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Sarah

"Wann kommst du endlich?" Laut klang die, mittlerweile genervte, Stimme meiner Mutter durch mein Handy, welches ich mir an mein Ohr hob, während ich vor meinem überfüllten Kleiderschrank stand.
"Ich habs ja gleich!" Mein Blick gleitete durch die unsortierten Regelböden, in der Hoffnung endlich fündig zu werden, bevor meine Mutter noch ausrastete. Und schon wieder in dieser Woche dachte ich, ich sollte hier mal aufräumen.
"Das Spiel fängt in einer Stunde an und du musst dein Trikot noch suchen! Das ist mal wieder typisch." , klang es erneut aus meinem Handy in dem Moment, als ich es endlich entdeckt hatte.
Zwischen zwei weißen T-shirts eingeklemmt, zerrte ich mein Deutschlandtrikot hinaus. Schnell zog ich es mir über, während ich immer noch versuchte meine Mutter zu beruhigen. Sie hatte ja recht, das war typisch für mich. Aber ich hatte nun mal keine Zeit mehr gehabt, mir das Trikot vorher raus zu suchen und meinen Schrank konnte ich auch nie lange ordentlich halten.
Nachdem ich mir meine schwarzen Vans angezogen hatte und noch schnell eine schwarze Sweatshirt Jacke über warf, verließ ich meine ebenfalls unordentliche Wohnung, in dem Wissen, dass ich sie morgen aufräumen musste, und lief zu dem Auto meiner Eltern, in welchem sie schon ungeduldig auf mich warteten.

Mein Vater sprach die ganze Fahrt nur über das heutige Spiel, bei dem Deutschland auf die Niederlande trifft. Es geht heute um die EM-Qualifikation, welche dann diesen Sommer stattfinden soll und natürlich interessierte auch mich das. Ich verstand nur nicht, wie man vor dem Spiel schon irgendwelche Spieler analysieren kann, die noch gar nicht gespielt haben.
"Hast du wenigstens das richtige Trikot an?" , sagte meine Mutter auf einmal und unterbrach somit das Gespräch meines Vaters über die Stärken und Schwächen von Thomas Müller.
Genervt verdrehte ich meine Augen und sah meine Mutter durch den Rückspiegel an. Ich war nun 20 Jahre alt und sie hatte immer noch nichts besseres zu tun, als mir zu sagen, was ich anziehen sollte. „Kommt drauf an, was du als richtig siehst." , antwortete ich, in der Hoffnung das Gespräch, das mir sicher bevorstand, irgendwie abzuwenden.
Meine Mutter tat mir natürlich nicht den Gefallen und funkelte mich durch den Rückspiegel an. "Das von deinem Bruder natürlich!"
Ich gab ein genervtes Seufzen von mir. Natürlich trug ich nicht das Trikot meines Bruders und natürlich war das ihrer Meinung nach falsch.
"Mama, wie oft denn noch? Nur weil ich nicht das Trikot von Joshua trage und hinten nicht Kimmich drauf steht, heißt das doch noch lang nicht, dass ich ihn nicht unterstütze. Ich kann doch entscheiden, wessen Trikot ich tragen möchte."
Sie tut immer so, als würde ich Joshua nicht unterstützen, aber natürlich tat ich das. Er war schließlich mein großer Bruder und ich war schon immer sein größter Fan. Das könnte sich jetzt geändert haben, weil Joshua selber zwei bezaubernde Kinder hat, und nicht, weil ich nicht seinen, beziehungsweise unseren, Nachnamen auf meinem Trikot stehen habe. Ich war natürlich trotzdem unheimlich stolz auf ihn und das wusste er, ich kann es manchmal immer noch nicht fassen, dass Joshi wirklich in der Nationalmannschaft spielt. Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass er jemals etwas anderes machen würde. Eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass es bei uns zu Hause jemals nicht um Fußball ging. Alles was Joshua wollte war Fußball spielen und das schon immer.
"Ja, das darfst du. Wir wollen nur, dass du Joshua nicht vernachlässigst oder, dass er das Gefühl hat, du willst nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden." Jetzt schaltete sich auch mein Vater ein. Er war immer der Streitschlichter, wenn meine Mutter mal wieder ein Drama machte. Er blieb immer ruhig, was Joshua ebenfalls von ihm geerbt hatte. Da waren sich die beiden sehr ähnlich und auch ich versuchte, mich so zu verhalten. Klappen tat es jedoch nicht immer, ich war nun mal die Tochter meiner Mutter.
"Joshua weiß, dass ich ihn trotzdem noch unterstütze, auch wenn auf meinem Trikot Brandt steht und nicht Kimmich!"
"Ja, ist ja gut." Damit richtete meine Vater wieder die Augen auf die Straße und auch meine Mutter blieb ruhig. Er hatte sein Ziel erreicht.
Doch bereits nach wenigen Minuten wandte sie sich wieder an mich. "Wie geht es Julian denn?"
"Gut-" , begann ich. „Er freut sich, aber er ist ziemlich aufgeregt."
Da lachte mein Vater kurz auf. „Kann ich mir vorstellen, aber er kriegt das schon hin."
Julian und ich kannten uns noch nicht relativ lange. Unsere Freundschaft ist eigentlich durch meinen Bruder entstanden. Als Julian bei der WM 2018 das erste mal für die Nationalmannschaft spielen durfte, war Joshua völlig begeistert von ihm. Irgendwann hat er uns dann einander vorgestellt, er wollte uns eigentlich verkuppeln, aber dadraus wurde nichts. Julian und ich haben uns einfach von Anfang an super verstanden und es war uns beiden klar, dass wir nie mehr als Freunde seien würden. Wir sind dann eine Zeit lang mit meinem Bruder und seiner Freundin Lina unterwegs gewesen, doch seit dem Joshua und Lina zwei Kinder haben, waren wir lange nicht mehr zusammen weg. Es gab irgendwann nur noch ihn und mich und dadurch ist unsere Freundschaft soweit gewachsen, das er mein bester Freund ist.
"Sind Lina und die Kids auch da?" , fragte ich schließlich in die Stille.
"Nein, Joshua hat gesagt, Jaron ist krank."
"Und was ist mit Levia?"
"Ihr gehts gut, aber Lina will mit den zwei lieber zu Hause bleiben."
Lina ist nicht nur Joshuas Freundin und hoffentlich bald Frau, wenn Joshua es jetzt mal schafft, ihr einen Antrag zu machen. Sie ist mehr wie die Schwester, die ich nie hatte und meine beste Freundin gleichzeitig.
Früher sind wir zusammen feiern gegangen, immer zusammen zu den Spielen von Joshua und wir haben uns gegenseitig Schminktipps gegeben, Klamotten ausgeliehen und, was ich Lina immer noch hoch ansah, sie hatte versucht, mir einen Freund zubesorgen, was gar nicht so einfach war. Ich war zu wählerisch, doch sie hat immer noch nicht aufgegeben. Und jetzt bin ich ich die Patentante ihres Sohnes Jaron.
Es gibt wirklich nichts schöneres, als den Kleinen lachen zu sehen und ihm bei allen seinen Entdeckungstouren zu zusehen. Und ungefähr vor einem Jahr, sagten sie uns, dass Levia unterwegs war, was ihr Familienglück komplett machte. Jedesmal wenn ich ihre kleine Familie sehe, wird mir warm ums Herz und der Wunsch, eines Tages selber eine solche zu haben steigt von Tag zu Tag.
Ich liebe es so sehr, die Kleinen und Lina um mich zu haben, weshalb ich auch oft nachdem arbeiten noch bei ihnen vorbei sah. Jeden Tag war ich dankbar dafür, dass wir alle beieinander wohnten, zwar nicht direkt nebeneinander, aber alle in München.

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