Eiji

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Am nächsten Morgen wachte Eiji richtig schlecht gelaunt auf. Er hasste es, sich mit Ash zu streiten. Aber er würde niemals locker lassen. Wenn er an Ash dachte dann... dann sah er einen unglaublich verletzten, und immer wieder zusammengeflickten Menschen, der noch nie in seinem Leben Glück hatte. Und er würde nicht zulassen, dass Ash noch mehr geschah. Diesen Entschluss hatte er gefasst und daran war auch nicht zu rütteln.
Eiji sah auf die Uhr, er hatte vergessen, sich einen Wecker zu stellen und es war mittlerweile schon  9 Uhr durch. Er wollte heute eigentlich früh aufstehen und trainieren gehen! Eiji schwang die Beine aus dem Bett und stellte die Füße auf den eiskalten Boden. Er streckte sich kurz, dann ging er ins Bad um sich umzuziehen. Er öffnete gerade die Badezimmertür, als ihm die Klinke aus der Hand gerissen wurde und die Tür schon aufschwang. Er sah sich Nase an Nase mit einem Ash gegenüber, dessen triefende Haare ihm ins Gesicht hingen.  Das hatte jetzt gerade noch gefehlt. Eiji war wie paralysiert, dann trat er schnell einen großen Schritt zurück. Ash hatte sich ein Handtuch um die Hüfte gewickelt und trug einen Kleiderhaufen unter dem Arm. Er war ebenfalls muskulöser geworden und seine sehnigen Muskeln waren unter der blassen Haut zu erkennen. Einen Moment starrten sie sich an. „Du tropfst." meine Eiji dann schließlich, unschlüssig, wie er reagieren sollte. Er war eigentlich noch nicht bereit, auf Ash zu treffen und war immer noch stinksauer. Doch beim Blick in diese unglaublich grünen Augen, spürte er, wie sein Ärger sich in Luft auflöste.
Ash blickte verwirrt an sich herunter und bemerkte die Pfütze, die sich um seine Füße gebildet hatte. „Das heiße Wasser ist leer." informierte er Eiji, dann verschwand er im Schlafzimmer.
Noch ratloser betrat Eiji schließlich das dampfende Bad. Er wusste gar nicht, dass Ash heiß duschte. Eigentlich hätte er erwartet, dass Ash ausnahmslos eiskalt duschte, so wie er selbst es im Sommer eigentlich immer gern tat, wenn er vom Training kam. Aber es war interessant, dass Ash zumindest einige Annehmlichkeiten des modernen Lebens zu Schätzen wusste. Er öffnete schnell ein Fenster um den Wasserdampf loszuwerden und machte sich ans Umziehen.

Er wollte sich gerade sein Shirt über den Kopf zerren, als sich die Türe noch einmal öffnete. Schon wollte er Ash anfahren, und ihm die Türe wieder vor der Nase zuschlagen, doch diesmal war es Sing, der in der Türe stand, mit seiner Zahnbürste in der Hand. „Du weilst ja wieder unter den Lebenden!" begrüßte er Eiji frudig, dann fiel sein Blick auf Eijis Oberkörper. „Was zur Hölle hast du getrieben?!" stieß er aus. „Du siehst ja bald aus wie ein Bodybuilder wenn du so weitermachst!" er stieß einen anerkennenden Pfiff aus und feixte. Eiji wurde rot und zog sich schnell das Shirt ganz über den Bauch. Das waren ihm viel zu viele Bauchmuskeln an einem Morgen. „Danke Sing, ich habe viel trainiert... ich wollte jetzt auch gerade ins Stadion fahren." Damit drängelte er sich an Sing vorbei in den Flur. „Was machst du heute so?"
„Wir wollten Ash mal nach Tokio mitnehmen und ihm die Stadt zeigen. Und dann mal gucken... es ist schon irgendwie seltsam nicht die ganze Zeit in Lebensgefahr zu schweben, weißt du?" verlegen lachte Sing und kratzte sich am Hinterkopf. „Na ja, ich muss wohl öfter Ferien machen. Brauchst du noch was im Bad?"
Eiji winkte ab. „Nein, ich habe alles, wir sehen uns dann heute Abend."
„Steht das mit dem Club noch? Ich weiß ja nicht, was gestern bei euch vorgefallen ist, aber ich konnte bei eurem Gezanke nicht schlafen."
Eiji drehte sich noch einmal um. Er wollte sich von Ash's Kontrollwahn nicht auch noch den Aufenthalt in Tokio vermiesen lassen. „Ja natürlich, ich freu mich schon drauf." sagte er schließlich. Dann ging er endgültig in die Küche um seinen morgendlichen Proteinshake zu genehmigen.

In der U-Bahn musste Eiji erst einmal durchschnaufen. Er hatte Bones beim Frühstück getroffen, wie er lesend am Esstisch saß. Er hätte nie gedacht, dass der kleine Amerikaner überhaupt je ein Buch in die Hand genommen hätte, aber scheinbar interessierte sich Bones sehr für englische Literatur und hatte Eiji davon vorschwärmen müssen. Man durfte Menschen eben nie nach ihrem Aussehen beurteilen und immerhin wusste er jetzt, wer Jane Eyre war und was sie so getrieben hatte. Die Bahn ratterte gerade durch einen Tunnel und Eiji betrachtete sein Gesicht in der gegenüberliegenden Scheibe. Diese Situation mit Ash brachte ihn einfach durcheinander. Er wusste auch nicht so ganz, was ihn so verbissen machte, aber er konnte es einfach nicht ertragen, wenn Ash etwas zustieße.
Eine Durchsage ertönte und Eiji seufzte. Dann nahm er seine Tasche und verließ die U-Bahn als diese zum Halten kam. Er würde heute einen guten Trainingstag haben und sich dann in einem Club amüsieren. Das hatte er vor lauter Training seit einem halben Jahr mindestens nicht mehr gemacht. Und mit Ash würde er sich auch noch aussprechen.

Als er die Tür aufstieß, die zu den Umkleiden des Stadions führten, schlug ihm der Geruch nach frischer Wandfarbe und Turnhalle entgegen. Er atmete tief ein, und sein Gehirn schien sofort den Modus zu wechseln. Er lief in die Umkleiden der Herren und zog sich schnell um, um dann an den persönlichen Schließfächern nach seinem Stab zu suchen. Er fragte sich, ob noch andere Athleten außer Monika, ihren Freundinnen und ihm, früher angereist waren und heute vielleicht auch trainierten. Er hatte zumindest schon einmal eine Wasserflasche und ein paar verratzter Turnschuhe unter der Bank stehen sehen, also war er wohl nicht der Einzige.
Mit dem Stab in der Hand machte er sich auf in die Mitte des Stadions.

Er wurde von der Seite gerammt und sah nur noch den Boden auf sich zukommen, dann lag er auch schon auf der undgemütlichen Tartanbahn und die kleinen Körnchen piksten in seine Stirn.
Schnell drehte er sich um und sah einen riesigen Typen über sich aufragen, der ihm die Hand entgegenstreckte.
„Alles okay bei dir?" fragte er und beugte sich hinab zu Eiji, der sich stöhnend die Stirn rieb. „Ich hab dich nicht kommen sehen, tut mir leid."
Wow super, Leichtathletik Regel Nummer eins, immer zu erst gucken wenn man die Bahn überquert. Das fing ja wirklich toll an heute.
„Allen okay nix passiert." antwortete Eiji und ließ sich von dem Kerl auf die Beine ziehen. Er war bestimmt einen Kopf größer als Eiji und völlig mit Muskeln bepackt. Er war nicht einmal umgefallen als er in ihn hineingerannt war! Stattdessen hatte er Eiji umgerannt wie ein LKW.
„Ey man sorry!" entschuldigte er sich noch einmal. „Ich war so in Gedanken versunken irgendwie."
„Nein es war mein Fehler, ich habe nicht mal geguckt!" stritt Eiji ab und klopfte sich die Klamotten ab. Er musterte den Mann vor ihm nun genauer. Er hatte strubbelige dunkelbraune Haare und schien aus Russland zu kommen, dem Akzent und den Gesichtszügen zu Urteilen.
„Was machst du hier?" fragte Eiji den Typen. „Also ich meine natürlich, welche Disziplin..."
„Ich trete im Hammerwerfen an für Russland." stolz präsentierte er das Emblem mit den olympischen Ringen auf seiner Jacke. Da Russland eine Dopingaffäre hinter sich hatte, starteten die Athleten nun unter Olympischer Flagge, das hatte Eiji im Fernsehen gesehen.
„Cool! Ich mache Stabhochsprung" sagte Eiji mit einem Deuten auf seinen Stab, der noch neben ihm auf dem Boden lag. Das erklärte so Einiges... natürlich sah der Typ dann aus wie ein bleicher „The Rock". „Ich bin übrigens Eiji Okumura, freut mich." stellte Eiji sich vor und streckte seinem gegenüber die Hand hin. Dieser ergriff sie und sagte: „ich bin Sergej. Du bist aus Japan, stimmt's? Eiji nickte. „Ja genau. Aber ich bin erst das erste mal da."
„Und dann auch noch im Heimatland! Das muss viel für dich bedeuten."
Eiji war überrascht über das Einfühlungsvermögen des Hünen. Das hatte noch nie jemand bemerkt. Es war in der Tat sehr viel Druck und Erwartungen die auf ihm lasteten. Es war eine Ehre überhaupt bei den olympischen Spielen antreten zu dürfen, aber dann auch noch im eigenen Land... das war wirklich etwas Besonderes.
„Na ja, ich sollte mal weiterlaufen. Ich bin auch gerade erst gekommen also sehen wir uns ganz bestimmt noch öfter heute." Damit setzte Sergej seine Air Pods wieder in die Ohren und machte sich wieder auf den Weg.
Was für Menschen er hier nur traf, dachte Eiji bei sich. Er war so froh, dass er diese Chance bekam und für sein Land würde springen dürfen. Ganz Japan-was heißt nur Japan, die ganze Welt würde ihm zusehen und er würde sie nicht enttäuschen. Entschlossen nahm er seinen Stab und blinzelte fröhlich in die Sonne. Dann machte er sich auf zu den Hochsprungmatten.

Banana Fish IIWhere stories live. Discover now