sehnsucht, die nur besänftigt werden kann, wenn man die Schwarze Magie erneut benutzt."
Für kurze Zeit legte sich ein durchdringendes Schweigen über die drei Freunde, die jeweils ihren eigenen Gedanken nachhingen.
"Hast du schon einmal Schwarze Magie benutzt?", fragte Elyna schließlich leise.
Rabastan schüttelte den Kopf. "Kein Lehrer würde uns Zauber aus dieser Kategorie beibringen und alleine sollte man es nicht versuchen, weil die Schwarze Magie ganz schnell die Überhand übernehmen kann. Sie macht dich zu ihrer Marionette bis nichts mehr von dir übrig ist und selbst dein Körper schon von ihrer Macht zersetzt wird."
Elyna sah wie zufällig zu ihrem Bruder, der noch immer begierig jedem von Rabastans Worten lauschte.
"Ich würde sie trotzdem gerne mal ausprobieren", sagte er und sah vorsichtig zu seiner Schwester, die jedoch keine Miene verzog.
"Ja, ich auch", stimmte Rabastan zu. "Ich weiß, dass Severus und Mulciber sich schon viel damit beschäftigt haben. Vielleicht können wir zusammen lernen, sie zu nutzen ohne dabei den schlimmsten aller Tode zu erleiden."
Die beiden Jungs schienen bereits ziemlich überzeugt von ihrer Idee. Plötzlich drehten sie sich synchron zu Elyna und sahen sie an, eine Augenbraue fragend erhoben.
Die Schwarzhaarige verkniff sich ein Grinsen und hob ihrerseits eine Augenbraue. "Was ist? Wollt ihr meine Erlaubnis?"
Rabastan wirkte auf einmal verlegen. "Irgendwie schon. Ich meine, ich würde es auch durchziehen, wenn du nicht einverstanden wärst, und ich bin mir sicher, dass das bei Jo nicht anders ist, aber... mir wäre einfach wohler zu Mute, wenn du uns dabei unterstützt."
Elyna sah die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben einige Sekunden lang an, dann nickte sie ergeben. "In Ordnung, ich helfe euch. Mir ist es sowieso lieber, wenn ihr vor meinen Augen Mist baut und nicht hinter meinem Rücken."
Die Jungs wirkten erleichtert und schnell wandte das Gespräch sich angenehmeren Themen zu. Rabastan machte sich über Elyna lustig, weil sie selbst in den Ferien nicht aufhörte zu lernen - sie würde sich noch zu einer Vorzeige-Streberin entwickeln, die den Ravenclaws Konkurrenz machen konnte. Aber die Schwarzhaarige hatte keine Familie, die ihr unter die Arme greifen oder die ihr einen Job im Ministerium sichern würde. Das einzige, bei dem sie sich sicher sein konnte, waren ihre Noten. Rabastan kannte solche Probleme nicht, Josec schon. Deswegen beteiligte er sich auch nicht an der Diskussion zwischen seiner Schwester und ihrem Verlobten. Er sah aus dem Fenster und beobachtete den Himmel, der sich zunehmend dunkler färbte.
Elyna lenkte das Gespräch unauffällig in Richtung Quidditch und lauschte lächelnd der hitzigen Debatte zwischen Rabastan und Josec über die verschiedenen Fouls. Dabei legte sie ihren Kopf in den Schoß ihres Verlobten und bemerkte belustigt, dass seine Hände scheinbar unbeabsichtigt anfingen, mit ihren Haaren zu spielen. Er flocht einzelne Strähnchen hinein und löste sie wieder auf, während er über die Vor- und Nachteile verschiedener Bluffs diskutierte.
Elyna fielen mehrmals die Augen zu, sie schien sogar das ein oder andere Mal eingeschlafen zu sein, denn immer, wenn sie wieder aufwachte, redeten die Jungs bereits über das nächste Manöver.
Das Zimmer färbte sich bereits blutrot von der untergehenden Sonne als sie es bemerkte. Ruckartig setzte sie sich auf und unterbrach somit das bis dahin andauernde Gespräch.
"Ly, was ist de-", setzte Rabastan an, doch da hatte sie schon seinen linken Arm gepackt und den Hemdärmel zurückgeschoben. Ein Totenschädel grinste sie an, aus seinem Mund kam eine Schlange gekrochen. Das Dunkle Mal.
Sie starrte das Zeichen einige Sekunden lang an, dann erst blickte sie auf und sah in Rabastans dunkle Augen. Er schien sich unter ihrem durchdringenden Blick äußerst unwohl zu fühlen. Sie bemerkte nur nebenbei, dass Josec nicht wie sie auf das Mal reagierte - er wirkte eher fasziniert.
"Wann wolltest du mir mitteilen, dass du dich längst den Todessern angeschlossen hast?", fragte sie mit einer Stimme, die eisiger als der Wind in Askaban durch die Stille schnitt. "Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, was das für ein seltsames Brennen auf meinem Arm war. Ich dachte, du musst vielleicht den ein oder anderen Fluch einstecken, wenn du das erste Mal dem Dunklen Lord gegenübertrittst, aber dass du dich stattdessen brandmarken lässt wie ein willenloses Pferd hätte ich nicht erwartet", fauchte sie.
Nun mischte sich Josec ein. "Elyna, es ist doch Rabastans Entscheidung, was er-"
Sie knurrte ihren Bruder an und er verstummte überrascht. So aufgebracht hatte er seine Schwester schon lange nicht mehr gesehen. Das letzte Mal, als er bei einem Quidditchspiel beinahe von einem Blitz getroffen worden war. Sie hatte auf alles geschimpft, was ihr in die Quere gekommen war und ihre Magie hatte vor lauter Wut dem Schulleiter und diversen anderen Lehrern beinahe die Haut von den Knochen geschmolzen.
Die schwarzhaarige Slytherin war aufgesprungen und tigerte zornigen in dem riesigen Zimmer auf und ab. War es ihr vorher noch zu dunkel erschienen, passte es jetzt perfekt zu ihrer Laune.
Keine Worte kamen über ihre Lippen, stattdessen knurrte sie wie ein tollwütiger Bär oder zog zischend die Luft ein. Doch je länger sie so hin- und herlief, desto mehr beruhigte sie sich. Schließlich blieb sie stehen und sah zu den beiden Jungs, die noch immer auf dem Bett saßen. Josec sah sie lediglich aufmerksam an. Rabastan hatte immerhin den fragwürdigen Anstand, betreten zu Boden zu gucken.
"Weißt du, warum ich sauer bin?", richtete Elyna nun das Wort an ihn.
Rabastan blickte auf und runzelte die Stirn. "Weil ich den Todessern beigetreten bin?", fragte er zögerlich. Zuvor war er sich ganz sicher gewesen, doch ihre Frage hatte ihn verunsichert.
Sie schüttelte den Kopf und forderte ihn stumm auf, es erneut zu probieren.
"Weil ich dich nicht nach deiner Meinung zu dem Thema gefragt habe?"
Erneutes Kopfschütteln.
"Weil ich Severus da mit reingezogen habe?" Rabastans Überlegungen wurden immer spekulativer. Er wusste wirklich nicht, worauf sie hinauswollte.
"Boah, Mann", stöhnte nun Josec genervt auf und verdrehte die Augen. "Sie ist angepisst, weil du es ihr nicht gesagt hast!"
Rabastan blinzelte seinen Freund einige Male an, dann schaute er zu Elyna. Tatsächlich stand in ihrem Gesicht nicht nur Zorn, sondern auch eine gewisse Verletztheit. "Du... Du bist nur sauer, weil ich es dir nicht erzählt habe?", hakte er nach.
Elyna nickte. "Weißt du eigentlich, wie schlimm es ist, nichtsahnend in seinem Zimmer zu sitzen und auf einmal diesen stechenden Schmerz im Arm zu spüren? Ich hatte solche Angst um dich! Sie hätten dir Merlin-weiß-was antun können und anstatt mir zu sagen, dass du dich nur den Todessern angeschlossen hast, verschweigst du es mir und ich male mir drei Tage lang die schlimmsten Horrorszenarien aus! Bis ich dich heute gesehen habe, war ich der festen Überzeugung, dass sie dir den Arm abgehackt haben!" Elyna weinte nicht oft, deshalb waren sowohl Rabastan als auch Josec von den plötzlichen Tränen überfordert.
Die Schwarzhaarige schluchzte laut auf und ließ sich zu Boden sinken, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. "Ich hatte solche Angst!", sagte sie erneut und weinte noch stärker.
Rabastan erwachte nun endlich aus seiner Starre. Er stand vom Bett auf und kniete sich vor Elyna hin. Sanft zog er ihre Hände von ihrem Gesicht weg und wischte mit seinen Hemdärmeln die salzigen Tränen von ihren Wangen. Dann legte er seine Arme um sie und drückte sie fest an sich. "Es geht mir gut, okay?", flüsterte er in ihre schwarzen Haare, die für ihn so sehr nach Heimat rochen. "Es geht mir gut und ich gehe nicht weg. Ich bleibe bei dir, ich werde dir ab sofort immer sagen, wenn etwas los ist. Ich verspreche es. Ly, hör auf zu weinen, ja? Ich werde dir nie wieder etwas verheimlichen, versprochen!"
Sie hob nun ebenfalls die Arme und krallte ihre langen Finger in sein Hemd. Den Kopf hatte sie auf seiner Schulter abgelegt, sodass sie zu ihrem Bruder sehen konnte. Er wirkte, als wüsste er nicht, was er tun sollte, deshalb streckte sie eine Hand nach ihm aus und winkte ihn näher. Er setzte sich zu den beiden und ließ sich von seiner Schwester umarmen.
"Ich hab euch so lieb", sagte Elyna schließlich und wischte sich noch einmal über die geröteten Augen. "Wenn irgendetwas mit euch ist, dann könnt ihr immer zu mir kommen. Das wisst ihr, oder?"
Rabastan nickte lächelnd.
Auch Josec nickte, obwohl sich in seinem Hinterkopf der Gedanke breitmachte, dass er ihr längst etwas verschwieg. Dennoch sprach er es nicht aus. Es war sein Geheimnis und manche Geheimnisse teilte man einfach mit niemandem - nicht einmal mit seiner Schwester, mit der man schon sein ganzes Leben zusammen ist.

Nicht der Tod wird uns trennenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt