der raum hinter seiner jungen seele

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ein busch blonder haare, kurzer aschblonder haare geriet in ihr blickfeld; er kam selbst und verzauberte sie, wie lässig er sich auf dem stuhl nach hinten lehnte, sorglos lachend, und ihr seine zeit widmete, bis zum nächsten klingeln.

sie fühlte sich geehrt, hatte nichts ähnliches erwartet, war perplex.

inmitten dreckiger betonwände, schlafloser routine und konservativen altlingen geriet er in ihr visier, er weltoffen, anziehend, pulsierend, hoffnungslos freundlich; die seele für alle weit aufgeschlagen, der eingang ohne mühe begehbar, sie entschied sich ihn zu betreten.

eine leere, mittelgroße bibliothek - zwischen verstaubten memoires und völlig neuen glanzbroschüren fand sie sich wieder - eine kleine leiter zur obersten schublade, dort futuristische utopien, darunter vielseitige enzyklopädien, hin und wieder eine kerze, bei dem licht aus dem fenster eigentlich gar nicht nötig.

sie ließ sich auf dem gestickten, warmen und rauen teppich nieder und schob sich ihr haar hinter die ohren, wohl wissend, womit sie die nächsten paar ewigkeiten verbringen würde.

und irgendwann ging sie, völlig durchwühlt von gedanken, an alles und vorallem an ihn, sich die frage stellend was das alles bedeutete, so plötzlich und doch so.. ..gewollt, als ob sie davon wusste und auf ihn, auf seine aschblonden haare

gewartet hätte..

sie schlief und schlief traumlos, ihr tag war bereits ein traum, manchmal fand sie keinen schlaf und stand auf, wanderte herum, auf morgen wartend, morgen konnte sie der bibliothek wieder einen besuch abstatten..

und jedes neue aufwachen brachte sie zur seiner seele, ganz weit weg von ihr, erneut und erneut, und sie hob ihre mundwinkel, ihn wortlos anlächelnd, seine worte vorbeirasend, doch sie sah nur seine augen, starrte in sein euphorisches gesicht, ach, das thema muss er lang durchdacht haben, sie konnte das nicht, sie konnte an ihn denken, an ihn und seine buschigen haare.

jeder Tag bestand aus ihm, er war der einzige plan für heute, der unbedingt erfüllt werden musste. zwei tage die woche war sie im trance, allein in ihrer kleinen obhut, auf den tag, den alle hassen wartend, träumend, sie stellte sich dinge vor, momente vor, gefühle vor..

mit dem ersten klingeln richtete sie ihre kaum durchgekämmten haare, sich umschauend und fing ihn bald schon ein, den jungen mit dem durchgestochenen ohr, dort ein schwarzer mystischer stein, sie wollte sich darüber informieren, vergaß es bei all den gedanken, träumereien.

er redete ab und zu französisch, genau wie sie französisch, und sie war erfreut, immer wenn es um die differenzen zwischen faire und fumer ging, immer wenn sie sich mit ihm über capitalisme und communisme stritt, nur mit ihm allein, niemand sonst kannte diese sprache, die ewige sprache von napoleon und antoine lavoisier, und sie hatte ihn nur für sich, für einige momente, oder besser gesagt stücke ihres tages, und nur diese kleinen stücke nährten sie, gaben ihr gründe, für.. alles.

sie erzählte etwas von ihr, er von seiner lebensreise. er faszinierte sie, nicht nur mit seinen haaren, nicht nur mit seinen triefenden augen, wenn er mal wieder niesen musste, nicht nur mit seinem nervös zuckenden fuß wenn er nichts zu tun hatte, nicht nur mit seinen dokus zum einschlafen, nicht nur mit der selbstsicheren art, wie er kommunizierte.

nein, es war nicht nur das. es war der raum hinter seiner seele, der unscheinbare raum, zwar unverschlossen, doch selten besucht, sie war meist die einzige, die hinter die tür schaute und für einige minuten oder stunden verschwand.

und einmal fand sie ein heftchen mit der überschrift "zucker verbannen, es nährt ihn", was das wohl zu bedeuten hatte? stockend steckte sie das heftchen ein, vermutend, dass ein anderer es hierhin gebracht hatte.

und das mädchen verlor das heftchen, ganz ausversehen, und vergaß es, ganz ausversehen. sie hatte anderes im kopf - denn er sprach mit anderen, lachte auch mit anderen.. da wo etwas war, etwas blitzte, da war er, und wieder weg, ein auftauchen und verschwinden. er suchte dinge zum schmücken und verfeinern seiner seele, für den raum hinter der tür, wie eine kollektion von momenten an sinn, an meinung, an mensch...

und manchmal war er nicht da, und niemand wusste, wo er blieb, und am nächsten tag erschien er frisch und fröhlich, zur freude aller und vorallem auch ihr. sie genoss jeden augenblick, auch wenn er nur kurz war, das half ihr.

und einmal erschien er ohne seine buschigen haare. hielt sich zurück, redete nicht, zwischen den klingeln verschwand er irgendwohin..

es ging eine zeit lang so.

bis er auf einmal gar nicht mehr kam.

für immer und ewig.

und als sie es realisierte, zerriss etwas in ihr. alle kraft verließ sie und sie fiel in ihr weiches lieblingskissen. weinte tag und nacht. schlief endlich ein. zum ersten mal seit langer zeit träumte sie. sie trat vor die tür der kleinen bibliothek. erleichtert. nach dem öffnen der tür schmiegte sie sich schnell, hoffend herein und sah leere. alle regale waren leergeräumt. die bücher verschwunden. die kleine leiter zusammengeklappt.

"was passiert hier?' fragte sie einen arbeiter in blauer uniform, der einen verpackten karton zum ausgang schleppte.

er reagierte nicht. nahm das letzte, was übrig war, aus dem raum. alles war weg. das mädchen war erstarrt. drehte sich langsam im kreis und ließ ihren blick um das sonst so bekannte zimmer schweifen. ein kleines buch fand ihren blick, offenbar zurückgelassen. "das mädchen mit dem goldblonden haar" hieß es. ein abbild von dem mädchen zierte den umschlag. ihr abbild.

mit zitternden fingern nahm sie es und öffnete die erste seite. und sie wurde still, für immer still.

man nannte sie "das stille mädchen", all die nächsten jahre lang.

doch kaum einer konnte sich vorstellen, dass sie einst auch mal "das mädchen mit dem goldblonden haar" genannt wurde, von einem längst vergessenen menschen.

vergessen. naja, zumindest nicht von ihr.



wer checkts? ;)

overthinking the worldWhere stories live. Discover now