Kapitel 56

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Mein ganzer Körper stand unter Strom.

Noch bevor meine Grenzwachen Alarm geschlagen und mich über ihr kommen informiert hatten, hatte ich ihre Absicht gespürt.

In dem Moment, in dem sie ihre Entscheidung getroffen hatte, war über unsere Verbindung das Gefühl von Angst aber auch von Entschlossenheit zu mir getragen wurden.

Mit jeder Faser meines Körpers hatte ich ihre Aufgeregtheit gespürt, die meine eigene nur noch beflügelt hatte.

Seitdem war ich ein emotionales Wrack im Inneren, das drohte in einem Meer aus Alkohol und Botenstoffen zu ertrinken.

Im harten Kontrast zu meinem Innenleben stand mein äußeres Erscheinungsbild.

Wie immer verzerrte keine einzige Regung meine Gesichtszüge, wie mir ein Blick in das spiegelnde Glas meines Bürofensters verriet.

Mein Antlitz ähnelte dem in Stein gehauenen Abbild eines Kriegers.

Die perfekte Maske.

Bitternis sammelt sich in meinem Mund an, die ich mit einem Schluck puren Whisky meinen Hals hinunter spüle.

Ich setze gerade das Glas an die Lippen, um es in einem Zug zu leeren, als ein Ruck durch meinen Körper geht und ich wie eingefroren in der Bewegung inne halte.

Noch bevor ich ihre leichtfüßigen Schritte, sowie das schnelle Schlagen ihres Herzens höre, spüre ich intuitiv ihre Präsenz.

Sämtliche meiner Muskeln spannen sich an, während ich in meiner Haltung verharre und der unregelmäßigen Atmung meiner Seelenverwandten vor der Tür meines Büros lausche.

Dieses Geräusch ist wie Musik für meine Ohren, erinnert mich zur gleichen Zeit aber an einen der schlimmsten Momente in meinem Leben zurück.

Den Augenblick, in dem dieses Geräusch aussetzte.

Der Moment indem meine Seelenverwandte um ein Haar durch meine Hand gestorben wäre.

Gerade als ich erneut in meinen Schuldgefühlen ertrinken will, öffnet sich die Tür und die wohl atemberaubendste Frau der Welt tritt in mein Büro.

Ihr Gesicht ist erhitzt und von einer leichten Röte überzogen, die das leuchtende Grün ihrer Augen betont.

Ihre roten Haare fallen ihr ungebändigt in Wellen über die Schultern.

Ihre Präsens nimmt mich wie immer vollkommen ein und macht es mir unmöglich, auch nur noch einen klaren Gedanken fassen zu können.

Schon als ich Saoirse zum ersten Mal sah, hatte ich die Gewissheit, sie würde mein Untergang und meine Rettung zu gleich sein.

Mein Blick gleitet über ihre Silhouette und bleibt an ihrem Hals hängen, an dem sich noch die Abdrücke, die meine Zähne hinterlassen haben, erkennen lässt.

Dieser Anblick reißt mich aus meiner Starre und weckt erneut Zorn und Selbsthass in mir.

Auch wenn es nie meine Absicht war meine Seelenverwandte ernsthaft zu verletzten, so hatte ich es dennoch getan.

Und mehr als das, hätte ich nur ein bisschen fester zugebissen und wären meine Zähne tiefer in ihren Hals vorgedrungen, so hätte ich ihr Leben beendet.

Die Gewissheit, dass auch mein Dasein auf dieser Welt nach ihrem Tod nur noch von kurzer Dauer gewesen wäre, erfüllt jede Zelle meines Körpers.

Die Gewissheit, dass ich für immer von ihr getrennt gewesen wäre.

Denn es gäbe keinen Weg, in dem ich jemals zu ihr in den Himmel aufgestiegen wäre.

Stattdessen wäre meine unsterbliche Seele durch die Dunkelheit geirrt, rastlos und im ewigen Kampf mit meinen inneren Dämonen.

SaoirseDonde viven las historias. Descúbrelo ahora