Zukunftsgedanken

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Ich saß eben noch über den Mathematikhausaufgaben, die selbst für mich viel zu einfach waren, als Emma sich neben mir auf einen Stuhl fallen ließ. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und blickte mich abwartend an. „Was?", fragte ich ein bisschen genervt, da sie mir bestimmt wieder irgendeinen Vorwurf an den Kopf werfen wollte. „Findest du es nicht auch viel zu warm, um etwas zu unternehmen?", seufzte sie wieder. Misstrauisch verengte ich die Augen. Das hatte sich nicht angehört, als würde sie mir die Schuld dafür geben. „Ja, es ist tatsächlich ganz schön warm."

Sie wippte mit den Füßen auf und ab, während ihr Blick abwesend in der Ferne hing. Sie sah fast aus wie das kleine Mädchen, das sie einst gewesen war. Ich beugte mich wieder über meine Hausaufgaben. „Wie kannst du bei diesen Temperaturen arbeiten?", wollte sie wissen. Nanu, und das von unserer Musterschülerin. „Was soll ich sonst machen?", entgegnete ich. Emma sprang auf, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet. „Wir könnten Lucas und Rose anrufen und fragen, ob sie Lust haben den Nachtmittag hier zu verbringen!" Begeisterung spiegelte sich in ihrem Gesicht. „Ähm", steuerte ich geistreich bei. „Wäre doch witzig", versuchte sie mich zu überzeugen. Ich wollte mich schon Augen rollend abwenden und mürrisch in mein Zimmer stapfen, doch beim genaueren Nachdenken musste ich meiner Schwester Recht geben. Es könnte tatsächlich ein schöner Nachmittag werden.

Die Ankunft der Zwillinge lag erst gute zwei Wochen zurück, doch sowohl mit Lucas als auch mit Rose verstand ich mich immer besser. Vor allem auf Rose wollte ich um nichts in der Welt mehr verzichten. Mit ihr entpuppte sich mein schulischer Alltag als bedeutend spannender. In der einzigen Pause verabredeten wir uns immer mit Lucas und meiner Schwester, die sich ebenfalls angefreundet hatten. Die Drei verbrachten auch die Mittagsstunde zusammen, während ich mich mit Samyel traf.

Ich konnte noch immer nicht glauben, dass meine Schwester nicht nachbohrte, bis sie herauskriegte, wohin ich während dem Mittagessen verschwand. Es sah ihrem üblichen Verhalten so überhaupt nicht ähnlich, diese Tatsache einfach zu akzeptieren. Mir war es noch so recht. Lediglich Rose wusste von Samyel und das sollte besser auch noch so bleiben; dies alles spielte im Moment keine Rolle. Ich konnte dem flehenden Blick auf Emmas Gesicht nicht länger trotzen und so willigte ich ein. Sie lächelte breit und bedankte sich mehrmals bei mir. Langsam musste ich mir ernsthaft die Frage stellen, ob ich hier wirklich meiner Schwester gegenübersaß.

Ich kramte nach meinem Handy und wählte Rose' Nummer. Nach dreifachem Piepsen meldete sie sich: „Hi, hier ist Rose." Ich räusperte mich. „Hallo, Rose. Ich bin's, Lynne", begrüßte ich sie. „Was gibt's?", wollte sie gleich wissen. „Emma und ich wollten fragen, ob du und dein Bruder nicht Lust hättet vorbeizukommen?", fragte ich. „Was sagt sie? Was sagt sie?", unterbrach mich Emma stürmisch. „Warte kurz, Rose, ich stelle dich auf Lautsprecher, bevor mir Emma das Telefon aus der Hand reißt." Ich vernahm leise Rose' Kichern und erntete von meiner Schwester einen beleidigten Blick, der schon eher in ihr Verhaltensmuster passte.

„Jetzt können wir dich beide hören", informierte ich sie. „Also hör auf über Emma zu lästern", fügte ich noch neckend hinzu. Meine Schwester knuffte mich in die Seite, doch auch sie musste lachen. Ich legte das Handy zwischen uns auf den Tisch. „Hallo, Rose", meldete sich Emma zu Wort. „Was meinst du zu unserem Vorschlag?" Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Dann hörten wir gedämpft, wie Rose nach ihrem Bruder schrie. Wir verstanden nicht genau, was sie sagte – nichtsdestotrotz mussten Emma und ich uns ein Kichern verkneifen, weil es einfach seltsam bizarr klang, wenn Rose mit ihrer kindlichen Stimme zu schreien versuchte.

„Wir sind dabei", erklang ihre Stimme nun in normaler Lautstärke. „Nehmt am besten euren Badeanzug mit", sagte Emma, während ich fragte: „Wann könnt ihr hier sein?" Rose, die mit der doppelten Konversation überhaupt nicht überfordert zu sein schien, antwortete zuerst mir und dann meiner Schwester. „In einer Stunde, falls euch das passt und sicher, ich sage es gleich noch meinem Bruder." Ich nickte, bevor mir einfiel, dass sie mich nicht sehen konnte. „In einer Stunde ist perfekt", antwortete ich hastig. „Bis gleich", verabschiedeten wir uns und ich brach die Verbindung ab. „Zufrieden?", wandte ich mich an meine Schwester. Sie lächelte breit. „Sehr." Dann huschte sie davon, um ihren Bikini zu suchen. Ich lächelte und schüttelte den Kopf über sie. Ich entschied mich meine Hausaufgaben zu beenden, bevor ich mich ebenfalls auf die Suche nach meinem Badeanzug machen würde.

Unter den KokospalmenWhere stories live. Discover now