Kapitel 21

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Wir lassen die Zelle hinter uns und durchqueren den kalten, eintönigen Korridor um zu dem Fuße der Wendeltreppe zu gelangen.

Jede Stufe der Stahlkonstruktion, die ich erklimme lässt mir ein Stück weit eine Last von den Schultern fallen.

Meine Ängste und Sorgen lasse ich in der Dunkelheit hinter mir zurück, begraben unter Tonnen von Gestein.

An einem Ort an dem ich mich fast selbst verloren hätte.

Fast.

Je höher Lin und ich also schweigend steigen, desto leichter wird mir und auch meinen Mundwinkeln gelingt es nun zunehmend der Schwerkraft zu trotzen.

Diese Regung ist meine Gesichtmuskulatur schon gar nicht mehr gewöhnt, weswegen der erste Versuch eher Ähnlichkeit mit einer Grimasse anstelle eines Lächelns haben muss.

Das grelle, künstliche Licht das die Neonröhren über unseren Köpfen absondern trägt ebenfalls seinen Teil dazu bei, das mein Gesicht völlig verzerrt ist.

Im Augenwinkel sehe ich wie mir Lin aufgrund dessen mitfühlende und reuevolle Blicke zu wirft, doch ich blende sie aus und lege meinen Fokus einzig und allein auf die sich nährende Felsspalte vor uns.

Auf meinen Weg in die Freiheit.

Und auch wenn diese wohl eingeschränkt sein wird, ist sie alle Male besser als in der von Dunkelheit und Einsamkeit regierten Zelle einsperrt zu sein.

Kurz vor dem Riss verringere ich mein Tempo schließlich um Lin, die bis zu dem Moment neben mir lief, den Vortritt zu gewähren.

Sichtlich erstaunt hebt sie den Kopf und lächelt mich vorsichtig an, ehe sie nach draußen eilt.

Anders als man vielleicht denken könnte war dies keineswegs ein Zeichen von Unterwürfigkeit meinerseits, sondern viel mehr taktisch orientiertes Denken.

Somit bleibt mein von Blut verkrusteter Hinterkopf schließlich fürs Erste ungesehen.

Kurz bevor ich ebenfalls den entscheidenden Schritt in Richtung Selbstbestimmtheit gehe, halte ich jedoch für einen Moment inne und schließe die Augen.

Ich nehme mir die Zeit um mich ein letztes Mal zu sammeln, aus meinen Erfahrungen zu lernen und um so viele wie möglich negative Gedanken aus meinem Gedächtnis zu verbannen.

Nachdem ich meine innere Ruhe gefunden habe und mich mit mir selbst im Reinen fühle, schlage ich meine Augenlider erneut auf.

Anschließend trete ich mit einem neuen Blick auf die Welt und ohne noch einmal zurück zu schauen dem Sonnenlicht entgegen.

Und dieses Mal lasse ich mich nicht blenden.

So wie ich es mir schon gedacht habe, folgen wir nun dem ausgetretenen Pfad, welcher zurück zu der Siedlung der Gestaltwandler führt.

Meiner eigenen wölfischen Seite gefällt es natürlich nicht sich wieder dem Lager der Feinde zu nähren, weswegen ich zunehmend unruhiger werde.

Lin, die mir immer wieder verstohlen Blicke zu wirft entgeht dies natürlich nicht.

Vermutlich rechnet sie insgeheim damit das ich jeden Moment durchdrehe und versuche zu Flüchten.

Kurz bevor wir schließlich die Siedlung erreichen gelingt es mir mich zu zügeln und die Oberhand über mein Verhalten zurück zu gewinnen.

Sofort strahle ich Gelassenheit aus, die auch nach kurzer Zeit von der Brünetten vor mir Besitz ergreift.

Anders als beim letzten Mal verstecke ich mich dieses Mal beim durchqueren der Straßen nicht hinter meiner feuerroten Wallemähne, sondern schreite mit hoch erhobenen Haupt an den gaffenden Rudelmitgliedern vorbei.

Schließlich endet unsere Wanderung vor einem, mir bekannten, roten Holzhaus mit weiß angestrichener Tür.

Kurz zögert Linnea ehe sie selbstbewusst die wenigen Stufen zum Hauseingang emporsteigt und anschließend mit großen Schritten in ihr Zuhause marschiert.

Mir bleibt nichts anderes Übrig als mich an ihre Fersen zu hängen.

Alles war so wie bei dem letzten Mal an dem ich hier gewesen war.

Und doch fehlte etwas.

Ein Gefühl.

Dieses eine Gefühl, das aus einem ganz normalen Haus dein Zuhause machen kann.

Diese Atmosphäre von Geborgenheit.

Trotz der Tatsache das Haargenau die selben Möbel den hellgehaltenen, offenen Wohnbereich füllten und der selbe, charakteristische Geruch nach Rosen, frisch gebackenen Keksen und einem Hauch maskulinen Aftershaves in der Luft hing, spürte ich sofort den fehlenden Flair an diesem Ort.

Ich fühlte mich plötzlich so, wie ich es in jedem anderen x-beliebigen Haus tun würde.

Fremd.

Linnea schien zu bemerken, das ich etwas verloren im Wohnzimmer zurück geblieben war, weswegen sie aus der Küche huschte und die zwischen uns gähnende Stille brach, „Wenn du magst kannst du ja erstmal in dein Zimmer gehen und dich etwas ausruhen und frisch machen. So eine Dusche bewirkt wahre Wunder.. danach fühlt man sich immer wie ein völlig neuer Mensch“.

Während die Worte wie ein Wasserfall aus ihrem Mund quollen, zog ich es vor weiterhin zu schweigen und ihr nur den Anflug eines Lächelns als Antwort sowie ein knappes Kopfnicken zu schenken.

Mit mehr schien mein Gegenüber wohl auch nicht als Antwort gerechnet zu haben, denn sie erwiderte mein Lächeln, nur das das ihre um einiges strahlender war.

Daraufhin wende ich ihr den Rücken zu und schlage den mir vertrauten Weg ins Obergeschoß ein.

Und während ich eine Stufe nach der anderen nehme verfolgt mich neben ihren eben gesagten Worten auch ihr Blick, der mir eine feine Gänsehaut beschert.

Nachdem ich schließlich, nach Linneas Äußerung, die Tür zu “meinem“ Zimmer erreicht habe, lasse ich sie links liegen und betrete anstelle dessen das dunkel gehaltene Bad.

Es ist fensterlos und wird an den Wänden von Holzbrettern aus Ebenholz verkleidet.

Eine Vielzahl von brennenden Kerzen und zwei antike Lampen, welche den großen, runden Spiegel gegenüber der offenen Dusche zieren, spenden ein diffuses Licht.

Erschöpft schäle ich mich aus meinen etwas verdreckten Klamotten und öffne meine, bis dato in einem unordentlichen Zopf zusammengefassten Haare.

Sofort fallen mir die roten Zotteln zerzaust und bevölkert von Knoten über die schmalen Schultern.

Mit einem Seufzen steige ich grazil in die in schwarzes Mosaik eingekleidete Dusche und schalte die an der Decke befestigte Regendusche ein, ehe ich mich auf ihrem Boden gleiten lasse.

Zusammen gekauert beobachte ich wie der Dreck vom Wasser in kleinen Sturzbächen von meiner Haut abgetragen wird und im Abfluss verschwindet.

Nachdem mein ganzer Körper nur so vor Reinheit glänzt und ich meinen Gedanken einer kleinen Ewigkeit nachgehangen habe, verlasse ich schweren Herzens den einem Regenschauer gleichendem Wasserstrahl.

In ein cremefarbenes Frotteehandtuch gehüllt stelle mich schließlich vor den Spiegel und entgegen Linneas Vorhersage starre ich immer noch in die selben, vom Leben gezeichneten blau-grauen Augen wie zuvor.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt