Prolog

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Es ist dunkel.

Es ist immer dunkel in diesem Raum.

Eine einzige Person liegt zusammen gekauert in der Ecke und wartet.

Worauf sie wartet, weiß sie nicht.

Auch wie lange sie schon in diesem Kerker ist, weiß sie nicht.

Das einzige Licht, welches sie regelmäßig sieht, ist, wenn die Tür kurz geöffnet wird, um ihr ein Tablett mit einer trockenen Scheibe Brot und einem Becher, gefüllt mit stillem Wasser, in den Raum zu schieben.

Ihre einzige Nahrung seit Tagen... Wochen... Monaten... vielleicht auch schon Jahren. Sie hat aufgehört, sich diese Frage zu stellen.

Am Anfang ihrer Gefangenschaft wurde sie noch so manches Mal aus diesem Raum hinausgeführt. Sie kam in ein hell erleuchtetes Zimmer.

Es schaudert sie bei dem Gedanken daran. Sie hat diesen anderen Raum noch mehr gehasst, als die Dunkelheit, in der sie sich nun befindet.

In diesem hellen Raum sind schlimme Dinge passiert. Dinge, die sie gerne aus ihrem Gedächtnis entfernen würde, wenn sie es könnte. Dinge, die man nicht mal seinem schlimmsten Feind wünscht.

Und alles nur, um an Informationen zu kommen. Doch sie haben sich an ihr die Zähne ausgebissen. Nicht ein Wort ist über ihre Lippen gekommen. Sie war schweigsam, wie die Steine an der Wand.

Ihr letzter Kontakt zur Außenwelt, außerhalb der Reihen des Dunklen Lords, war ihr erster, offizieller Auftrag für den Orden des Phönix.

Das war im Jahr 1980. Sie hatte sich gerade ein kleines Haus an der Küste gekauft. Ihr Bruder hatte geheiratet und erwartete ein Kind. Einen Jungen, den der Dunkle Lord irgendwann als Erzfeind und größte Gefahr sehen sollte.

Warum es dazu kam, weiß sie nicht. So viele Informationen hatte sie von den Todessern damals nicht erhalten. Als der Dunkle Lord dann loszog, um den kleinen Jungen zu töten, wurde ihr, als Schwester des Vaters, das Vorhaben natürlich berichtet.

An dem Tag, wo der Dunkle Lord losgezogen ist, wurde sie zum letzten Mal in das hell erleuchtete Zimmer gebracht. Die Todesser hatten die Hoffnung, dass sie einknicken und doch etwas verraten würde. Sie täuschten sich.

Ihr war bewusst, dass die Informationen ihren Bruder nicht retten könnten und sie musste darauf vertrauen, dass der Orden ihn und seine Familie beschützen würde. Wieder wurde sie aufgrund ihres Schweigens gefoltert.

Für sie dauerte es eine Ewigkeit bis die Schmerzen aufhörten und ein weiterer Todesser den Raum betrat. Dieser berichtete, dass ihr Bruder und seine Frau ermordet wurden, jedoch der dunkle Lord verschwunden war.

Die Todesser waren sehr wütend und folterten sie noch den ganzen restlichen Tag, bis sie irgendwann genug von ihrem Geschrei hatten. Sie wurde zurück in den dunklen Raum gesperrt, den sie seit dem nicht wieder verlassen hatte.

Ihre Trauer über den Tod ihres Bruders und ihrer besten Freundin verlieh sie Ausdruck, in dem sie viele Tränen vergoss. Zu ihrer Trauer kam die Sorge um ihren Neffen, den sie nie treffen würde bzw. durfte. Sie machte sich auch viele Vorwürfe, dass sie damals, als sie gefangen wurde, besser hätte aufpassen sollen. Sie hätte ihnen helfen können, wäre sie nicht gefangen worden. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.

Bei den Erinnerungen an die Vergangenheit und die Dinge, die sie verpasst hat, läuft ihr eine einzelne Träne die Wange hinab. Sie wischt sie mit dem Ärmel ihres kratzigen Pullovers weg und rollt sich noch mehr zusammen.

Wie ein kleines Häufchen Elend liegt sie dort mit geschlossenen Augen und gleitet in einen unruhigen Schlaf.

Das leise Knarren der Tür weckt sie und sie setzt sich erschrocken auf. Ihr Blick fokussiert den Türspalt, hinter dem ein flackerndes Licht den Gang zu erhellen scheint.

Sie wartet, ob jemand den Raum betritt, doch es passiert nichts. Vorsichtig steht sie auf und läuft mit zittrigen Beinen zur Tür. Dabei passt sie auf, kein Geräusch zu machen.

Mit ihrem ganzen Gewicht, das bei der Ernährung deutlich zurückgegangen ist, lehnt sie sich gegen die Tür und öffnet sie so ein Stück weiter. Angespannt wartet sie, dass sie jeden Moment von jemandem gepackt und zurück in den Raum geschleudert wird. Doch nichts der Gleichen geschieht.

Auch als sie leise den Flur betritt und sich umsieht, kann sie niemanden entdecken.

Vor der Tür, auf dem Boden, steht ein kleiner silberner Kerzenleuchter mit drei Armen. Allerdings steht nur in dem mittleren eine kleine, brennenden Kerze.

Nochmal lässt sie ihren Blick durch den Flur wandern, doch wieder findet sie nichts, was auf die Anwesenheit einer anderen Person schließen lässt.

Mit zittrigen Händen greift sie nach dem Stil des Kerzenleuchters und hebt ihn vorsichtig an. Der flackernde Lichtkegel, den die kleine Flamme spendet, erweitert sich, je höher sie gehoben wird. Es kostet die abgemagerte Frau viel Anstrengung, das silberne Gestell nicht fallen zu lassen, da ihre Muskeln in der Zeit auch stark abgenommen haben.

Ihr Blick fällt auf einen grauen Pullover, der ein Stück weiter, sauber zusammengefaltet auf dem Boden liegt. Erneut sieht sie sich unsicher um, bis sie langsam zu dem kleinen Haufen Stoff läuft.

Sie stellt den Kerzenleuchter wieder ab und greift nach dem Oberteil. Es fühlt sich deutlich weicher und wärmer an, als das was sie am Leib trägt. Ein erneuter Blick durch den Flur und sie wechselt ihr Oberteil.

Der Pullover ist ihr ein wenig zu groß und so muss sie die Ärmel etwas hochkrempeln. Dennoch fühlt er sich angenehm auf ihrer kalten Haut an und sie fragt sich, wer ihn hier vergessen haben könnte.

Ihren alten Pulli lässt sie achtlos auf dem Boden zurück, als sie den Kerzenleuchter erneut anhebt und ihren Weg fortsetzt.

Ein Stück weiter findet sie eine Hose, die sie ohne zu überlegen anzieht. Die Hose liegt am Fußende einer steinernen Wendeltreppe, welcher sie leise nach oben folgt.

Die Kleidungsstücke scheinen eine Art Spur zu sein, die ihr den Weg nach draußen weisen sollen. Jedenfalls hofft sie das inständig, als sie die Tür am oberen Ende der Treppe öffnet.

Leise betritt sie eine Art Eingangshalle, die komplett in Dunkelheit getaucht ist. Das Anwesen in dem sie sich befindet, scheint bereits in Nachtruhe verfallen zu sein.

Ihre nackten Füße machen leise Geräusche, während sie auf den kalten Fliesenboden tritt. So vorsichtig wie sie nur kann, schließt sie die Tür zu den Kerkern hinter sich.

Langsam schleicht sie weiter in den Raum und erblickt ein Paar Stiefel vor einer großen Holztür. Sie stellt den Kerzenleuchter auf eine kleine Kommode und schlüpft in das Schuhwerk.

Ihre Füße nehmen dankend die Wärme der Schuhe auf und beginnen leicht zu kribbeln, als sie wieder auftauen. Über die Zeit ist es ihr gar nicht aufgefallen, wie kalt ihre Füße wirklich waren.

Als sie die große Eingangstür vorsichtig versucht zu öffnen, hofft sie inständig, dass diese sie nicht mit einem lauten Knarren verraten würde. Zu ihrem Glück schwingt die Tür geräuschlos auf und sie kann hinaustreten.

Ein angenehmer Windzug empfängt sie und streicht ihr übers Gesicht. Sie fühlt sich, als könnte sie zum ersten Mal seit Jahren wieder richtig durchatmen. Ein Blick in den Himmel zeigt ihr, dass es tiefste Nacht ist. Am Himmel steht der Vollmond, umgebend von tausend Sternen. Dieser scheint ihr den Weg in die Freiheit zu erleuchten.

Kurz genießt sie den Anblick, doch sie wird schnell von ihrer Nervosität wieder eingeholt. Verzweifelt sieht sie sich auf dem großen Vorplatz um. Der Platz wird von einer hohen Hecke umschlossen und ein großes Eisentor dient als einziger Zugang. Leider scheint es verschlossen zu sein.

Ihr Blick wandert weiter über den Platz und bleibt an einem Besen hängen, der nicht weit von ihr auf dem Boden liegt. Vorsichtig läuft sie darauf zu. Der Kies knirscht unter ihren Schritten und sie hofft, dass von dem Geräusch keiner im Haus geweckt wird.

Zu ihrem Missfallen geht im ersten Stock ein Licht an und der Umriss einer Person nähert sich dem Fenster. Sie stürzt sich auf den Besen und steigt auf. Ohne nochmal zum Anwesen zu gucken, stößt sie sich vom Boden ab und schießt hoch in die Luft. Obwohl der kalte Wind ihr ins Gesicht peitscht, beschleunigt sie den Besen noch ein bisschen mehr. Sie will so viel Abstand wie nur irgendwie möglich zu dem Anwesen bekommen.

Licht der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt