Kapitel 23

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D A M A L S
A P R I L

Die Zeit verging wie im Flug und noch immer hatten Alina und ich keinen geeigneten Termin gefunden, um endlich reden zu können. Mir war es wichtig, dass wir keinen Zeitdruck hatten und vor allem ungestört waren und zwischen Klausuren, Ausflügen und nicht so wirklich zusammenpassenden Stundenplänen hatte sich noch keine Zeit gefunden. Mir war wichtig, dass wir uns nicht im Umkreis der Schule treffen würden, sodass wir nicht dauerhaft aufpassen mussten, wer uns vielleicht sehen konnte. Ich wollte, dass wir uns in Ruhe trafen, nicht zwischen zwei Unterrichtsstunden und das hatte ich Alina auch genau so gesagt. Sie sah es wie ich und betonte in den wenigen kurzen Textnachrichten, die wir austauschten, nochmal, dass ich mir bitte keinen Kopf machen solle. Das linderte mein Chaos aus Gedanken und Gefühlen jedoch nur kurzzeitig und obwohl seit dem Vorfall im Schwimmbad erst anderthalb Wochen vergangen waren, fühlte es sich an wie eine halbe Ewigkeit. Es fiel mir schwer, Alina so distanziert zu begegnen, wie zuletzt zu Beginn des Schuljahres, doch ich wollte mich erst ausgesprochen haben, bevor ich wieder zuließ, dass ich mit ihr so umging, wie vor dem Quasi-Kuss. Doch ich sah jedes Mal aufs Neue, wie sehr ich Alina damit verwirrte. Sie lächelte mich noch immer jedes Mal so süß und offen an, dass ich jedes Mal erneut fast wieder schwach wurde. Teilweise sah sie so verletzt aus, wenn ich nur kurz angebunden nickte, dass ich mich wirklich zusammeneißen musste, nicht umzukehren und doch mit ihr zu reden. Ich vermisste unsere Gespräche und ihre Nähe. Ich vermisste sie. Dass wir noch immer im Schwimmbad waren, kam mir jedoch zugute, denn so hatte ich nicht die Möglihckeit, die Umkleiden aufzuschließen und Alina so alleine begegnen zu müssen. Denn dann, das wusste ich ganz genau, würde ich all meine Vorsätze früher oder später über Bord werfen und wieder genau dort stehen, wo wir aufgehört hatten und wo ich so dringend wegmusste. Obwohl mir ihr gesamtes Auftreten und ihr Verhalten deutlich zeigte, dass sie nicht sauer war, nagte mein Gewissen doch ein wenig an dieser Sicherheit. Was, wenn sie es doch war? Wenn sie mich insgeheim doch hasste und es sich nur nicht anmerken ließ? Obwohl ich so wesentlich schneller über sie hinwegkommen würde und mir teilweise sogar wünschte, dass sie mich ignorierte, würde es mich im Endeffekt doch sehr verletzen. Ich wollte sie nicht verlieren und doch wusste ich, dass ich aufhören musste, so an ihr zu hängen und ihr so viel Platz in meinem Herz einzuräumen. Sonst würde ich es nie schaffen, über sie hinwegzukommen.

Es war Sonntag und ich hatte mich an meinen Schreibtisch verkrochen. Die aktuelle Deutsch Lektüre, die ich in den Händen hielt, war zwar total langweilig und ich las zwar, doch nahm nichts davon auf, aber immerhin war es genug, um meine Gedanken für ein paar Minuten von Alina wegzulenken. Sonntag war noch nie mein Lieblingstag der Woche gewesen, es fühlte sich immer wie ein verschwendter Tag an. Geschäfte waren geschlossen und so minimierten sich die Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. In Kombination mit dem typischen Aprilwetter sah es aus, als hätte sich für 24 Stunden ein Schleier über die Welt gelegt, der alles verlangsamte. Ich widerstand schon seit Minuten dem Drang, mein Handz wieder einzuschalten, um zu schauen, ob Alina sich nicht doch gemeldet hatte. Kurzerhand angelte ich es mir doch vom Bett und während es hochlud, beendete ich das Kapitel meiner Lektüre, bevor ich sie schloss und weglegte. Was genau ich die letzten Minuten gelesen hatte, wusste ich nicht. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass einige Benachrichtigungen auf meinem Sperrbildschirm aufleuchteten. Ich hasste mich dafür, dass mein Herz automatisch schneller schlug und ich innerlich darauf hoffte, dass Alina sich gemeldet hatte. Das muss aufhören, schoss es mir durch den Kopf, als ich mein Handy wieder weglegte, nachdem ich jede Benachrichtigung unbeachtet gelöscht hatte. Ich fuhr mir durch die Haare, während ich tief durchatmete und meinen Kopf verzweifelt auf die Tischplatte sinken ließ. Wie konnte es sein, dass ich Alina nach so kurzer Zeit so sehr vermisste, wenn sie nicht da war? Dass sie pausenlos in meinem Kopf herumgeisterte und sich mittlerweile sogar in meine Träume schlich? Ich verstand mich selbst nicht mehr und obwohl ich anfangs definitiv nicht mit ihr über die letzten Tage und Wochen hatte reden wollen, wollte ich mittlereile nichts mehr, als endlich abschließen zu können. Ich wollte reinen Tisch machen, auch wenn ich dann nicht darum herumkommen würde, ihr von meinen Gefühlen zu erzählen. Es zeriss mir an manchen Tagen immer noch das Herz, wenn ich daran dachte, dass danach nichts mehr sein würde, wie früher. Innerlich bereitete ich mich schon darauf vor, dass sie spätestens dann unendlich sauer auf mich sein und wahrscheinlich nie wieder mit mir reden würde. Das kommt dir zugute, meldete sich die Stimme in meinem Kopf, bevor ich erschrocken hochschreckte, als ich mein Handy neben mir vibrierte. Erneut schlug mir das Herz bis zum Hals, doch diesmal war es nicht umsonst. Alinas Name flimmerte auf dem Display und als ich die Nachricht mit zitternden Fingern öffnete, überflogen meine Augen die Zeilen so schnell, dass ich sie zwei Mal lesen musste, bis ich wirklich verstanden hatte, was sie mir mitteilen wollte. Die wenigen Zeilen waren zwar etwas kryptisch, aber erfüllten ihren Zweck. Sie hatte endlich Zeit, sich mit mir zu treffen und das heute noch. Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr und tippte eine kurze Antwort, um ihr zu zeigen, dass ich da sein würde. In nicht einmal einer Stunde würden wir uns sehen. Alina hatte mir den Treffpunkt genannt und direkt angedeutet, dass sie mich nur mit dem Auto einsammeln würde. Ich mochte es, mit ihr zu fahren. Ich stieg sonst zu fast niemandem ins Auto, doch bei ihr fühlte ich mich sicher. Noch dazu hatte sie so nicht die Chance, mich allzu lange anzuschauen. Vielleicht würde es mir so leichter fallen, dieses Gespräch zu führen. Wenn wir uns nicht die ganze Zeit anschauen mussten und ich ultimativ wieder an ihren wunderschönen Augen hängenbleiben würde.

I Need You To Hate Me || girlxgirlWhere stories live. Discover now