Ash

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Er mochte sie nicht nur nicht, er hasste sie. Dieses kichernde und plappernde Mädchen. Und Eiji, der sie so anstrahlte. Er war ihm so nah gewesen, hatte sich völlig in diesem Blick verloren... und dann so etwas!
Er warf einen Blick auf Eiji, der neben ihm auf dem stahlharten U-Bahn Sitz eingeschlafen war. Sein Kopf war in einem etwas merkwürdigen Winkel nach hinten gefallen und ihm lief ein bisschen Sabber aus dem Mundwinkel. Er konnte immer noch nicht fassen, ihn wieder zu haben.
Und doch tigerten seine Gedanken immer wieder um diesen vermeintlichen Sohn Golzines und um dessen Vater. Er hatte sein Leben aufgegeben für diesen Mann, hatte furchtbares durchstehen und Menschen umbringen müssen. Ash schloss die Augen, um die Bilder auszuschließen.
Trotzdem hatte er immer wieder um seine Gunst gebettelt und hatte ihm gefallen wollen. Er ekelte sich vor sich selbst, doch ein winziger Teil in ihm war stolz darauf gewesen, von diesem mächtigen Mann als „Sohn" bezeichnet zu werden. Er hatte sich insgeheim daran geklammert. Er hatte immer gehofft, dass es sich eines Tages auszahlen würde, der ganze Schmerz. So hatte er Jahre Lang durchgehalten und vielleicht war er dadurch tatsächlich ein wenig wie Golzine geworden.
Aber er hatte etwas, was dieser Mann nicht hatte und verzweifelt gesucht hatte. Und dieses Etwas saß gerade sabbernd und schnarchend zu seiner Linken.
Ash verdrehte die Augen und seufzte. Dann zog Eiji an dessen Jackenzipfel zu sich her und bettete seinen Kopf an seiner Schulter.
Es brachte ja sowieso nichts, er war jetzt hier in Japan und würde sich in New York um die Angelegenheiten kümmern müssen. Hoffentlich würde dieser Neuling nicht alles direkt auf den Kopf stellen während seiner Abwesenheit.

Durch das monotone Ruckeln der Bahn war Ash schließlich auch eingeschlafen und war erst hochgeschreckt, als jemand ihm eine leichte Ohrfeige verpasste. „Ash wach auf, wir müssen raus!" Brüllte es ihm ins Ohr.
Instinktiv schnellte er mit seiner Fust nach oben und konnte gerade im letzten Moment noch stoppen, als er bemerkte, dass es sich um Eiji handelte.
Dann realisierte er, wo er sich gerade befand und auch die sich schließenden Türen. Kurzerhand schnappte er sich Eijis Hand und zog ihn schnell durch die Tür auf den Bahnsteig. Sie stolperten noch ein paar Schritte weiter, dann kamen sie zum stehen, und Ash ließ Eijis Hand los.
„Hättest du mich nicht ein bisschen früher wecken können?" fragte er sarkastisch, Eiji neben sich noch ein bisschen durch den Wind und heftig atmend.
„Das war knapp!" keuchte Eiji vornübergebeugt. Ash fuhr sich durch die Haare.
Sie machten sich auf zum Apartment, dass ein paar Blocks von der Station entfernt war.
Es war mittlerweile später Nachmittag und die Luft war ein bisschen abgekühlt. Beide gingen nebeneinander her, in einer kleinen Straße die völlig im Schatten lag und links und rechts von hohen Häusern gesäumt wurde. Ash atmete den Stadtgeruch tief ein. Es war seltsam, vielleicht bildete er sich das nur ein, aber er hatte das Gefühl, dass es hier immer ein wenig nach Fisch roch. In Amerika war es meistens Bratfett und der Geruch nach gebratener Wurst. Vielleicht hatte Eiji ja recht, und er sollte sich mal ein bisschen mehr Mühe geben beim Essen. Gerade wollte er seine Entdeckung Eiji mitteilen, da spürte plötzlich er ein leichtes Kribbeln auf dem Scheitel. Wie als ob eine Spinne auf seinem Kopf gelandet wäre. Er fasste sich auf den Kopf, doch seine Finger ertasteten nur dichte Haare.
Dann machte es klick.
„Runter!" brüllte er und warf sich auf Eiji, der neben ihm her gelaufen war. Kaum waren sie auf dem harten Asphalt aufgekommen sprengten schon Kugeln über ihnen in die gläserne Ladenfront des Schnellimbisses. In einem Scherbenregen zersplitterte die Scheibe und begrub Ash, der Eiji fest im Arm hielt und ihn mit seinem Körper schützte. Ein hohles Klicken ertönte, dann ein Fluch und das Geräusch eines über den Boden schlitternden Gegenstands.
Ash erhob sich und löste den Griff von Eiji. Als er sich auf dem Boden abstützte, schnitten die Glasscheiben in seine Handfläche, doch er bemerkte es nicht. Das Blut rauschte durch seine Adern und sein Geist wurde kühl und klar, wie immer wenn er sich in einer gefährlichen Situation befand. Blanka hatte ihm diesen Reflex in stundenlangem Training antrainiert. Er war der Luchs, der sich auf der Jagd auf die Lauer legt und kaltblütig sein nächstes Opfer beobachtete.
Von beiden Enden der Gasse nährten sich vier paar Schritte. Ash erkannte keinen der Männer, die auf sie zukamen, jedoch war keiner von ihnen Japanisch.
Stöhnend rappelte sich Eiji auf hinter ihm, dann fühlte er seinen Rücken an dem eigenen.
Ash fiel der funkelnde Schlagring an der Hand des Mannes zu seiner Linken auf. Er würde ihn zu erst ausschalten müssen.
Er atmete ruhig aus uns lockerte seine Muskeln. Das würde Spaß machen. Der Mann war jetzt in Reichweite gekommen.
Ash ließ sich auf den Boden fallen und trat dem ersten seitlich die Beine weg. Er brüllte vor Schmerz als er zu Boden ging, hieb jedoch mit der bewaffneten Faust nach Ashs Kopf. Der hatte den Schlag kommen sehen und drehte sich im letzten Moment weg, nur um noch einmal einen gut platzierten Tritt an den Kopf des Mannes zu setzen. Der Kopf schmatzte unter seinem Tritt und er rührte sich nich mehr. Immer noch ruhig atmend kam Ash auf die Beine, während er sich den Schlagring überstreifte, den Blick fixiert auf den zweiten Angreifer. Er sah die Panik in seinen Augen und den Angstschweiß auf seiner Stirn, konnte sie förmlich riechen.
Schnell trat Ash vor und stand nun direkt vor dem blonden Mann. Jetzt sah er selbst die Details in der Iris der geweiteten Augen. Mit einem kräftigen Kopfstoß brach er ihm die Nase, sodass Blut auf sein Shirt spritzte. Angewidert und mit einer fließenden Bewegung schleuderte Ash den Mann auf den Boden, wo dieser ebenfalls wimmernd liegenblieb.
Schnell wandte er sich um. Eiji stand mit dem Rücken zur Wand und lieferte sich einen Faustkampf mit dem ersten der Männer. Er hatte einen Riss auf dem Wangenknochen doch sonst schien er unversehrt. Der andere Typ lag auf dem Boden, sichtlich nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Schnell rannte er auf die beiden zu, doch Eiji versetzte dem Mann einen so heftigen Kinnhaken, dass auch dieser zu Boden ging. Keuchend blickte Eiji sich zu Ash um, der auf ihn zugelaufen kam. Blut tropfte aus Eijis Wunde auf den Boden, und sein Jochbein begann bereits, sich blau zu verfärben. „Eiji!" rief Ash und war schon bei seinem Freund. Die Wut kochte in ihm hoch und vertrieb die herrliche Leere und Klarheit des Kampfes beim Anblick seiner Verletzung. „Mir geht es gut!" wehrte Eiji ab und ließ sich gegen die Wand sinken, doch Ash sah das Zittern seiner Knie. Und doch war er beeindruckt. Eiji hatte zwei Männer abwehren können, alleine. Er war tatsächlich nicht mehr der kleine, weltfremde und süße Junge, den er das erste Mal in der Bar in New York getroffen hatte.
Ash hörte ein Schaben hinter sich. Blitzschnell wirbelte er herum und sah den ehemals bewusstlosen Mann, mit einer großen Glasscherbe in der Hand auf ihn zuhechten. Blut quoll aus der Handfläche, in der er das Glas hielt und wo es ihm in die Haut schnitt. Wie in Zeitlupe betrachtete er seine eigene Spiegelung im Glas, seine zusammengekniffenen Augen und die gebleckten Zähne, die blonden Haare zerzaust in sein Gesicht fallend. Doch er würde das hier nicht passieren lassen. Nicht noch einmal und diesmal nicht auch noch vor Eiji. Er zog das kleine Messer, dass er in seinem Hosenbund versteckt hatte und rammte es dem Mann in den Bauch. Ein großer Blutfleck breitete sich auf dessen Bauch aus, rot und feucht schimmernd. Ein krächzen kam aus seiner Kehle, kirrend zersprang das Glas auf dem Boden dann kippte er hinten über. Klatschend kam er auf dem Boden auf und ließ Ash mit dem triefenden Messer in der Hand zurück. „Ash!" rief Eiji empört. Er hatte die Hände vor den Mund geschlagen und starrte den sterbenden Mann zu seinen Füßen an. Dann verdrehte er die Augen und sackte in sich zusammen. Ash reagierte fast instinktiv und fing Eiji noch im herabsinken auf und schloss ihn in die Arme.
Ash wusste, was er zu tun hatte. Er drückte dem Mann, den Eiji gerade noch niedergeschlagen hatte das Messer in die Hand und steckte den Schlagring in die Tasche. Dann tropfte er das Blut von seinem Messer auf die Stelle, an der er sich vorher geschnitten hatte, und an der Eijis Blut auf den Stein getropft war. Es würde nach einem Straßenkampf aussehen, bei dem einer den anderen getötet hatte. In der Ferne hörte er schon Sirenen heulen, er musste sich also beeilen. Zeugen hatte es hoffentlich nicht gegeben, aber der Schnellimbiss hatte schon länger geschlossen gehabt und auch sonst war kein Passant um die Ecke gekommen.
Nachdem ihre Spuren verwischt waren, nahm Ash Eiji vorsichtig auf den Arm und trat aus der unbelebten Gasse hinaus in den Sonnenschein. So schnell er konnte, machte er sich auf zur Wohnung, mit dem bewusstlosen Eiji im Arm. Er hätte es wissen müssen! Wie konnte er nur so ein Idiot sein! Natürlich waren sie auch hier in Japan in Gefahr! Und er hatte einen riesigen Fehler begangen, indem er sich in Eijis Nähe begeben hatte. So unfassbar dumm!
Ohne eine weitere Störung kamen sie an dem Apartment an und er sprintete die Treppe hoch. Eiji wog fast nichts in seinen Armen, noch immer strömte das Adrenalin durch seinen Körper und machte ihn jeden Schmerz oder Erschöpfung vergessen.
„Ash!" rief Max bestürzt, als Ash die Türe aufstieß und in den Flur gestolpert kam. Sofort war auch der Rest zur Stelle und Max nahm Eiji auf Ashs Armen.
„Was ist passiert?!" „Wie seht ihr aus?!" „Wie geht es dir?" hagelten die Fragen auf ihn ein, doch er drängelte sich an allen vorbei und folgte Max, der Eiji ins Schlafzimmer brachte und ihn aufs Bett legte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Eiji nichts fehlte warf er einen letzten Blick auf ihn, mit geschlossenen Augen und dem eingetrockneten Blutrinnsal, dass ich deutlich von seiner immer noch blassen Haut abzeichnete. Dann ging er wieder ins Wohnzimmer und setzte sich an den Tisch um alles zu berichten.

Banana Fish IIWhere stories live. Discover now