Kapitel 56

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"Eure Hoheit, Sie müssen sofort in den Wagen steigen, die Presse ist schon versammelt..." Theresa huscht um uns herum und gibt ununterbrochen Befehle, sodass ich schon beginne mir Sorgen zu machen, ob sie kurz vor einem Herzinfarkt steht. Kaum hat sie Gideon und mich gemustert, rennt sie schon auf ihren viel zu hohen Schuhen auf einen der Sicherheitsbeamten zu und gibt diesem einen neuen Befehl. Und das bei fast 30 Grad Außentemperatur.

"Sie kann einen wirklich beeindrucken", schmunzelt Gideon, während er seinen Kopf schüttelt und mich zu der Kutsche führt. "Aber so wie sie drauf ist, wird sie es bis zur Hochzeit nicht mehr schaffen."

"Na ja sie hat die gesamte Sele.... Hey!", ich zucke zusammen, als Gideon mich plötzlich an meiner Hüfte greift und in die Kutsche hebt.

"Bei deinen Schuhen traue ich dir kein Stück", antwortet er und sieht mich besorgt an. "Du siehst aus, als würdest du nur auf ein Stück unebenen Boden warten, um dort umzuknicken."

"Nun ich habe sie mir nicht ausgesucht. Aber anscheinend sind Sneaker nicht angemessen für einen offiziellen Termin." Ich zucke mit meinen Schultern und lasse mich in den mehr als unbequemen Sitz der Kutsche fallen.

"Ich schreibe das auf die Liste der Sachen, die wir ändern werden", gibt er zurück und ich kann mich gerade noch zurückhalten die Augen zu verdrehen, als er sich neben mich fallen lässt.

"Dann wünsche ich dir viel Spaß dich mit Theresa darüber zu streiten. Wenn sie es auf ihre Liste schreibt, dann 10 Plätze unter der Tischplatzverteilung." Jetzt verdrehe ich wirklich die Augen.

"Ist es so schlimm ?", lacht Gideon und sieht zu, wie Theresa an unserer Kutsche vorbeihuscht, um die restlichen 8 Auserwählten in der 2. Kutsche unterzubringen. Anscheinend muss es dort ein Problem geben, denn sie sieht aus, als würde sie am liebsten auf etwas oder jemanden einschlagen.

"So wie es bis jetzt aussieht werden wir uns nach der Zeremonie nicht mehr sehen. Schließlich kann man New Asia nicht an den Tisch mit Russland setzen, aber sie würden sich beide gekränkt fühlen, wenn sie nicht am Haupttisch sitzen. Also werden wir aufgeteilt. Praktisch nicht ?"Ich schmunzele über sein verwirrtes Gesicht.

"Nun das würde ich sagen liegt auf der Liste wirklich höher, als die Schuhe. An wen muss ich mich wenden, wenn ich protestieren will ?", Gideon beugt sich zu mir herüber und ich zucke nur mit meinen Schultern.
"Theresa wird da nicht mit sich reden lassen", gebe ich zurück. "Aber du kannst es ja gerne versuchen."

"Glaub mir, das werde ich", erwidert er und legt seine Hand an meine Wange, um mich in einen Kuss zu ziehen. Kaum liegen seine Lippen auf meinen, ertönt ein Protestschrei.

"Eure Hoheit, denken sie an das Make-up! Die Kameras sind noch nicht einmal aufgestellt."

"Irgendwann feuere ich sie",verspricht Gideon schließlich mit einem Funkeln in seinen Augen.

"Am besten vor der Hochzeit", gebe ich zurück und lache.

Es ist super kitschig, als wir in unserer weißen Pferdekutsche den Palast verlassen und sich die Kolonne an Sicherheitsbeamten und sonstigen Würdenträgern in Gang setzt. Wenigstens darf ich sitzen bleiben und muss mich außer dem Winken auf nichts konzentrieren. Aber für Theresa und den Kanzler muss der heutige Tag zu den wichtigsten in der gesamten Selection gehören, den die Straße, welche in das Zentrum von Angeles führt, wurde bereits gesperrt und überall stehen Polizeibeamte und Palastwachen, um die Absperrungen zu kontrollieren. Aber der wirkliche Ansturm erwartet uns erst im Zentrum von Angeles.

Überall stehen Menschen hinter den Absperrungen und jubeln uns zu, während wir an ihnen vorbeifahren. Bestimmt 50 oder mehr Reporter stehen über die Strecke verteilt, kommentieren die Prozession und richten ihre Kameras auf uns.

"Einfach lächeln", entgegnet Gideon mir, als einer der schwarzen Palastwagen hinter uns auftaucht. Ich kann zwar nicht durch die getönten Scheiben sehen, weiß aber auch so, dass sich der Kanzler dort drinnen befindet. Es ist unglaublich heiß, während wir durch die Straßen ziehen, aber die Menschen scheinen es nicht einmal zu bemerken. Viele verrenken sich geradezu, um einen Blick auf uns zu erhaschen, jubeln und winken und zu. Ich bemühe mich zurückzuwinken und strahle in die Kameras, die auf uns gerichtet werden.

Man hat Fahnen an die Laternenmaste und Hausfassaden gehängt und überall weht das Wappen der königlichen Familie, eingebettet in die Farben Illéas. Die Menschenmassen nehmen kein Ende. Mit jeder Minute drängen sich mehr Menschen in unsere Richtung, Familien mit ihren Kindern, Journalisten und viele weitere hoffe, von uns wahrgenommen zu werden. Ich lächele und strahle zurück und dennoch ist da dieses dumpfe Gefühl in meinem Inneren, welches ich nicht loswerde. Es darf zu keinem Krieg kommen. Es geht nicht nur um mich oder Gideon, sondern auch um die zahlreichen Familien , welche zerstört werden würden. Gideon scheint meine Gefühle zu teilen, denn er greift nach meiner Hand und drückt diese leicht, während wir über das Kopfsteinpflaster in Richtung des Hafens fahren.

Um uns herum ist es so laut, dass ich hätte schreien müssen, um mich mit Gideon zu unterhalten. Auch das Rauschen des Meeres trägt schließlich dazu bei, dass wir weiter lächeln, als wir über die Strandpromenade fahren.

"Ich würde am liebsten aussteigen und hier direkt ins Meer springen", wie vorausgesagt schreit Gideon mir diese Worte geradezu ins Ohr.

"Dann kriegt Theresa aber wirklich einen Herzinfarkt", schreie ich zurück und schüttele nur meinen Kopf, während ich weiter lächele.

"Weißt du was, die ist mir im Augenblick sowas von egal",antwortet er und zieht mich zu sich. Ich weiß jetzt schon, dass es morgen überall in den Medien sein wird und, dass das genau das Gegenteil von dem ist, was Theresa oder der Kanzler geplant haben, aber in dem Moment ist es uns beiden egal. Ich erwidere den Kuss, halte mich an ihm fest, während wir weiter über die Straßen poltern.

Die ganze Tour soll um die 2 Stunden dauern, so habe ich Theresa jedenfalls verstanden, aber während ich hier im Wagen mit Gideon sitze, kommt mir die Zeit viel kürzer vor. Noch immer drängen sich die Menschen uns entgegen, viele winken, manche haben sogar Geschenke mitgebracht. Natürlich lässt keine der Wachen sie nahe genug herankommen, um sie uns zu geben und darüber bin ich froh, denn bei meinem Glück würde sich in einem Geschenk höchstwahrscheinlich eine Bombe befinden. Dann aber erhasche ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Etwas abseits von den Massen, erhöht auf einem kleinen Hügel, steht eine dunkelhaarige Frau und sieht mich an. Florentine Jenkins. Sie wartet auf etwas, eine Geste von mir, dass ich sie erkannt habe. Dies ist meine Chance erneut Kontakt mit den Rebellen aufzunehmen, ohne dass der Kanzler es mitbekommt.

Ohne zu zögern, hebe ich nun auch noch meine zweite Hand und winke in ihre Richtung, dabei habe ich alle 10 Finger deutlich abgespreizt. Einen Moment wirkt sie verwirrt, dann nickt sie und dreht mir den Rücken zu. Als ich das nächste Mal in ihre Richtung sehe, ist sie bereits verschwunden.

"Wir haben Glück", sagt Gideon schließlich,als wir die größten Menschenmassen hinter uns lassen und wieder auf die abgesperrte Straße einbiegen, welche zum Palast zurückfährt. "Sie haben für heute Abend und die nächsten Tage eine Gewitterwarnung herausgegeben. "

"Theresa wäre ohnmächtig geworden, wenn das ihre Pläne durchkreuzt hätte", gebe ich zurück und schmunzele.

Es ist kurz nach halb 10, als ich mich aus Gideons Gemächer stehle. Er selber ist noch in einer Besprechung, welche vermutlich noch 1-2 Stunden laufen wird. Draußen vor der Tür stehen wie immer mehrere Wachen, Edmund Waters ist bereits vor einer Stunde nach Hause gefahren. Sie sehen mich irritiert an, so als wüssten sie nicht, wie sie sich verhalten sollten. Innerlich führe ich einen Freudentanz auf, weil dies bedeutet, dass sie nicht zu den privaten Wachen des Kanzlers gehören können.

"Miss Sie können die Gemächer nicht verlassen. Befehl des Kanzlers", eine Wache, welche nicht älter als 20 aussieht, sieht mich vorsichtig an.

"Die Besprechung seiner Hoheit ist gleich zu Ende. Ich will ihn dort überraschen", eine Lüge, welche sie mir sofort glauben.

"Dann werden wir Sie begleiten", antwortet der Mann mir.

"Das wird nicht nötig sein. Ich muss den Ostflügel nicht einmal verlassen. Seine Hoheit hat mir versprochen, dass ich mich ab jetzt wieder frei bewegen darf."
Die Wachen sehen sich an und ich merke, dass keiner von ihnen wirklich überzeugt ist. Also muss ich meinen Trumpf ausspielen.

"Ich hatte es in der letzten Zeit sehr schwer", beginne ich und meine Stimme zittert leicht. Natürlich wissen sie das, es wurde auf den Befehl des Kanzlers in ganz Illéa ausgestrahlt. "Ich arbeite daran, aber die ganze Überwachung fällt mir nicht leicht. Ich fühle mich eingeengt, eingesperrt und je schlimmer diese Gefühle werden, desto schlechter geht es mir. Verstehen Sie das ? Denn sollte es schlimmer werden, wird sich seine Hoheit Sorgen machen und dann.." Ich muss den Satz gar nicht erst beenden. Die Wachen sind bereits zur Seite getreten. Wahrscheinlich haben sie die Drohung in meinen Worten gehört oder sie halten mich für die psychisch auffällige Frau, als die mich der Kanzler dargestellt hat. So oder so ist es mir egal.

"Solange Sie hier im Ostflügel bleiben, sollte das in Ordnung gehen", antwortet mir die eine Wache und ich lächele ihn dankbar an, ehe ich ihnen den Rücken zudrehe und im nächsten Korridor verschwinde.

Ein Blick auf die goldene Uhr, welche sich über dem Treppenaufgang befindet, zeigt mir, dass ich mich beeilen muss. Noch 10 Minuten. Wenn Florentine meinen Hinweis verstanden hat. Denn wenn nicht... Nein, den Gedanken verdränge ich. Darüber kann und darf ich im Augenblick nicht nachdenken.

Es ist bereits so spät, dass ich zum Glück niemandem auf den Fluren begegne, während ich meinen Weg fortsetze. Mittlerweile befinde ich mich im Südflügel, hier liegen die meisten Besprechungszimmer und Empfangssäle. In diesem Teil des Palastes kenne ich mich beinahe so gut aus, wie in meinem eigenen Zuhause. Ally und ich haben hier als Kinder Stunden verbracht, nach Geheimgängen gesucht und jeden Zentimeter erkundet. Nur deswegen weiß ich, dass es in der kleinen Bibliothek einen versteckten Ausgang gibt. Er liegt hinter einem Bücherregal und führt auf die Ausfahrt hinaus, über welche man auch den Haupteingang erreichen kann. Ohne zu zögern, greife ich nach dem Band mit dem Titel "Eine Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika" und aktiviere so den Hebel, welcher das Regal nach vorne ausschwingen lässt. Kaum bin ich hindurchgeschlüpft stehe ich vor der grauen Tür ohne Türknauf, welche Ally und ich vor über 5 Jahren entdeckt haben. Normalerweise reicht ein einfacher Stoß und die Tür öffnet sich, aber nicht heute. Jemand hat sie abgeschlossen.

"Suchst du das hier ?" Ich fahre plötzlich herum, als ich eine Stimme hinter mir höre. Gideon steht hinter mir und hält mir einen einfachen, kleinen silberfarbenen Schlüssel entgegen. Ich kann ihn einfach nur geschockt anstarren.

"Nun ich hätte dir vielleicht sagen sollen, dass ich informiert werde, sobald du die Zimmer verlässt. Anordnung des Kanzlers", er zuckt mit seinen Schultern, starrt mich aber immer noch mit seinen durchdringenden Augen an. "Und ich muss sagen ich habe noch nie einen Befehl für sinnvoller gehalten, als jetzt."

"Gideon ich...", ich kann den Satz nicht einmal beenden, schon fällt er mir ins Wort.

"Nein. Du wirfst mir vor ich würde dir nicht vertrauen und jetzt tust du dasselbe. Wie stellst du dir das vor ? Du verlässt mitten in der Nacht den Palast und niemand kriegt es mit ? So bescheuert kannst selbst du nicht sein, Emma."

"Ich habe keine andere Wahl", gebe ich zurück und schüttele nur meinen Kopf. "Es ist meine Aufgabe und wenn ich den Kanzler nicht bald gestellt bekomme, dann..."

"Es ist mein Königreich, wenn einer das regeln muss, dann ich." Gideon ist immer noch sauer.
"Und ich werde nicht zulassen, dass du dich weiter in Gefahr begibst."

"Das hast du nicht zu entscheiden", kontere ich. "Wenn ich es tue, dann ist das meine Entscheidung." Ich seufze, ehe ich meine Hand ausstrecke. "Gibst du mir den Schlüssel jetzt ?"

"Nein." Ich hatte mit dieser Antwort bereits gerechnet. "Dann werde ich es woanders probieren", trotzig gehe ich einen Schritt zurück und drehe mich um.

"Du meinst die Treppe, welche in den Keller unterhalb des Palastes führt und den Lüftungsschacht ?" Er grinst mich an, während ich ihn einfach nur verwirrt ansehe.
"Ich kenne die Gänge besser als du. Also gehen wir ?", er steckt den Schlüssel in das Schloss und öffnet lautlos die Tür. Mit einem Ruck schwingt sie auf und gibt uns den Blick auf den dunklen Himmel und die sich ankündigen Gewitterwolken frei.

"Du wolltest mich doch nicht gehen lassen", erinnere ich ihn.

"Ich werde dich nicht alleine gehen lassen. Also, wo willst du hin ?" Er reicht mir seine Hand und ich ergreife sie. Kaum haben wir den Palast verlassen, beginnt es in Strömen zu regnen. So stark, dass ich die Person, welche am Rand der Auffahrt auf uns wartet, fast nicht erkannt hätte.

"Ihr habt euch Zeit gelassen." Entgegnet Florentine Jenkins uns. "Ich habe dort vorne ein Auto stehen, bis jetzt wurde es noch nicht entdeckt, aber ich rechne jede Sekunde damit." Und um keine Zeit zu verlieren, folgen wir ihr, den Kopf gesenkt, um uns vor dem Regen zu schützen.

~A Light In The Dark~Where stories live. Discover now