Viennas

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►Vom Viennas hatte ich bisher noch nie etwas gehört.
Ich war nicht vertraut mit der Nachtclubszene und verbrachte meine Samstagabende normalerweise eingekuschelt auf dem Sofa, während ich in einem Buch versank - es sei denn, meine Freundinnen zwangen mich dazu, meine Komfortzone zu verlassen und auszugehen. Ich blickte suchend aus dem Autofenster, in der Hoffnung irgendetwas zu erkennen, das auf einen Nachtclub deuten könnte.
Einige vereinzelte Menschen schlenderten auf den Gehwegen entlang. Plötzlich wurde das Taxi langsamer, bis es zum stillstand kam. Der Fahrer erklärte mir, dass sich der Eingang hinter dem Gebäude befand. Ich bedankte mich, zahlte und machte mich eilig auf den Weg dorthin. Es war bereits fast halb zehn und ich war spät dran. Da ich nicht oft ausgehen, hatte ich keine Ahnung, dass zu dieser Uhrzeit noch so viel Verkehr herrschte.

Am Hintereingang des Clubs versammelten sich eine Menge Leute, die wild durcheinander plauderten und lachten. Es schien, als würden alle in den Club wollen. Ich hatte nicht erwartet, dass das Viennas so gut besucht sein würde. Aber was wusste ich schon?
Vor der massiven, metallischen Doppeltür, die eher wie der Eingang zu einem Lagerhaus wirkte, stand ein breiter Mann mit muskulösen, tätowierten Armen und einem ernsten Gesichtsausdruck. Mit ihm würde ich mich definitiv nicht anlegen wollen. Offensichtlich versuchte er zwei stark alkoholisierten Frauen zu erklären, dass sie den Club in ihrem Zustand nicht betreten durften. Plötzlich öffnete sich die schwere Tür und ein zweiter Türsteher trat hervor. Er wirkte noch breiter, hatte jedoch weichere Gesichtszüge. Er hatte keine Tattoos, zumindest nicht an offensichtlichen Stellen. Sein kahler Kopf glänzte im Licht. Die beiden Türsteher unterhielten sich kurz miteinander und sahen sich dann suchend um. Ihre Blicke trafen auf meinen und verharrten dort einen Moment lang.

»Miss-« rief der Glatzkopf mir zu, und ich sah mich um, um sicherzugehen, dass er nicht jemand anderen meinte.
Da es unmöglich war, inmitten der lauten Menge zu kommunizieren, wartete ich geduldig, bis der Türsteher zu mir kam.

»Ich?« antwortete ich fragend und legte einen Finger auf meine Brust.

»Kommen Sie bitte mit, Sie werden erwartet!« sagte er und bedeutete mir, ihm zu folgen.
Was zum Teufel ging hier vor sich? Verwechselten sie mich mit jemand anderem? Ich konnte spüren, wie das Gemurmel in der Menge begann. Die Blicke der Frauen, die mich kritisch musterten, ließen mich immer unwohler fühlen. Was um alles in der Welt tat ich hier?

Die Luft im Inneren des Clubs war heiß und stickig, ein drastischer Kontrast zur kühlen Septemberbrise draußen. Ich machte mich auf den Weg zur Garderobe, die mit einem auffälligen Neonschild kaum zu übersehen war. Dort angekommen, zog ich meinen Mantel aus und übergab ihn einem Mann, der dort arbeitete. Mit seinen schlanken, dünnen Fingern nahm er meinen Mantel entgegen, befestigte ihn an einem Kleiderbügel und reichte mir ein Ticket mit einer Nummer darauf. Ein eher langweiliger Job, dachte ich, den ganzen Abend Jacken aufzuhängen und dabei den Menschen beim feiern zuzusehen.
Nicht dass mein Job viel aufregender war. In der Bücherei nahm ich Bücher entgegen, stempelte sie ab, wenn sie zurückgebracht wurden, und sorgte dafür, dass sie wieder an den richtigen Platz in den Regalen kamen. Ein ruhiger und oft einsamer Job im Vergleich zu dem, was hier im Viennas gerade vor sich ging.

Mein Blick schweifte durch den Club und ich konnte nicht anders, als von den vielen attraktiven Menschen fasziniert zu sein. Hier schien das Verhältnis von Männern zu Frauen deutlich zugunsten der Männer auszufallen. Alle Gäste waren unglaublich gut aussehend. Glücklicherweise hatte ich mich gegen mein gewohntes Outfit entschieden, denn in Jeans und Sneaker hätte ich mich hier fehl am Platz gefühlt. Dennoch schwand mein Selbstbewusstsein angesichts all dieser wunderschönen Frauen, die locker als professionelle Models durchgehen könnten, obwohl ich dieses Verboten kurzes Kleid trug, dass grade so meinen Po bedeckte und meinen hohen Schuhen, auf denen ich mir wahrscheinlich sämtliche Knochen brechen würde, sollte ich umknicken.
Mein Blick schweifte durch die Menge, auf der Suche nach dem unbekannten, heißen Mann. Es war schwierig, ihn zwischen den wechselnden Lichtern auszumachen.
Der Club war tatsächlich nicht so groß, wie es von außen den Anschein hatte. Zahlreiche Diamanten hingen von der Decke und brachen das einfallende Licht, wodurch ein funkelndes Farbenspiel entstand. In der Mitte befand sich eine leicht eingelassene Tanzfläche. Ringsherum waren Podeste aufgestellt, auf denen knapp bekleidete Frauen tanzten und venezianische Halbmasken aus Spitze trugen. Ihre Kleidung, die eher als Dessous durchging, war mit glitzernden Steinchen bedeckt, die das Licht in zauberhaften Reflexionen widerspiegelten. Über der Tanzfläche schwebte ein Art Balkon, auf dem sich das DJ-Pult befand und zu dem eine filigrane Metalltreppe hochführte.
Etwas weiter hinten entdeckte ich eine dunkelrote Tür mit schwarzen Ornamenten, die bei genauerem Hinsehen wie ineinanderfließende nackte Frauen aussahen. Mein Blick verharrte einen Moment darauf - sie war faszinierend anzusehen. Zwei weitere Türsteher standen davor und ließen ein Paar mit den gleichen Masken wie die Tänzerinnen hindurch. Durch die Tür drang gedämpftes, rotes Licht. Was mochte sich wohl dahinter verborgen halten? Vielleicht eine exklusive Tabledance-Bar, in der wunderschöne Frauen an Stangen entlang glitten wie elegante Schlangen? Oder gar ein Swingerclub mit älteren, wohlhabenden Herren, auf der Suche nach jungen, willigen Frauen?
Ich war schockiert über meine eigenen Gedanken.
Im Club erstreckten sich zwei Bars über den Raum, an denen die Menschen tranken, sich unterhielten und im Takt der dröhnenden Musik mit wippten. Mein Blick blieb an einem Pärchen hängen, das wild an der Bar herummachte. Seine Hand befand sich zwischen ihren Beinen und sie schien es in vollen Zügen zu genießen, während niemand in ihrer Umgebung ihnen auch nur die geringste Beachtung schenkte. Beschämt wandte ich den Blick ab, es fühlte sich falsch an, etwas so Intimes zu beobachten. Doch gleichzeitig konnte ich nicht leugnen, dass es mich auch erregt hatte und ich mir wünschte, an ihrer Stelle zu sein.

Snow White's PleasureWhere stories live. Discover now