Kapitel 21

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>Du schielst auf den Boden und meidest meinen Blick wenn du lügst, Sidney<, erklärte ich der Blondine besorgt. Meine Hände umklammerten ihre Handgelenke noch immer, aus Angst sie würde ihre Tat fortführen, wenn ich sie nicht davon abhielt. Ich wollte nicht, dass sie sich wehtat. Ihre kompletten Arme waren verschrammt und zerkratzt. Sie so zu sehen brach mir das Herz, jedoch versuchte ich meine Gefühle im Moment zu überspielen.

>Oh<
Mehr fiel ihr dazu nicht ein und sie biss sich auf die Unterlippe.
>Willst du mir davon erzählen?<, sprach ich weiter und hielt mit dem Mädchen vor mir Blickkontakt. Sidney sah mich an als hätte sie den Tot persönlich gesehen.
Sie nickte kaum merklich und seufzte einmal leise.
>An meinem siebzehnten Geburtstag bin ich von meinem Ex vergewaltigt worden<, murmelte sie beschämt und ich sah erneut Tränen über ihr hübsches Gesicht laufen.
Erschrocken riss ich die Augenbrauen in die Höhe und wusste kurz nicht was ich darauf antworten sollte.
Er hatte sie vergewaltigt?! Das konnte nicht sein! Überfordert klappte mir die Kinnlade hinunter.
>Dieser Junge hatte meine Erinnerungen an den Tag wieder hochgeholt<, erklärte sie weiter, was jedoch durch ihr Schluchzen ein wenig schwerer zu verstehen wurde.
>Das tut mir so leid<, stammelte ich überfordert und nahm sie erneut in meine Arme. Ich konnte und wollte mir dieses Szenario nie im Leben vorstellen. Wut empfand ich irgendwie noch nicht, ich spürte nur den Schmerz, den Sidney mit sich trug. Dieses arme Mädchen hatte schon so viel mitgemacht, kein Wunder, dass sie depressiv geworden war. Ich konnte spüren, wie sehr sie zitterte und drückte sie deswegen fast schon automatisch stärker an mich.
>Hast du schonmal mit jemanden darüber geredet?<, wollte ich von ihr wissen. Sidney schüttelte leicht den Kopf und lies ihn auf meine Schulter fallen.

Ich wusste nicht was ich tun sollte. Die komplette Situation überforderte mich.
Ich war der erste dem sie das anvertraute.
Unschlüssig streichelte ich ihr über den Rücken und lies die Stille für einen kurzen Moment den kompletten Raum einhüllen. Vielleicht war schweigen gerade das, was sie brauchte. Ich wusste es nicht. Ich war mir nichtmal sicher, ob Sidney es später bereuen würde mir davon erzählt zu haben, ob es mich überhaupt etwas anging. Obwohl sie meine Anwesenheit, wie es zumindest im Moment aussah, genoss, könnte es trotzdem sein, dass sie mir später deswegen böse wäre. 
Ihre Atmung wurde etwas regelmäßiger und sie schob sich ein bisschen von mir weg, um in meine Augen zu sehen.
>Tut mir leid, ich wollte nicht, dass du das mitbekommst<, meinte Sidney etwas verlegen und brachte mich damit leicht aus der Fassung.
>Wieso? Ist es schlimm mir davon erzählt zu haben?<

Kurz brach wieder Stille aus, während sie mir in mein Grün sah, als stände dort eine Antwort auf ihre Fragen. Ich legte den Kopf schief.

>Nein, eh so war das nicht gemeint<, murmelte das gegenüberliegende Mädchen und versuchte sich mit einem Arm wieder auf die Beine zu stellen, der andere verwischte die restlichen Tränen. Allerdings knallte sie mit einem Zischen wieder auf dem Boden und rieb sich schmerzerfüllt die Innenseite ihrer Arme.

Erschrocken schnappte ich nach Luft.
>Alles okay?< meine Stimme klang etwas zu unsicher meiner Meinung nach.

>Ja klar, mir gehts gut<, antwortete Sidney und lachte am Ende leicht. Ich wusste nicht was, aber irgendetwas versuchte sie damit zu überspielen. Mir war aufgefallen, dass sie in den meisten Fällen, wo man eigentlich ernst bleiben würde, Witze über die Situation machte. Sicherlich war das eine Schutzfunktion, die ihr Körper sich mit der Zeit angeeignet hatte. Ich stand auf und half ihr, ihr Gleichgewicht zu finden.
>Was machst du?<, wollte sie etwas panisch wissen als ich mir ihre Arme schnappte und unter den Wasserhahn zog.
>Die Verletzung könnte sich entzünden wenn du sie nicht säuberst<, murmelte ich konzentriert. Sie zischte erneut auf als das Wasser auf die Wunden prasselte. Sidney versuchte mir irgendetwas zu erzählen, jedoch kamen ihre Worte nicht bei mir an. Ich starrte einfach wie versteinert auf die Schrammen. Dieses Verhalten war definitiv kein gutes Zeichen. Es war ein Beweis, dass sie entweder die Medikamente nicht nahm oder sie im schlimmeren Fall nichts mehr brachten. Ich war mir absolut nicht sicher, ob ich mich in dieses heikle Thema einmischen oder es lieber lassen sollte.

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