Kapitel 1

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J E T Z T
J U N I

Ich habe meine Lehrerin geküsst.
Und es hat sich so verdammt gut angefühlt.

Als ich Alina zu Beginn des Schuljahres zum ersten Mal sah, hätte ich nie geahnt, wie nahe wir uns einmal kommen würden. Wie viel sie mir einmal bedeuten würde.
Und doch waren wir vor wenigen Minuten nicht dazu in der Lage gewesen, zu sagen, wo ich aufhörte und Alina anfing.
Alina Haas. Meine charmante und unverschämt gut aussehende Sportlehrerin, die für mich mittlerweile so viel mehr war, als das.
Mein Kopf hatte immer noch daran zu nagen, das, was gerade geschehen war, zu verarbeiten. So lange hatte ich davon geträumt, mir ausgemalt, wie sich ihre Lippen wohl auf meinen anfühlen würden und doch war es so viel besser gewesen, als ich es mir je hätte vorstellen können. Mein Magen schlug immer noch Purzelbäume und die Gänsehaut, die trotz der äußerst warmen Temperaturen meinen gesamten Körper bedeckte, wollte einfach nicht weichen. Schon fast gedankenverloren fasste ich mir vorsichtig an die Lippen, auf denen ich immer noch meinte, Alinas Berührung zu spüren.

"Quinn!" Als ich meinen Namen hörte, zuckte ich erschrocken zusammen. "Meine Güte, für den Klumpfuß bist du ja echt schnell unterwegs!", meinte Anna vorwurfsvoll und hielt sich die Seite vom Rennen.
Meine beste Freundin hatte schon immer einen leichten Hang zur Dramatik gehabt, doch dafür liebte ich sie umso mehr. "Tut mir leid", erwiderte ich entschuldigend, "Ich dachte nicht, dass du noch hier bist, sonst hätte ich auf dich gewartet." Ich ließ meinen Blick über die sich auflösenden Schülertrauben schweifen und merkte erst jetzt, dass ich unterbewusst nach Alina Ausschau hielt. So weit ist es also schon gekommen, dachte ich mir, als ich feststellte, dass ich mittlerweile keinen Raum mehr betreten konnte, ohne nicht zu hoffen, sie zu sehen.
"Halb so wild", holte mich meine beste Freundin in die Gegenwart zurück, "Wie ich sehe, hat die Haas dich gut verarztet." Sie deutete kaum merklich mit dem Kopf auf meinen Knöchel, der von einem provisorischen Verband umwickelt war. Bei der Erwähnung von Alinas Namen musste ich automatisch wieder an unseren Kuss denken. An ihr Parfüm, das meine Nase umwehte. Ihre Haare, die nicht nur extrem gut rochen, sondern mich auch im Gesicht kitzelten, als wir einander immer näher kamen. Ihre Hände. Erst an meiner Taille, dann an meinem Rücken und zu guter Letzt an meiner Wange. Und ihre fantastischen Lippen, die so perfekt auf die Meinen passten, dass ich nie wieder etwas anderes spüren wollte. Schnell schob ich die Erinnerungen an die Dachterrasse aus meinen Gedanken, als ich merkte, dass ich schon wieder abzudriften drohte.
"Frau Haas meint, der Knöchel ist nur verstaucht", sagte ich zu Anna, als wir Richtung Bushaltestelle liefen, "Also alles nur eine Lapalie." - "Du bist aber auch gerannt wie eine Irre", kommentierte Anna prompt meine Leistung beim diesjährigen Sponsorenlauf der Schule, "Kein Wunder, dass du dich da verletzt." Ich musste verhalten lachen, schließlich hatte Anna ja recht. Ich war gerannt wie von der Tarantel gestochen und hatte mir - wie schon so oft - viel zu viel zugemutet. Ich war längere Laufstrecken gewohnt, schließlich hatte ich lange Fußball gespielt, doch mir war von vornherein klar gewesen, dass ich dieses enorme Tempo auf Dauer nicht würde halten können. Und ich sollte recht behalten, schließlich saß ich hier jetzt mit meinem verstauchten Knöchel.
"Du wusstest aber, dass der Sponsorenlauf nicht benotet wird, oder?", zog Anna mich weiter auf, "Da gab's nichts, worin du die Beste hättest sein können." Ich wollte schon erklären, dass es sehr wohl einen ersten Platz zu belegen gab, biss mir jedoch auf die Zunge. "Ich weiß", antwortete ich also, "Keine Ahnung, was mich dazu gebracht hat." Dabei war mir sehr wohl bewusst, was es war. Beziehungsweise eher, wer es war. Alina hatte am Rand gestanden und zugeschaut, das wusste ich und damit wurde das unbändige Verlangen, sie zu beeindrucken, in mir geweckt.
"Irgendwann passiert noch etwas Ernsthaftes", meinte Anna jetzt vorwurfsvoll und sah mich mit einer Mischung aus Sorge und Vorwurf an. Anna wusste schließlich, dass ich viel zu hohe Anforderungen an mich selbst stellte, wenn es um schulische Leistungen ging. Das Beste war gerade gut genug und jeder fehlende Punkt glich für mich dem Totalversagen. Niemand wusste so recht, warum ich dieses Verhalten an den Tag legte, meine Eltern hatten schließlich nie Druck auf mich ausgeübt, sondern waren schon immer der Meinung, ich solle mir wegen der Schule nicht zu viel Stress machen. Und doch plante ich akribisch, wann ich mit dem Lernen für welche Klausur beginnen musste und hatte trotzdem das Gefühl, dass es nie genug war. Anna probierte nun schon seit Langem, mich zu unterstützen, so gut sie konnte und auch ich arbeitete daran, bei der gesamten Thematik etwas den Druck rauszunehmen. Doch wirklich geholfen hatte erst Alina. Die Frau, die aus dem Nichts auftauchte, mich blind zu verstehen schien und seitdem mein Herz komplett unter ihrer Kontrolle hatte. Die Frau, die es schaffte, mir meine Angst zu nehmen und bei dir ich einfach ich selbst sein konnte und die Möglichkeit hatte, abzuschalten.

I Need You To Hate Me || girlxgirlWhere stories live. Discover now