Was ist schon ein Name?

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"Schiller!"

Die Tür am Eingang des Theatersaales flog krachend auf, zusammen mit drei Skript, die getroffen vom Luftzug wie aufgeschreckte Vögel davonflatterten.

Luise zog scharf die Luft ein und ließ beinahe ihr Glas Wasser fallen, Josh, der sich hinter dem Technik-Pult einen Joint drehte, schreckte auf und Schiller, der gerade mitten im Rächer-Monolg steckte, blieb das Wort im Hals stecken, als niemand anderes als Johann Wolfgang von Goethe äußerst unelegant und fahrig den Mittelgang entlangstürmte.

Goethe störte sehr selten seine Proben. Eigentlich störte Goethe nie seine Proben. Eigentlich war Goethe auch nie unelegant.

Die meiste Zeit war der gute Herr Geheimrat nämlich so mit seinen Deutsch-LKs beschäftigt, dass es zeitlich gar nicht möglich war, seinen Ehemann im Theater zu besuchen. Besonders jetzt nicht, wo die Abi-Klausuren vor der Tür standen. Wenn Goethe seinen leidenschaftlich gehassten Deutsch-Kurs im Stich ließ, musste es wirklich wichtig sein.

"Schiller!" Goethe war inzwischen vor der Bühne angekommen und fuhr sich nervös durch die dunklen Haare.

Auf Schillers fragenden Blick antwortete er nur "Das Krankenhaus hat angerufen."

Schiller sprang ohne zu zögern von der Bühne.

Erst im Auto - Goethe hatte schief über zwei Parkplätze eingeparkt, das sah ihm gar nicht ähnlich - fand Schiller seine Sprache wieder.

Goethes Auto war so ordentlich wie immer, ein heller BMW mit Ledersitzen (umklappbar, äußerst praktisch), der über Schillers klapprige Studentenkarre nur die Nase rümpfte. Mit einem Blick auf die Rückbank versicherte er sich noch schnell, dass Goethe an den Maxi-Cosi gedacht hatte. Hatte er.

Goethe versuchte währenddessen, die Nummer des Krankenhauses wieder zu wählen. Natürlich ging niemand ran, und Schiller nahm ihm das Handy aus der Hand, bevor der gute Mann beim Ausparken noch irgendwo reinfuhr.

"Wann haben die denn angerufen?" fragte Schiller, während er noch die letzten Ziffern eintippte.

"Grade eben" antwortete Goethe. "Nach dem ersten Block."

"Und, was ist es?"

Goethe konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Ein kleines Mädchen. Ein paar Stunden alt. Die Mutter muss sie in der Früh abgegeben haben."

So sehr die Freude (schöner Götterfunke) darüber, endlich ein Kind zu bekommen, Friedrich ganz erfüllt hatte, versetzte es ihm doch einen kleinen Stich, zu wissen, dass diese Freude das Ergebnis davon war, dass sich irgendwo in Weimar eine Frau dazu entschlossen hatte, ihr Kind zu Hause, heimlich, auf die Welt zu bringen, und es dann im Morgengrauen in der Babyklappe des Theresienkrankenhauses abzulegen.

Doch ein möglicher philosophischer Gedankengang darüber wurde vom Tuten der Handy-Verbindung unterbrochen. Eine etwas abgehetzte, aber freundliche Stimme meldete sich.

"Ja, hallo" sagte er. "Schiller hier. Sie hatten meinen Mann vor etwa einer halben Stunde angerufen. Wir sind auf dem Weg."

"Der Name?"

"Schiller und von Goethe. Goethe mit Oh-Eh, nicht mit Öh."

Im Augenwinkel konnte Schiller sehen, wie Goethe grinste. Der Schreibfehler war ihnen schon öfter begegnet. Oder sollte man sagen oefter?

"Vorsicht!" brüllte Schiller in dem Moment. Ein Müllwagen war just aus der Querstraße rechts von Ihnen eingebogen. Goethe stieg in die Bremsen und verkniff sich einen Fluch, bevor er zurückstoß, den Mülllaster vorbeiließ und dann wieder aufs Gaspedal trat. Schiller verkniff sich keinen Fluch.

Goethe Zeiten, Schiller ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt