Kapitel 1

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Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster. Die Geschichtsstunde zog sich mal wieder ewig hin und meine Konzentration ließ stetig nach. Mein letztes Schuljahr hatte begonnen und ich konnte es kaum erwarten die Schule endlich hinter mir zu lassen. Nicht, dass es mir besonders schwer fiel oder ich mit meinen Klassenkameraden nicht zurechtkam. Im Gegenteil sogar, ich war beliebt, Klassensprecherin und gehörte immer zu den besten. Aber ich war gelangweilt. Im Studium würden endlich neue Herausforderungen auf mich zukommen. Eine neue Umgebung, eine neue Stadt. Ich konnte es kaum erwarten.

Seufzend pustete ich mir eine blonde Strähne aus der Stirn. Ich könnte jetzt so viel besseres tun als hier drin zu sitzen und der monotonen Stimme meines Lehrers zuzuhören. Die Sonne schien und alles war in sanftem grün getaucht. Die Strahlen tanzten durch das Blätterdach einer großen Buche und ein Windhauch kam durch das Fenster zu mir als sich unvermittelt die Tür des Klassenzimmers öffnete.

Überrascht schauten sich alle um, sogar unser Lehrer verstummte kurz in seinem Monolog. Blinzelnd nahm ich die lässig im Türrahmen gelehnte Person wahr. Er war groß und hatte recht breite Schultern, die seine schmale Hüfte betonten. Das dunkle Haar stand ihm zu allen Seiten ab, als würde er regelmäßig mit der Hand hindurch streichen. Und auch in diesem Moment tat er es. Mein Blick glitt dabei unwillkürlich hinunter und blieb an der freigelegten Stelle zwischen seinem T-Shirt Saum und der tief sitzenden Hose hängen. War das etwa ein Tattoo, welches am Hosenbund hinauslugte? Welches Motiv er wohl unter der Hose verbarg...

Verblüfft rief ich mich selbst wieder zur Ordnung. In diese Richtung ließ ich meine Gedanken nie zu. In meinem Leben spielten Jungs nur eine untergeordnete Rolle. Ich hatte ein paar gute Kumpels und war zufrieden, so wie es war. Ich benötigte in meinem ausgefüllten und streng durchgeplanten Leben keine unnötigen Ablenkungen.

Der Junge erhob nun seine Stimme. Sie war tiefer als ich erwartet hatte und es war offensichtlich, dass ich nicht als einzige von seiner Erscheinung angetan war. Reihenweise hingen die Mädels an seinen Lippen. Schnaubend schaute ich mich um und stellte fest, dass selbst die Jungs aus der Klasse beeindruckt schienen. Das war doch lächerlich.

„Guten Tag. Mein Name ist Maksim Wolkow. Ich bin neu in der Stadt und ab heute euer neuer Klassenkamerad." Ein Raunen ging durch die Reihen und die Blicke glitten zwischen Maksim und mir hin und her. Auch mein Nachname war Wolkow. Ich holte tief Luft. Das war er also, mein neuer kleiner Stiefbruder.

Meine Mutter hatte, nachdem mein Vater uns sitzen ließ, wieder geheiratet. Wir nahmen den neuen Familiennamen an, um den Nachnamen meines verräterischen Erzeugers abzulegen. So wurde ich zu Lea Wolkow. Die Hochzeit lag bereits Ewigkeiten zurück, ich war gerade mal 6 Jahre alt. Damals hatten Juri, mein Stiefvater, und dessen Exfrau ebenfalls eine schwere Trennung hinter sich. Der Grund der Trennung war unglücklicher Weise niemand anderes als meine Mutter.

Juris Exfrau gewann den Sorgerechtsstreit um Maksim und er wuchs bei ihr auf. Was zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand ahnte war, dass sie einen aggressiven Krebs haben würde. Sie verstarb vor wenigen Wochen und da Maksim noch nicht volljährig war und die Schule noch nicht abgeschlossen hatte, kam er nun zu uns.

Oder besser gesagt, sollte er am Wochenende zu uns kommen. Jedoch schien er nicht viel von den Anweisungen seines Vaters zu halten. Juri wartete Freitag, Samstag und Sonntagabend im Auto am Bahnhof bis er einsah, dass sein Sohn nicht kommen würde wie verabredet und ihn nur jedes Mal versetzte. Wutentbrannt fuhr er die ganze Nacht durch und holte seinen Sohn eigenhändig in sein neues Zuhause. Zu seiner Ankunft lag ich schon längst im Bett, unsicher, was ich von der ganzen Sache halten sollte. Als ich heute Morgen zur Schule gegangen bin, war noch niemand wach. Und nun, in der vierten Unterrichtsstunde, schien sich der Herr wohl endlich hierher zu bequemen.

Verbotenes Verlangen: durch dich verdorbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt