2. Kapitel

93 8 2
                                    

Der zweite Tag war angebrochen. Ich musste gestern schließlich einfach eingeschlafen sein, was ich daran erkannte, dass die große Sporttasche noch immer auf dem Bett lag. Es war sicherlich erst fünf Uhr morgens, denn ich war von alleine aufgewacht und es war kein Betreuer in Sicht. Zum ersten Mal seit fast Vierundzwanzig Stunden war ich wieder entspannt. Erleichtert atmete ich auf, um nun im Sitzen meine Tasche zu durchsuchen. Meine Mutter hatte mitgedacht und das Tuch mit den Planeten, sowie Sternbildern eingepackt. Ein Lächeln malte sich auf meine Lippen. Ich liebte dieses verdammte Stück Stoff. Mit diesem konnte ich mich immer wieder in fremde Welten Träumen. Notgedrungen musste ich das ganze mit Tesafilm anbringen, normalerweise hatte ich kleine Pinnägel, doch da diese hier nicht erlaubt waren, blieb mir nur Klebeband. Träge stand ich auf, um noch meine restlichen Sachen auszuräumen. Schnell war die Kleidung in den Schrank geräumt, sowie die Deko auf den kleinen Schreibtisch gestellt. Schweigend fiel ich auf den Stuhl, begann einfach meine Gedanken niederzuschreiben. Wie ein Schwall an Wasser flossen die Wörter aus mir. Zügig schrieb ich alles in geschwungener Schrift nieder, bis plötzlich die Tür aufging. Ich zuckte zusammen und blickte erschrocken über die Schulter. „Sie sind ja schon wach", stellte der andere leicht überfordert fest. Wie in Zeitlupe nickte ich, ehe ich mich erhob. „Ich nehme an, dass Frühstück findet jetzt statt?", hinterfragte ich leise. Der Betreuer bejahte dies.

———————————

Ich hatte mich umgezogen und war anschließend in den Speisesaal gegangen. Da es noch recht früh war, war eben dieser noch ziemlich leer. Somit stellte dieser für den Moment kein allzu großes Problem dar. Stumm aß ich das Müsli, welches ich zuvor an der Theke geholt hatte. Ruhig leerte ich die Schale, um schließlich das Tablett wegzubringen und wieder auf mein Zimmer zu gehen. So viele Menschen... Sie alle kamen mir entgegen. Starrten sie mich an? Dachten sie ich sei ein Freak? Spürbar begann mein Körper zu zittern, ließ meinen Kiefer klappern. Meine Knie wurden weicher und weicher, während ich mich immer mehr in meine Angst reinsteigerte, dies allerdings auch nicht unterdrücken konnte. Schnell huschte ich durch die Tür, um mich unter der Decke zu verstecken. Der Schweiß rannte meine Stirn hinab, mein Herz raste und ich wollte am liebsten sterben. Mit zitternden Fingern krallte ich mich in das schneeweiße Laken, welches durch das schwache Licht, ein warmes Grau angenommen hatte. Mein gesamter Körper zitterte wie Espenlaub, während ich damit kämpfte meine Atmung wieder in den Griff zu kriegen. Immer mehr schnappte ich nach Luft, kam gar nicht mehr aus dem tiefen Loch meiner Angst heraus. Die Minuten verflogen, in denen ich eine hüglige Fahrt an Emotionen auf mich nahm, schluchzend unter der Bettdecke lag. Sicherlich war der Bezug der Matratze bereits voll von meinen Tränen. Würde ich dafür Ärger bekommen? Verängstigt wimmerte ich und krallte mich schließlich an das schmalen Kissen. Verkrampft hing ich nun also an diesem, kniff die Augen zu.
Lass es doch einfach vorbei sein...

———————————

Es war Mittag. Die warme Sonne schien in das sonst so kühle Zimmer. Immer wieder erschauderte mein Körper, ehe ich das Fenster kippte und die frische Herbstluft in das Zimmer ließ. Vorsichtig wagte ich es den Duft der Freiheit zu genießen. Unsicher stützte ich meinen Körper auf der Rückenlehne des Stuhls ab, ehe jemand die Tür aufriss, was mich zusammenzucken ließ. „Es gibt jetzt Mittagessen", gab der junge Mann ruhig von sich. Es war wieder Takeda der mich durch seine braunen Augen musterte. Stumm nickte ich, bewegte allerdings keinen Muskel. „Wollen sie-", ich unterbrach ihn kopfschüttelnd: „Ich kann nicht! Das ist zu viel für mich." Stumm trat er in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Unsicher drehte ich mich um, wich aber sogleich gegen den Stuhl zurück. „Wenn es ihnen hilft, könnte ich auch etwas zu essen bringen. Es wirkt vielleicht nicht so, als ob die Klinik auf ihre Patienten zugeht, allerdings kommt es hierbei immer auf Therapeut und begleitender Betreuer an. Und da sie neuerdings einen Therapeuten-, beziehungsweise Psychologen-Wechsel hinter sich haben, können sie sich nun etwas mehr entspannen", erklärte er mir, was mich doch etwas hellhöriger werden ließ. „Therapeuten-Wechsel?", fragte ich leise. „Ja sie sind jetzt bei Herrn Ukai... Er hat gerade eine Praktikantin... Ich denke, ihr Name war.. Shimizu..? Kiyoko Shimizu", stellte er mir die noch Unbekannten vor. Ein schwaches Lächeln malte sich nun doch auf meine Lippen. „Vielen Dank! Ja, ich denke, es wäre besser, wenn sie mir das Essen bringen würde", bat ich schließlich. Er nickte. Innerhalb kürzester Zeit war er auch schon verschwunden, dabei wollte ich gerade noch Fragen stellen...

———————————

Zehn Minuten später klopfte es, worauf der Betreuer eintrat. Er reichte mir das Tablett mit Essen, was mich dankend nicken ließ. Die Unsicherheit war wie verflogen und ich freute mich einfach über die Mahlzeit, welche ich in Frieden einnehmen konnte. Keine fremden Menschen, keine lauten Geräusche, einfach nur der rauschende Wind in den Bäumen, welche vor meinem Zimmer waren. „Bevor sie gehen..", forderte ich nochmals nach seiner Aufmerksamkeit, „Sie sagten ich bekomme einen Mitbewohner." „Ihr Mitbewohner kommt Morgen... Ein junger Mann mehr darf ich ihnen aus rechtlichen Gründen nicht sagen." Zufrieden nickte ich und setzte mich an den Schreibtisch, um dort zu essen. Ich hörte noch wie er den Raum verließ, ehe ich begann zu speisen. Es gab Pommes mit Chicken-Nuggets, die es alternativ auch ohne Fleisch, sondern mit Gemüse gab. Entspannt saß ich also dort, schob mir immer wieder eine Fritte rein und blickte stumm aus dem Fenster. Es war so friedlich, dass ich häufiger vergaß, wo ich war. Plötzlich wirkte die Klinik nicht mehr wie eine Klinik, sondern viel mehr wie ein wohliges Heim. Dennoch behielt ich im Hinterkopf, dass dies nicht lange anhalten würde. Mein Blick glitt auf die andere Zimmerseite, welche noch immer so kalt und leblos war. Ja ich würde nicht alleine hier bleiben, genau das verunsicherte mich. Was wenn der andere mich seltsam finden würde? Ein Problem mit mir hätte? Mein Körper erschauderte und ich stoppte zu essen. Wie sonst auch, wenn diese Gedanken in mir aufpoppten, wurde mir schlecht, ja schon eher kotzübel. Schnell hatte ich den Mülleimer geschnappt, krümmte mich über diesem und spürte wie mir die Brühe im Mund zusammenlief, ehe das zu Beginn noch flüssige Essen den Rückweg antrat. Hustend hing ich also über dem Eimer, erbrach alles, was gerade nur so ging. Zitternd klammerte ich mich an den Eimer, aus welchem der miefende Geruch kam. Mit zitternden Beinen stand ich auf, ließ den Eimer stehen und nahm den kleinen Drücker an meinem Bett. Sozusagen ein Notfallknopf, falls alles aus den Rudern lief. Es war das Einzige, an das ich mich gerade so wirklich wenden konnte...
Komm schon Takeda!! Jetzt! Bitte! Flehend drückte ich immer wieder den Knopf, ehe die Tür aufgerissen wurde. Der Schwarzhaarige sah mich erschöpft an, sein Atem ging schnell. Hoffentlich irrte ich mich nicht in ihm. Er erblickte den Eimer und nickte nur knapp. „Wollen sie ihren Psychologen sehen?", fragte er leise. Mir standen bereits die Tränen in den Augen, mein Kopf pochte und ich dachte nach, ehe ich nickte. Er würde mir helfen... nicht?

———————————

Das Gespräch hatte mehr bewirkt als ich dachte. Klar musste ich den Therapeuten erstmal kennenlernen und er war mir zu Beginn durchaus suspekt, doch an sich schien er eine gute Person. Die störrischen blonden Haare, der desinteressierte Blick und der genervte Gesichtsausdruck hatten mich zu Beginn doch ziemlich beeinflusst. Doch er hatte mich einfach ernst genommen, hatte mir beigestanden und seine ersten Gedanken und Vorschläge geäußert. Bevor es allerdings überhaupt zu dieser Konversation kam, erzählte er mir wenige Fakten über sich. Sein voller Name war Keishin Ukai. Zudem war er "leidenschaftlicher" Raucher. Zumindest war ich jetzt entspannt und konnte mich in einen Raum zurückziehen, der nicht mehr nach Erbrochenem roch. Erleichtert brummend fiel ich auf mein Bett. Bei Ukai hatte ich unter anderem etwas Wasser bekommen. Stumm nahm ich meine Flasche und trank einen Schluck. Nach einigen Minuten war ich auch schon im Land der Träume. Es war mittlerweile später Nachmittag, somit war es mehr als legitim, dass ich nun in einen recht friedlichen Schlaf sank.

———————————

Wordcounter: 1350 Wörter

Broken [Daisuga || HaikyuuFF]Where stories live. Discover now