15 - Fahrdienst

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Endlich ist Mittwoch und seit der Mittagspause befinde ich mich weit über dem Ereignishorizont eines schwarzen Loches. Der Tag will einfach nicht verstreichen. Die Zeit scheint rückwärts zu ticken. Möglicherweise liegt es daran, dass ich jede dritte Sekunde auf die Uhr starre, voller Hoffnung, mein Feierabend könne schon in Griffnähe sein.

Ich bin so unglaublich aufgeregt, denn heute Abend findet endlich der Kochkurs mit Chris statt! Den ganzen Arbeitstag lang konnte ich mich nicht fokussieren. Sehr zum Unmut von Patrick, der mir heute eigentlich die Basics des Verkaufes hätte beibringen sollen, nachdem ich gestern ja wirklich traurig daran gescheitert bin.

Die Uhr auf meinem Laptop scheint beschlossen zu haben, mich in den Wahnsinn zu treiben. Das Schwein und ich sitzen in einem Meetingraum und Patrick ist damit beschäftigt, mir eine Powerpoint-Slide zu zeigen, auf welcher er mir unseren Verkaufsprozess näher bringen will. Wir sind auf Folie sechsundachtzig und ich höre nicht mehr zu.

Vielleicht liegt es an den kargen Wänden dieses Zimmers, dass mein Gehirn den Fokus so schnell verliert und die Langeweile sich einnistet, oder vielleicht ist es schlicht Patricks monotone Stimme, die mich in ein geistiges Koma labert.

„Emma?", höre ich von weiter Ferne. „Hörst du mir überhaupt zu?"

In Gedanken bin ich nicht auf Folie sechsundachtzig, sondern bei Chris und seinen Lachfältchen. Patrick knallt den Ordner zu, der vor ihm liegt und lässt mich aufschrecken.

„Äh, ja", stottere ich und schüttle meinen Kopf, um die amourösen Gedanken zu vertreiben. Diese bleiben aber hartnäckig und betäuben meine Sinne.

Patrick legt den Kopf schief und stemmt seine Hände in die Hüfte. Er steht für seinen Vortrag schon die ganze Zeit und ich frage mich, ob ihm dabei die Füsse nicht schmerzen müssen. Wie können Menschen länger als eine Stunde am Stück stehen?

„Ach wirklich? Du scheinst hier nicht ganz bei der Sache zu sein." Der leicht angepisste Unterton ist deutlich hörbar.

Er klingt gerade wie ein Lehrer, der beleidigt ist, weil sein Unterricht so öde ist und die Schüler lieber einander Liebesbriefe schreiben, als sich seinen Lehren zu widmen.

„Doch, doch. Bin ich." Ich nicke energisch. Patrick seufzt und schüttelt dabei den Kopf. Meine Lüge hat er wohl erkannt.

„Ich gebe mir Mühe für dich. Da wäre bisschen Aufmerksamkeit das Wenigste, was du mir im Gegenzug geben könntest."

„Red nur weiter. Ich bin ganz Ohr", sage ich und klicke mit dem Kugelschreiber, um ihm anzudeuten, dass ich bereit bin, seinen Worten zu horchen und mir ganz wichtige Notizen davon zu machen.

Dass ich bisher noch keinen einzigen Satz mitgeschrieben habe und mehr gegähnt als zugehört habe, muss er ja nicht wissen. Patrick scheint mit meinem geheuchelten Interesse nicht zufrieden zu sein. Er setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber.

„Emma, ist es noch immer wegen ... wegen Freitag? Weil, wenn es das ist, dann hör mir bitte mal zu."

Auf Patricks Gesicht ziehen die Wolken auf, als hätte das Wetter plötzlich umgeschlagen. Er wirkt unheimlicher, wie er mich anblickt und über das sprechen möchte. Mir wird plötzlich unangenehm bewusst, dass ich mit ihm in einem Meetingzimmer sitze. Alleine. Mit Patrick – dem Kerl, der mich wie ein hungriger Löwe angefallen und Tage später die Funktionstüchtigkeit meiner Türklinke getestet hat.

Mein Magen zieht sich zusammen und ein bitterer Speichel bildet sich in meinem Mund, denn mir wird übel bei dem Gedanken, was am Freitag gewesen war. Ich will nicht darüber sprechen. Nicht mit ihm.

„Nein, das ist nicht wegen Fr–", will ich sagen, aber auch Patrick fällt mir ins Wort, wie jeder andere Mann auf diesem Stock.

„Ich war betrunken. Nicht ganz bei klarem Verstand. Habe mich nicht mehr richtig gespürt ... okay? Ich wollte nicht so über dich herfallen. Es ist einfach passiert ... Und tut mir leid, aber du hast mich so scharf gemacht mit ... wie du angezogen warst und wie du mich angeblickt hast ..."

HerzbruchversicherungWhere stories live. Discover now