F Ü N F U N D D R E I S S I G

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Nate hielt mich nicht auf. Er hielt mich wirklich nicht auf und ich war so stark davon ausgegangen, dass es mich völlig unvorbereitet traf, als meine Lippen tatsächlich auf seine prallten.

Warm und rau und weich und für den Bruchteil einer Sekunde vergaß ich, wie man überhaupt küsste. Ich erstarrte einfach, während ein heißer Schauer komplett von meinem Kopf bis in die Zehenspitzen raste und wusste nicht, ob das gerade wirklich passierte. Vielleicht war das irgendeiner dieser gruselig realen Träume, bei denen es immer diese eine komische Sache gab, die verriet, dass es wirklich nur ein Traum war. Nur gerade konnte ich nicht sicher sagen, was echt war und was nicht.

Nate ließ seine Hand zu meinem Rücken gleiten und zog mich noch enger an sich. Es war der Weckruf, den ich brauchte, um aus meiner Starre zu erwachen. Und dann, während wir uns küssten, vergaß ich, über echt und unecht nachzudenken. Seine Lippen an meinen und meine Hände auf seiner heißen Haut waren zu berauschend. Es vernebelte meine Sinne und das Einzige, was ich noch wusste, war, dass ich mehr wollte. Mehr von seinen Küssen und mehr Haut auf Haut.

Ich drückte ihn auf den Rücken, ohne den Kuss zu unterbrechen, und kletterte auf ihn hinauf, nur um auf halbem Wege schmerzerfüllt zu zischen. Dieser beschissene Schnitt.

Nates Atem ging flach. „Alles okay?"

Ich nickte fahrig und schloss die Lücke zwischen uns wieder. Ich wollte das Ziehen in meinem Fuß vergessen. Wollte den Nebel in meinem Kopf zurück. Wollte ihn.

Nate umfasste meine Hüfte mit beiden Händen und rollte uns herum. Mich auf den Rücken mit sich über mir. Und dann traf mein Mund ins Leere und es fühlte sich an, als hätte er mich fallen gelassen.

Irritiert flogen meine Augen auf. „Was ist?"

„Was war das eben?"

„Ich habe nur kurz meinen Fuß dumm belastet. Alles gut." Ich wollte seinen Kopf zu mir herunterziehen, aber Nate machte nicht mit. Er verlagerte sein Gewicht auf seine Unterarme neben meinem Kopf und sah mich an. So lange, dass ich mich immer idiotischer fühlte, weil ich mir sicher war, dass er diese Sache mit seinen nächsten Worten so schnell wieder beenden würde, wie sie angefangen hatte.

„Ich weiß nicht, was das werden soll, Maylea", murmelte er, während er abwesend durch meine auf dem Kissen ausgebreiteten Haare strich. „Was deine Absichten sind, meine ich. Aber falls ich sie richtig einschätze, kann ich dir nicht geben, was du willst. Ich will nicht für eine Nacht herhalten, damit du dich ablenken kannst. Dafür bin ich nicht der Typ."

Befangen grub ich meine Zähne in meine Unterlippe und ließ langsam meine Hände von seinem Gesicht gleiten, um mein eigenes vor ihm zu verbergen. „Tut mir leid", nuschelte ich in meine Handflächen.

„Muss es nicht. Ich hab schließlich auch meine Prinzipien übergangen. Da haben wir uns beide zu Sachen gebracht, die wir nicht hätten tun sollen."

Ich linste vorsichtig zwischen meinen Fingern hindurch, um einen Blick auf Nate zu erhaschen, aber es war zu dunkel, um mehr als seine Umrisse und den leichten Glanz seiner Augen zu erkennen. Resigniert ließ ich meine Hände auf meine Brust sinken.

Es war irgendwie alles falsch, was falsch sein könnte. Ich komplett in Straßenklamotten gehüllt und er nur in Boxershorts. Er stand auf mich und ich war mir nicht sicher, ob es auf Gegenseitigkeit beruhte. Da war etwas, was mir immer wieder ein Flattern im Bauch bescherte und nach mehr als nur gewechselten Blicken oder Wortfetzen verlangte. Etwas unwiderstehlich Reizvolles, anziehend wie ein Magnet, gegen den ich offensichtlich keine Chance hatte. Aber ich wusste nicht, ob es für das reichte, was Nate wollte.

„Und jetzt?", fragte ich kleinlaut, weil ich selber nicht wusste, wie es weiter gehen sollte. Ich wollte da anknüpfen, wo wir aufgehört hatten. Ich wollte, dass Nate von mir runterrutschte. Ich wollte, dass er weiter mit meinen Haaren spielte. Ich wollte, dass er zurück in sein Haus verschwand. Ich wollte, dass er blieb. Ich wollte alles und nichts.

BackroadsWhere stories live. Discover now