4. Kapitel

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Der nächste Morgen war angebrochen und ich erinnerte mich zu gut an unser gestriges Gespräch. Was er jetzt wohl dachte? Irgendwie war er ja durchaus... sympathisch. Aber ich wusste, dass ich es leider nicht war. Sicherlich hatte ich mit der Art wie ich war, einen schlechten Eindruck hinterlassen. Doch selbst wenn es so war, war etwas Derartiges in einer so kaputten Welt überhaupt noch bedeutsam? Ein lautloses Seufzen verließ meine Lippen und ich fuhr mir mit der Hand einmal übers Gesicht, hoffend, dass diese Gedanken endlich verschwinden würden. Sie taten es allerdings nicht. Es waren eben Gedanken und keine Mücken die sich mit der Hand verscheuchen ließen. Leise setzte ich mich auf, erst da bemerkte ich den intensiven Blick meines Zimmernachbarn. "Worüber hast du nachgedacht?", fragte er schließlich. Seine Stimme war allerdings nicht das einzige, was die Stille durchschnitt. Genauso wie das, was er sagte, war draußen der pfeifende Wind, die spielenden Kinder und die Geräusche des Lebens. Still schluckte ich. Anders als ich es erwartete, saß er einfach geduldvoll da und schien seine Lebenszeit aufzuopfern, bis ich doch eine Antwort gab: "Über den Eindruck, den ich bei dir hinterlassen habe. Wie kaputt diese Welt ist... und... wie sinnlos das Leben doch erscheint."

Nun herrschten wieder keinerlei Geräusche. Als würde jedes Mal, wenn ich den Kontakt zu ihm unterbrach, die ganze Welt anhalten. Mein Blick hob sich etwas mehr, bis er sich mit dem von Sawamura kreuzte. Sichtlich erschauderte ich, während mein Herz schneller klopfte. Normale Leute würden jetzt wohl sagen, sie seien verliebt, doch ich wusste es besser. Es war diese verdammte Angst, die mir schon seit Jahren in den Knochen saß. Ich erinnerte mich an keine Zeit, in der ich keine Angst hatte. Weswegen auch immer, ich fand wohl immer einen Grund. Ob es nun die Augen der Menschen um mich wahren, die Wände die sich mir annäherten oder die plötzlich unendliche Weite des Marktplatzes. Überall beherrschte sie mich und genau das war das Problem. Es war nicht die Angst selber, es war die Tatsache, dass sie überall war. Ich hatte sozusagen Angst vor der Angst, weswegen ich das Haus, mein Zimmer, fast nie verließ. Schon wenn ich nur die Treppen hinab ins Wohnzimmer lief, verfolgten mich Sorgen und Ängste wie ein Schatten. Es bestand eben die Möglichkeit, dass die Treppe zusammenstürzte, ich stolperte, mich dumm anstellte, mir in den Finger schnitt! Der sicherste Ort war unter meiner Decke, da wo ich nichts sah, wo mich niemand sah und störte. Es war ein Ort, wo ich Ruhe und Verborgenheit verspürte. Ein Ort der nur mir gehörte.

Erst als ich eine warme Hand auf meiner Schulter spürte, sah ich perplex auf, schnappte nach Luft und sah in diese zum Sterben schönen Augen. "Warum weinst du, Sugawara?" Seine Stimme war ruhig, wie ein uralter Stein. Genau das beruhigte und beunruhigte mich zugleich. Er klang so gleichgültig, dass ich nicht wusste, was in ihm vorging. Langsam zog seine Hand sich zurück. "Ist es überhaupt in Ordnung, wenn ich ihn anfasse?" Daichi schien mit sich selbst zu reden und das, obwohl er direkt vor mir stand, mir in die Augen sah und doch wieder nicht. Jeder kannte es doch, wenn man die Luft anstarrte, um etwas mit seinen Gedanken zu spielen. Genau diese Art von Blick hatte er. Sein Blick war leer, kühl und gefüllt von dem Nichts, dass ich so oft in meinem Herzen verspürte. Anstatt zu antworten, starrte ich ihn sekunden-, wenn nicht minutenlang, an. Es dauerte, bis mein Atem sich beruhigte, ich ihn ohne Denken einfach in eine kurze Umarmung zog. Für den Hauch einer Sekunde fühlte ich mich in seinen Armen sicher. Daraufhin stand ich dann auf, wischte mir die Tränen mit meinen Ärmeln weg, um schweigend, leicht zitternd vor Aufregung, mein Handtuch zu nehmen und im Badezimmer zu verschwinden.

Langsam sank ich an der Türe hinab. Man konnte nicht abschließen, es gab keine Stöpsel, nur begrenzt Toilettenpapier und eine Dusche die nur eine Temperatur hatte. Es war sozusagen wirklich... eingeschränkt. Ich meine, wenn sich hier wirklich jemand umbringen wollte, würde er seine Wege finden. Einen Tablettenschrank, genügend Tücher um den Abfluss zu verstopfen und sich zu ertränken oder etwas Ähnliches. Nun ja die stumpfen Messer in der Küche sprachen wohl für sich selbst, aber man konnte mir nicht erzählen, dass es nicht doch irgendwo schärfere gab. Still machte ich mich fertig, wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser ab und putzte meine Zähne. Kurz darauf kam ich wieder raus. Der Brünette war wie vom Erdboden verschluckt, doch ich wunderte mich nicht. Nach so einer seltsamen Aktion von ihm hätte ich womöglich auch das Weite gesucht. Wobei es wahrscheinlich doch eher an mir lag, immerhin war ich alles andere als normal. Ich war abartig, seltsam und ekelhaft. Am liebsten würde ich mich selber nie berühren, aber ich hing eben in dieser Haut fest. Das konnte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ändern, das war eine wahrliche Tatsache. So gerne ich den nächsten Sprung nehmen würde, die Chance es zu beenden nutzen wollte, so wenig konnte ich es. Es lag nicht an den Menschen, die hier auf mich hofften, das tat wohl keiner, aber es ging mir darum, dass es der falsche Moment war. Hier waren keine Sprünge und eine Chance hatte man mir noch nicht gegeben. Vielleicht musste ich einfach länger ausdauern und darauf warten. Sobald all das hier vorbei war, würde ich dem ganzen ein Ende setzen.

"Warst du schon frühstücken?"
Stand ich die ganze Zeit regungslos im Raum? Mein Gesicht wurde blass, während ich zu ihm aufsah. Langsam, aber sicher kam etwas Regung in mein Gesicht zurück. Also schüttelte ich verneinend den Kopf. Immer trockener wurden meine Lippen, ehe ich schnell aus der Tür schritt. Fast wäre ich in eine ganze Gruppe etwas Jüngerer gelaufen. Stur war mein Blick auf den Boden gerichtet, während meine Schritte schneller wurden. Bei jedem Schritt, den ich tat, verlor ich mehr die Orientierung. Was genau ich suchte, wusste selbst ich nicht, aber die ganzen Menschen begünstigten meine Verwirrung, meine Angst nur mehr. Immer wieder stieß ich fast mit ihnen zusammen, bis ich draußen auf einer vereinsamten Betontreppe innehielt, einfach in den klaren Himmel starrte. Wann und vor allem wie war ich hier hergekommen?

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