Unter den Sternen

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Lehrerin Oonagh starrte mich an, als würde ich in knutschroter Unterwäsche vor ihr stehen; oder mit fünf Papayas jonglieren, während ich auf einem Einrad balancierte; oder in knutschroter Unterwäsche mit fünf Papayas jonglieren, während ich auf dem Einrad balancierte.

Ich konnte es ihr nicht verübeln. Soeben hatte ich mich in einer ihrer Spanischlektionen freiwillig gemeldet und die Antwort in einem fehlerfreien Satz formuliert. Nun gut, über die Aussprache konnte man sich streiten, aber abgesehen davon war es korrekt.

Das brachte sie dermaßen aus dem Konzept, dass ihr nicht mal eine herablassende Bemerkung einfiel, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich war der Überzeugung gewesen, ihr Arsenal an schülerschikanierenden Kommentaren wäre endlos. Stattdessen starrte sie mich weiter an. Ich schenkte ihr ein Lächeln, welches aufrichtig sein sollte, doch sie kriegte das in den falschen Hals. „Noch eine solche Bemerkung und du kriegst Zusatzarbeiten!" Danach verbrachte ich den Rest der Stunde in meinem Wow-ist-der-Fleck-auf-meinem-Pult-interessant-Modus.

Trotz dieses Zwischenspiels verlief mein Tag äußerst gut. Es ereignete sich der schönste Vorfall meiner ganzen Schulkarriere auf der Insel. Als das Mittagessen (dessen Farbe ich keinem mir bekannten Gericht zuzuordnen vermochte) ausgeteilt wurde, stolperte ich über das Tischbein eines Pultes. Dabei ließ ich mein Besteck fallen. Ich fluchte leise vor mich hin und rieb mir den Zeh, doch bevor ich nach meinem Besteck greifen konnte, hatte es eine Mitschülerin aufgehoben.

Ich vermutete erst, sie wollte es nun aus dem Fenster werfen, um mich noch mehr zu ärgern, aber nein. Sie wuselte damit zum Spülbecken und wusch das Plastikbesteck sauber. Dann schlurfte sie zurück und drückte es mir in die Hand. Perplex musterte ich sie von oben bis unten. „Danke", nuschelte ich. Sie nickte und lächelte scheu, bevor sie den anderen nach draußen ins Sonnenlicht folgte, während ich im stickigen Schulzimmer zu verweilen hatte. Völlig konfus setzte ich mich an mein Pult. Dann lächelte ich. Es schien besser zu werden.

Nach dem durchaus erfreulichen Schultag brach ich sogar das Schweigen zwischen mir und meinem Vater. „Kann ich die Musik anschalten?", fragte ich, traute mich aber nicht ihm in die Augen zu blicken. „Natürlich", meinte er und ich dankte ihm im Stillen dafür, dass er meinen Sinneswandel so selbstverständlich hinnahm. Ich mochte heute nicht noch mehr angestarrt werden.

Mehr sprachen wir auf der Fahrt nicht. Wir lauschten beide der eigensinnigen Musik, die durch die Boxen plärrte. Erst als wir unter dem kleinen Vordach parkierten, ergriff Vater das Wort. „Lynne", setzte er an. „Ich weiß, dass du wütend auf mich bist und das wahrscheinlich zu Recht, aber entschuldigen werde ich mich nicht. Meine Reaktion war ein bisschen zu hart, das gebe ich zu, aber ich bin auch nur ein Mensch. Und ich bin dein Vater. Ich möchte, dass du glücklich bist. Und wenn ich sehe, dass du dabei bist, dich in großes Unglück zu stürzen, ist es meine Pflicht dich davon abzuhalten, auch wenn du es mir übel nimmst."

Ich räusperte mich und schwieg für einen Moment. Sorgsam wählte ich meine Worte. „Ich kann deine Überlegungen verstehen, jedoch bist du im Unrecht. Er kann mich glücklich machen. Samyel kann mich so glücklich machen wie sonst niemand und deshalb kann ich dir auch nicht verzeihen."

Mein Vater schluckte, als er seinen Namen vernahm. Ich wusste nicht, ob er sich ängstigte, weil „das Unglück" nun einen Namen besaß oder weil ich den Namen mit solcher Intensität aussprach, dass ich in ihm Zweifel weckte, ob er richtig gehandelt hatte. Ich wusste es nicht, aber es spielte auch keine Rolle.

Wir öffneten die Wagentüren und schlenderten zum Haus. Versöhnt hatten wir uns nicht, nein. Aber wir wussten beide, dass es nur eine Frage der Zeit war. Ein Stück Vertrauen - und wenn es noch so klein war - hatten wir zurückgewonnen.

Unter den KokospalmenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant