sekundus

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Du warst das schwarze Loch in meinem Universum. Unergründlich und doch so anziehend. Ich habe dich nie ganz verstanden. Hab' nie verstanden, warum mich deine leeren Worte mehr gefüllt haben, als jedes Liebesgedicht. Warum ich mich damals geöffnet habe, viel zu sehr hast du mich mit in deine Untiefen gezogen, in das, was nie eine wirkliche Liebe war, so viel ist mir nun klar.

Letzten Sommer hast du meine Hand gehalten, während wir durch kühle Wälder gestreift sind. Behutsam und warm hat es sich angefühlt. Du warst mein Anker in einem Meer aus Trauer. Du warst die einzige Person, die mich über Wasser halten konnte.

Doch dann, irgendwann, wurden die Blätter bunt, waren bereit loszulassen. Genauso wie du irgendwann meine Hand nicht mehr hieltest, es war als hättest du sie nie richtig gehalten.

Ich entlasse dich in die Freiheit, schienst du damit sagen zu wollen. Doch in Wirklichkeit hast du mich wegtreiben lassen, von dir und von der Realität. Ich habe mich verloren in rauen Herbstnächten zwischen Nebel und Regen, zwischen meinen Ängsten und Träumen.

Der Winter kam und meine Tränen flossen wie die Regentropfen an meinem Fenster. Unermüdlich. Kalt. Still. Es gab niemanden, der mir Trost schenkte. Ich war gefangen in einem Leben, was ich längst nicht mehr wollte, das mich einengte, mir keine Luft mehr gab. Da war nur noch das Knistern des alten Plattenspielers und die klassische Musik, die meine Leere ein wenig füllten und vielleicht noch immer, nur ganz leise, die Gedanken an dich, an uns, an ein wir.

Erst die Frühlingssonne schaffte es, mein schneeweißes Herz, so eiskalt und fest, wieder auftauen zu lassen, es neu erblühen zu lassen. Ich konnte endlich loslassen, inmitten von Neuanfängen und Blütenduft, grünen Wiesen und frischen Knospen.

Heute hängt der Nebel über dem Wald wie eine längst vergessene Decke, ganz dicht und nass und traurig, doch ich kann dich trotzdem sehen. Die Tannen sind in ein tiefes grün getränkt, während die Laubbäume langsam wieder an Farbe gewinnen. Der Wind pfeift an mir vorbei wie ein Zug auf Durchreise und vielleicht warst du das auch nur die ganze Zeit: Auf Durchreise. Wolltest nur auf und davon. Weg von mir und der Monotonie unseres Dorfes. Wolltest ausbrechen. Und vielleicht ging es mir genauso.

Doch die Natur ist zu meinem Zufluchtsort geworden. Einsame Spaziergänge sind nun meine Therapie. Niemand ist frei, doch der Wald, die unvollkommene Stille und Einsamkeit geben mir eine Freiheit, die ich sonst nicht spüren kann, füllen ein wenig mehr den Teil in mir, den du mitnahmst.

wir waren windWo Geschichten leben. Entdecke jetzt