Kapitel 17

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Langsam öffne ich meine verklebten Augen. Ich brauche einen Moment, um mich zu orientieren.
Ich befinde mich in einer Art Glaskapsel in einem Labor. Oder eher den Überresten eines Labors. Alles ist zertrümmert, zerbrochene Gläser, Behälter und Teströhrchen sind auf dem Boden verteilt und überall wuchern Pflanzen aus irgendwelchen Ritzen und Schächten.
Was auch immer hier passiert ist, es passierte schnell und schon vor längerer Zeit.
Ich zertrümmere die Reste der Kapsel, in der ich mich befinde, und steige langsam und vorsichtig heraus. Meine Gelenke sind ganz eingerostet und ich muss mich erst einmal strecken.
Wo befinde ich mich gerade?
Eine Standortbeschreibung erscheint in meinem Sichtfeld.
Immer noch Xandar?
Welches Erden-Jahr schreiben wir?
Ein weiteres Textfeld ploppt auf.
2017?! Ich bin ein Jahr hier gewesen? Was ist in der Zeit passiert?
Ein Video, wahrscheinlich von einer Überwachungskamera, erscheint in meinem Sichtfeld und spielt automatisch ab. Es zeigt, wie eine Horde seltsamer Viecher durch die Gänge stürmen und die Xandarianer praktisch über den Haufen rennen. In dem ganzen Chaos sehe ich plötzlich Thanos. Er geht, gelassen durch den Gang, mit dem Infinity Gauntlet an der linken Hand. Ich pausiere das Video und zoome nah heran. Zwei Steine prangen auf dem Handschuh. Ein lilaner und ein roter
Schockiert sacke ich auf meine Knie.
Er hat die Steine. Es hat nichts gebracht. Er hat sie beide. Oh. Nein. Das kann nicht sein.
Verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen. Ich bin kurz davor aufzugeben, doch dann reiße ich mich zusammen.
Ich bin so weit gekommen, ich kann jetzt nicht einfach aufgeben.
Wo befindet sich Thanos?
Eine andere Standortbeschreibung erscheint.
Er ist schon auf dem Weg zur Erde. Was entweder heißt, dass er den Tesseract und den Seelen Stein schon hat, oder dass er einfach zuerst zur Erde geht. Ich hoffe mal, die zweite Variante.
Ich verlasse das Labor und betrete einen langen Flur. Mithilfe meiner Kräfte orte ich den Flugplatz und mache mich auf den Weg. Während ich durch ausgestorbene Flure und verwüstete Räume wandere, denke ich nach.
Dieses Gas muss mich wohl in eine Art Koma gelegt haben und diese Glaskapsel hat mich irgendwie im Koma festgehalten. Das würde die Tatsache erklären, warum ich aufgewacht bin. Durch den Riss in dem Glas der Kapsel müssen wohl nach einiger Zeit die wichtigen Funktionen versagt haben und ich bin aufgewacht. Da habe ich ziemlich Glück gehabt. Thanos ist gekommen, weil der Nova Corps die beiden Infinity Steine in Gewahrsam genommen haben. Tja, Karma würd ich sagen. Hätten sie mich wohl besser nicht festgenommen.
Ich gehe gerade an einem ganz normalen Raum vorbei, bis ich bemerke, was sich darin befindet.
Mein Anzug! Er ist noch hier!
Schnell löse ich ihn aus einer Halterung und ziehe ihn an.
Nach all der Zeit funktioniert er noch einwandfrei. Wenigstens etwas Gutes.
Etwas besser gelaunt setze ich meinen Weg fort.
Nach einer Weile komme ich endlich am Flugplatz an. Er ist eine Art erhöhtes Plateau, das sich über der Stadt erhebt. Das Bild, das sich mir von dort oben ergibt, ist jedoch alles andere als malerisch. Die komplette Stadt liegt in Trümmern, kein Stein liegt mehr auf dem anderen und teilweise sind die Überreste schon wieder von der Natur übernommen worden.
Eine leise Stimme sagt mir, dass das alles meine Schuld ist. Ich ignoriere sie. Depressionen kann ich jetzt nicht gebrauchen.

Nach kurzer Suche finde ich einen flugtaugliches Raumschiff. Es ist eines dieser sternförmigen Dinger, deren Innenraum gleich null geht. Also quetsche ich mich in den einzigen Sitz und fliege los.
Keine Zeit zu verlieren.
Ich drücke den Gashebel bis zum Anschlag nach vorne und das Raumschiff schießt los.
Wie gelange ich schnells möglichst zur Erde?
Eine Wegbeschreibung ploppt auf.
Ich muss Sprünge machen? Okay, warum nicht.
Das Raumschiff rast mit unglaublicher Geschwindigkeit durch den Sprung. Einen Moment ist alles still. Kein Brummen der Motoren. Kein Fahrtwind. Noch nicht einmal mein eigener Herzschlag. Dann bin ich raus und alles ist wieder normal. Erleichtert atme ich auf.
Nur noch drei weitere.

Drei problemlose Sprünge und vier Stunden restliche Flugzeit später sehe ich die Erde vor mir liegen. Es kommt mir wie gestern vor, als ich sie verlassen habe.
Laut meinem Ortungssystems befindet sich Thanos schon in Wakanda.
Bitte. Bitte lass mich nicht zu spät sein.
Ich dringe in die Atmosphäre ein und halte direkt auf Wakanda zu. Es wird immer heißer innerhalb des Raumschiffes und die Außenwand beginnt zu glühen. Ich fange an zu schwitzen, meine Hände sind nass und glitschig aber ich bremse trotzdem nicht ab.
Ich darf keine Sekunde verlieren.
Kurz bevor ich auf dem Boden aufschlage, öffne ich das Cockpit und springe heraus. Einen Moment lang befinde ich mich im freien Fall, dann schalten die Düsen meines Anzugs und ich gewinne wieder an Höhe. Ich rase auf die Stadt Wakanda zu und analysiere schnell die Lage.
Überall kämpfen Menschen gegen komische Alienviecher. Ich entdecke die Avengers alle gemeinsam gegen Thanos inmitten des Getümmels kämpfen. Beziehungsweise sehe ich, wie die Avengers alle von Thanos zermalmt werden. Gerade will Thanos mit seinem Handschuh ausholen und Thor eine verpassen, aber er hält inne und schaut hoch zu mir.
Okay, er hat mich bemerkt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ich atme einmal tief durch, bevor ich hinunter fliege.
Mitten im Flug rolle ich mich zu einer Kugel zusammen und ramme Thanos mit voller Wucht. Er taumelt etwas, fällt aber nicht. Stattdessen packt er mich und drückt zu. Er presst die Luft aus meinen Lungen und ich kann nicht mehr atmen. Kurz bevor ich ohnmächtig werde, donnert Thor seinen Hammer gegen die Schläfe von Thanos und er lässt mich los. Ich falle auf den Boden, rappele mich jedoch rechtzeitig auf um Zeuge davon zu werden, wie Thanos Thor wegschleudert und dieser dann K.O. liegen bleibt.
Toll, dann bin es nur noch ich gegen Thanos. Wunderbar.
Gelassen dreht sich Thanos zu mir um. Ich versuche ihm einen Schock zu geben, aber er packt einfach meine Hand und drückt zu. Sie zerbricht wie ein Zweig in seiner Hand und ich schreie auf vor Schmerzen. Dann greift er nach meinem Hals und hebt mich daran hoch. Ich schnappe nach Luft.
"Wer bist du eigentlich? Du kannst nicht über 15 sein  und trotzdem bist du bereit, dein Leben für diese erbärmliche Welt zu opfern?", fragt er herablassend.
Ich versuche ein letztes Grinsen.
"Fick dich.", keuche ich mit meiner letzten Luft.
Thanos seufzt und möchte mir gerade das Genick brechen, da kommt Vision angeflogen und trifft ihn mit einem seiner Energiestrahlen. Thanos brüllt auf und schleudert mich weg. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie er nach dem erschöpften Vision greift und in eine bereits vorhandene Wunde schlägt. Das holt Vision herunter und Thanos beginnt, ihm den Stein aus der Stirn zu reißen.
Ich habe versagt.
Er schafft es und Vision fällt tod um.
"Nein.", krächze ich mit heiserer Stimme.
Thanos legt den Stein in seine Vertiefung und empfängt die Kräfte des Steines.
"Nein.", sage ich etwas lauter.
Ich schaffe es, mich aufzurichten und humple langsam auf ihn zu.
"Nein!", brülle ich jetzt aus ganzer Kraft, "NEIN!"
Thanos dreht sich verwirrt um.
"NEIN! ICH GEBE NICHT AUF!"
Ich öffne meinen Anzug und steige heraus.
Thanos lacht.
"Du bist aber besonders hartnäckig.", stellt er fest.
Hält mit seinem Handschuh einen Energiestrahl auf mich, aber halte ich dagegen.
Die Überraschung steht ihm praktisch ins Gesicht geschrieben und bestärkt mich noch mehr.
Ich sammle meine ganze Kraft und stecke sie in meinen eigenen Energiestrahl. Meine Adern leuchten durch meine Haut und bald sind meine ganzen Hände blau leuchtend.
Thanos versucht seinen Energiestrahl zu verstärken, aber ich bin stärker. Langsam gehe ich immer näher, bis ich schließlich direkt vor ihn stehe.
"Fick dich."
Ich lasse alles los. Meine ganze Verzweiflung. Meine ganze Wut. Meine ganze Kraft fließt nur in den Energiestrahl.
Ein heller, blauer Blitz leuchtet auf. Dann folgt der Knall und mit ihm die Druckwelle. Ich werde weggeschleudert und lande etwa fünf Meter weiter im Dreck.
Schwerfällig stehe ich auf und schwanke zu dem Punkt, wo Thanos stand. Jetzt war nichts mehr da, außer der Handschuh mit den Infinity Steinen. Ich hebe ihn hoch und zähle die Steine in den Vertiefungen. Orange, rot, blau, lila, grün und als letztes gelb. Insgesamt sechs, das heißt er hatte sie alle. Hätte ich einen Moment gezögert, hätte er wahrscheinlich geschnippt und ich hätte komplett versagt.
Aber jetzt werde ich schnippen.
Ich ziehe den Handschuh an und automatisch schrumpft dieser auf meine Größe, sodass er mir perfekt passt. Ich muss grinsen. Vor zirka eineinhalb Jahren kam ich in diese Welt mit Nichts. Ich hätte noch nicht einmal zu träumen gewagt, einmal soweit wie jetzt zu kommen. Ich schaue mich um. Alles um mich herum ist still, keiner kämpft mehr. Alle starren nur mich an. Langsam hebe ich meine Hand und dann....
Alle, die für oder im Willen Thanos gearbeitet haben, sollen jetzt sterben
.....schnippe ich. Ein heller weißer Blitz blendet mich, dann klärt sich meine Sicht wieder und ich sehe, wie die Feinde langsam zu Staub zerfallen. Ich drehe mich langsam im Kreis.
Ich habe gerade Thanos getötet, den Infinity Gauntlet angezogen und mit ihn geschnippt und es geht mir wunderbar. Keine verkohlte Seite, keine Nebenwirkungen allgemein. Ganz im Gegenteil, ich bin sogar geheilt, meine gebrochene Hand ist wieder weg.
Mein Grinsen wird breiter.
Anscheinend bin ich doch ein Gott.

Pauli - Ein Neues LebenWhere stories live. Discover now