Useless Effort

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Speiübel. Mir war speiübel, als ich die schweren Augen öffnete. Ich wollte mich strecken und meine Muskeln entspannen, als mein Gehirn registrierte, dass meine Arme und Beine gefesselt waren. Ich spürte das schmerzvolle Reiben des Seils an meiner Haut. Ich versuchte meine Hände, die stramm auf meinem Rücken zusammengebunden waren, panisch loszureißen aber alles was ankam, war ein schmerzliches Brennen auf meinem Handgelenk. Meine Bewegung schallte für einen Moment, als würde dies einen echoartigen Ton ablassen.

Ich wollte nach Luft schnappen aber es gelang mir nicht, mein Mund war fest geknebelt. Was ist los?! Was passiert gerade?! Meine Erinnerungen sind wie ausgelöscht. Ich atmete tief durch meine Nase ein und aus und wagte es meine Sicht um meine Umgebung zu richten. Ich sah ins Schwarze, es war stockfinster und mein Blick verschwamm.

Mich überkam ein Gefühl der Panik, mein Puls stieg für einen Moment und mein Atem stockte. Die Luft war nicht stickig oder beengend sondern frisch, kein enger Raum sondern ein lagerähnlicher Ort. Ich spürte meine offenen, verschwitzten Haare, die auf meiner glühenden Wange kitzelten, meine rote Haarschleife wurde mir wohl heruntergerissen. Ich suchte verzweifelt nach meinem Haarband aber meine grünen Augen sahen ins Nichts, nicht mal Umrisse waren zu erkennen, totale Finsternis.

Das Pulsieren und Pochen gegen meinen Schädel wurde intensiver und die Übelkeit schoss mir in den Rachen: ich wollte mich übergeben! Ich schüttelte leicht den Kopf um den widerwärtigen Reiz und die aufstockende Angst zu unterdrücken und lehnte mich mit dem Rücken gegen die eisige Wand, die mein Körper nach sekundenlangem Rutschen wahrnahm. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte meine Konzentration auf mein Umfeld zu lenken aber meine Wahrnehmung war wie abgestorben und erloschen.

Meine Lauscher spitzten sich, der Raum, der eben noch totenstill und stumm war, wurde mit einem dumpfen Ton gefüllt. Keine Tür, nur schleifende Schritte, die aus dem Nichts eintrafen. Ich spürte eine erdrückende Präsenz, unheimlich und beklemmend. Mein Körper, der eben noch ohne jegliches Gefühl war, füllte sich mit Furcht, pure, überwältigende Furcht. Ich drohte erneut ohnmächtig zu werden, als ein Engegefühl meine Brust erreichte. In diesem einzigen Moment wusste mein Hirn: du warst in großer Gefahr! ...und diese Gefahr schlug mir mit aller Kraft ins Gesicht. Wortwörtlich, ohne Vorwarnung. Ein stechender Schmerz erreichte meine warme Wange, als mich diese Erkenntnis mit all seiner Intensität erreichte. Es war ein flüchtiger Hieb aber meine Statur schaukelte nach rechts und mein Oberkörper krachte mitleidlos auf den steinigen Boden. Das Pulsieren auf meiner Wange vibrierte durch meinen ganzen, schlaffen Körper. Die Hand, die mir einen Schlag verpasste war robust und kräftig, völlig ohne Erbarmen und Gnade.

Ich seufzte voller Frust auf und versuchte mich wieder ins Gleichgewicht zu ziehen aber meine Figur rührte sich keinen Zentimeter. Verdammt! Meine agilen Reflexe waren in diesem Moment so gut wie nutzlos. Der Strick um meine Beine und Arme waren professionell gebunden und zusammen gezogen und erschwerte mir jede winzige Bewegung. Ich spürte mein Gesicht nicht mehr, wie gelähmt. Ich versuchte mir mit meiner Schulter die honigblonden Haare, die mir die Sicht versperrten vom Gesicht zu schieben, als die Person, die mir einen Knall verpasste, auf mich zuging.

Ich kniff mir verzweifelt die Augen zu: ich war mit meiner Mannschaft Samezu und Coach Akio in Sendagaya, wir durften im Summer Cup antreten und schlugen Shinjuku und Azabu. ...vor einigen Minuten war mein Geist noch auf einem Basketballfeld. Warum?! Warum zum Teufel war es so weit gekommen?! Warum! ...wo war ich, wer war es gewesen, der mich knebelte, fesselte und einsperrte, was wollten sie von mir?! Wieso. Wieso? Wieso?! Ich legte hoffnungslos meine Stirn auf den eisigen Boden und schluckte schwer, als die Todesangst in mir aufstieg. Die Schweißperlen auf meiner Stirn führten ihren Weg über mein Gesicht und durchnässten mir mein Trikot, das nun lästig auf meiner Haut klebte. Nein, Nana, sei jetzt stark, sei stark und versuch dich zu ordnen! Du darfst jetzt nicht aufgeben und schlapp machen! Ich zog die Beine zusammen und übte auf meiner Stirn Druck aus, sodass das Pressen auf dem Boden mir Halt gab und mich wieder auf die Knie zwang. Das laute Atmen meines Peinigers war laut zu vernehmen, als würde dieser sich über meine missliche Situation freuen, auch der Geruch von unangenehmen Schweiß und auffälligem Parfüm nahm mein Geruchssinn deutlich wahr.

Ich durfte mich wieder sammeln, als die Person sich für einen Augenblick entfernte. Ich wusste nicht, wohin, es war mir auch egal aber diese Sekunden war meine Chance, wieder auf die Füße zu gelangen. Das war mein Plan aber als mein Körper sich zusammen riss und einigermaßen wieder aufrecht saß und aufrappelte, platzte meine Blase schlagartig und mich traf ein bohrender Tritt in die fragilen Rippen. Der Schmerz ließ mich komplett zusammenbrechen, regungslos und kraftlos. Meine Kehle verließ ein Laut, der nur gedämpft und beinahe tonlos aus meinem geknebelten Mund kam. Ich spuckte unter furchtbarem Husten und Würgen Blut aus, welches mir wieder in den Rachen floss und mein Leib gefährlich drohte elendig zu ersticken. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Ich darf nicht bewusstlos werden, bleib wach, Nana, steh auf, mach nicht die Augen zu, bleib wach, du musst wach bleiben, verdammt! Mir blieb die Luft weg, als mein Angreifer mit voller Wucht das Klebeband von meinen Lippen riss und der aufgestockten Lebenssaft samt Erbrochenem vor meinem Gesicht auf den Boden landete. Der Geruch war unerträglich und mich überkam erneut der krampfhafte Drang mich zu übergeben. Ich wollte meinen Mund öffnen, sprechen, reden, schreien aber meine Kehle war wie blockiert und paralysiert. Bevor meine gewohnte Kraft auch nur ansatzweise zurück in meine Knochen strömte, wurde mir der Mund erneut zugeklebt, diesmal fester und unlösbar, mit den Rückständen meiner Ausleerung auf meinen Klamotten und meinem Gesicht.

Ich durfte mich jedoch nicht erholen, als meine Sinne eine weitere Person spürte. Keine Stimmen, nur eine zweite Präsenz, die mit zierlichen Schritten auf meine Statur zusteuerte. Ich weitete die roten, tränenden Augen, als mir ein drillender Ton in die Ohren rang. Ein langsames Schleifen eines schweren Gegenstands. Ich ignorierte den durchdringenden Schmerz in meinen Rippen und kroch energielos zurück. Ich werde sterben, ich werde sterben, ich werde sterben. Wieso. Wieso ich?! Ich kam nie jemandem zu schaden, ich habe nichts verbrochen, ich wollte doch nur Basketball spielen! Wieso?! Warum ich! Ich wollte nur Basketball spielen...

Ich versuchte die spärliche Luft durch meine Nase einzuatmen aber scheiterte. Die Dunkelheit um mich herum schien mich immer weiter einzuengen und mein Herz drohte mir zu explodieren vor Angst. Ich schüttelte verzweifelt meinen Kopf, worauf meine feuchten, langen Haare sich an meinen Hals fest setzten. Höllenangst machte sich in meinem Körper breit, als der schleifende Ton immer näher kam. Die zweite Person schien sich auf meine Höhe zu hocken und observierte mich von Kopf bis Fuß, wie ein hungriges Tier seine gefangene Beute. Ich sah weder Umrisse noch andere Anzeichen, die Person zu erkennen, kein Duft der mir vertraut war, keine Anwesenheit, die mir bekannt vor kam, nichts, nichts, nichts! Mein Kopf war leer, blank!

Die Hand vom Angreifer strich von meinen nackten Oberschenkel runter zu meinem Knöchel. Die Berührung war ein leichtes Streifen aber mich überkam ein Schauer, der durch meinen Rücken zog und mir eine Gänsehaut verpasste. Ich zog meine Beine stürmisch zurück, jedoch schnitt mein Entführer mit einem scharfen Gegenstand den Strick durch, der meine Füße zusammen hielt. Ich richtete meine flimmernden Augen verwirrt auf meine Beine und überlegte, ob es ein Akt des Mitleids war aber warf den Gedanken schnell weg, als meine Ohren ein unscheinbares Schmunzeln wahrnahmen. Ich spürte die warme Flüssigkeit, die sich aus meinen Augen über meine pochenden Wangen bahnte. Herzlos. Verzweiflung, wie nie zuvor, erreichte mein Gehirn und für einen Moment glaubte ich zusammenzubrechen vor Schreck und Bangen. Das darf nicht wahr sein, das passiert gerade nicht, das ist nicht real!

Ich atmete immer schwerer, als der schwere Gegenstand, der noch am Boden schleifte mittlerweile meinen Körper berührte und mich gründlich abtastete. Es war rau, metallig und stabil. Bitte. Bitte. Bitte. Bitte. Nicht. Ich flehte, bettelte, betete zu Gott mich von diesem Unheil zu retten. Ich rief innerlich nach Akio, schrie, winselte und heulte nach meinem geliebten Coach aber es geschah kein Wunder.

Der ausholende Schlag, der mit voller Schwung meine Wirbelsäule traf und zerschmetterte, schien durch meinen ganzen Körper zu vibrieren. Ich krümmte mich vor Schmerzen, ein knapper aber penetranter Stich, der mein Beine ohne ein Abwarten in einen Taubheitszustand schmiss und vollständig lähmte. Für einen Augenblick verlernte meine Lunge das Atmen, nur ein erstickendes Aufschnappen erreichte meine Kehle. Mir wurde schwindelig, meine Augen schlossen sich und mein Geist schien endgültig davon zu fliegen.



*


Ich sehe ein Licht. Ein grelles Licht, dass mich wie magisch anzieht, voller Kraft und Energie. Ein Licht und ein lauter Ruf, der mich wieder in die Realität wirft, erbarmungslos. Ein verzweifeltes Schreien, dass in meine Ohren ringt. Leere. Ich spüre nichts, fühle nichts, komplette Leere. Höre nur die vertraute Stimme, die mich ruft.

„Nana?! Hey, Nana!" sagte die Stimme aufgebraucht meinen Namen. Nana. Nana war doch mein Name, nicht wahr?
„...ich bin es, Akio! Nana!" Akio? Das Licht dringt nun durch meine Augenlider aber sie waren schwer, so unfassbar schwer. Ich versuchte meinen Kopf nach links zu drehen um mir sicher zu sein, wer neben mir stand und mich so voller Sorge und doch liebevoll rief aber es gelang mir nicht. Meine grünen Augen öffneten sich einen Spalt: ich sah ein farbloses blond, graue, müde Augen und markante Gesichtszüge, die mich fürsorglich anblickten. Es war mein Coach Akio. Ich wollte nach ihm rufen, seinen allzu vertrauten Duft einatmen, der mich immer ruhig stellte, seine mütterlichen Arme um mich spüren und dass er mir sagt, dass alles in Ordnung ist.

Ich sehe nur weiße Farbe, eine weiße Decke, weiße Vorhänge am Fenster und ein weißes Bett. Mein Mund öffnete sich aber meine Stimme wollte nicht arbeiten, meine Zunge war wie abgeschnitten und meine Lippen fühlten sich staubtrocken und gerissen an. Mein Geruchssinn atmete die chemische Luft des Raumes ein. Ich verzog das Gesicht und mir wurde für einen Augenblick übel. Ich spürte Akio's warmen Fingerkuppen auf meiner Wange, als er merkte, dass mein Magen sich drehte. Warum starrt er mich so an? Warum schaut er mich mit diesem Blick an. Warum? ...wo bin ich, was ist passiert? Unendliche Fragen schwirren in meinem Kopf, der schmerzhaft pulsiert und pocht.

Ich war mittlerweile in der Lage in Akio's Gesicht zu schauen. Er seufzte laut auf und lächelte erleichtert, als er vollständig in meine grünen Augen blickte. Ich erkannte nicht viel aber Akio's Umrisse vor mir ließen mich für einen Moment entspannen. Für einen winzigen Moment.
„Nana, Gott sei Dank!", sagte er freudig und strich mir die offenen Haare zurück, um mein Gesicht gründlich zu studieren. „...sie ist wach!", rief seine starke Stimme laut.

Hektische Schritte, unendliches piepen verschiedener Geräte, viele Stimmen waren das Nächste, was meine Sinne wahrnahmen. Ein leichter, frischer Windzug streifte meine Wangen als eine weitere Person das Fenster im Raum auf Kipp stellte. Ich war nicht in der Lage meine Umgebung zu observieren, sah nur weiß, lag auf einem großen, gemütlichen Bett. Akio's Präsenz entfernte sich ruckartig und mein Gehirn schaltete sich rasend aus, als meine Nase einen eher süßen Duft roch. Braune, lange Haare, die zu einem Zopf gebunden waren, ein weißer Kittel mit einem Namensschild, verschwommene Buchstaben, nicht identifizierbar. Panik machte sich breit, mein Puls stieg gefährlich und meine Hände wurden zu Eis. Nein. Bitte. Nein! Er soll nicht gehen, er muss bleiben, Akio muss hier bleiben. Ich will nicht alleine sein, ich will nicht alleine sein, er soll mich nicht alleine lassen! Ich versuchte mich panisch nach vorne zu lehnen um nach Akio zu suchen aber wurde von zwei zierlichen Händen sanft in mein Kissen zurück gedrückt.

„Nana, alles ist gut, ich bin da!", spürte ich die große Hand meines Trainers auf meiner verbrennenden Handfläche. Ich griff mir voller Beklemmung seine Finger und drillte meine Nägel ängstlich in seine Haut. Ich atmete tief aus und schluckte schwer, als würde in meinem Hals ein massiver Klumpen stecken, der raus wollte. Mir war warm, meine verschwitzen Haare klebten unangenehm an meiner Stirn und mein Körper drohte zu explodieren vor Hitze. Ich kniff die Augen zusammen, als eine andere, kalte Hand meine Arme abtastete. Es war eine sanfte Berührung auf meinem Handgelenk, warmherzig und zart. Ich spürte ein leichtes Picksen und schaute auf meinen linken Arm herunter: Eine Nadel, die sich deutlich unter meiner gebräunten Haut abzeichnete. Eine Kanüle? An mein Finger war ebenso ein Pulsmesser angebracht.
„Augen geöffnet, Puls normal, Atmung gleichmäßig." Eine männliche, unbekannte Stimme.

„Frau Sakuragi." Ich sah in zwei tiefblaue Augen, schwarze, mittellange Haare, die in einem gegelten Seitenscheitel frisiert waren. Ein fremder Mann aber ein behutsamer Blick und überaus weiche Gesichtszüge. Er trug ebenso einen weißen Kittel mit einer hellblauen Krawatte. Er sagte meinen Namen und wartete auf eine Antwort, auf eine Reaktion von mir. Meine Lippen setzten zum Sprechen an, mein Mund war geöffnet aber meine Stimme kam nur in einem Krächzen heraus. Meine Kehle war trocken und verlangte nach Wasser.
„Ansprechbar, Pupillen reagieren normal, Reaktion scheint noch verlangsamt."

Mein Gehirn nahm nicht das ganze Schauspiel wahr aber meine Sicht schien wieder seine gewohnte Energie zu erlangen. Ich sah auf die Decke, anschließend nach links, wo ein großes Fenster mit weißen, welligen Vorhängen angebracht waren, die sich leicht hin und her bewegten vom sanften Wind. Auf der Fensterbank waren viele Töpfe mit Pflanze, ich konnte sie aber nicht identifizieren. Meine Ohren nahmen viele verschiedene Stimmen wahr, die von außen ins Zimmer drangen. Auch Akio saß an meiner Linken und unterhielt sich aufgebraucht und angeregt mit dem großen Mann, der neben ihm stand. Ich nahm nur einzelne Bruchteile des Gesprächs wahr aber wusste, es ging um etwas Wichtiges, sonst würde Akio nicht voller Sorge und Bangigkeit auf mich herunter blicken.

Der Raum war auffällig pompös: ein Privatzimmer? Vor mir hing ein großer Fernseher, der ausgeschaltet war, sowie eine Sitzgruppe mit einem Glastisch und zwei cremefarbene Sessel. Meine Aufmerksamkeit galt wieder dem Mann, der sich zu mir beugte:„Ruhen Sie sich sachte aus, Frau Sakuragi, wir sprechen uns später, in Ordnung?" Der Fremde, wahrscheinlich der Oberarzt, legte seine starke Hand auf meine warme Schulter und schenkte mir ein liebevolles Lächeln, eher er mit der braunhaarigen Krankenschwester aus der Tür verschwand.

Mein Kopf war wie ausgeschaltet, nichts machte Sinn. Ich war in einem Krankenhaus. Wieso? Was ist passiert? Wieso will mein Gehirn nicht arbeiten? Dieser pocht nur unbarmherzig wie eine Bombe gegen meinen Schädel. Mein Kopf tat weh, alles pulsierte und vibrierte.

Akio merkte schnell, dass mein Hals nach Flüssigkeit verlangte und schenkte mir ein volles Glas Wasser ein, welches auf dem rollenden Tablet lag.
„Immer mit der Ruhe, ganz langsam...", sagte mein Coach fürsorglich und stützte mich vorsichtig aufrecht, sodass mein Rücken an das weiche Kissen angelehnt war. Ich seufzte auf und versuchte meine Konzentration auf meine Finger zu legen aber meine Kräfte wollten nicht zurück kommen. Meine Muskeln waren schlaff und übermüdet, meine Glieder erschöpft. Akio legte seine warme Hand an meinen Hinterkopf und ich trank das volle Glas Wasser, was er an meine Lippen legte in einem Zug herunter. Ich schluckte, hustete und räusperte mich und merkte, dass meine Kehle wieder seine altgewohnte Energie erlangte. Ich rieb mir die Augen und versuchte mich geballt daran zu erinnern, wie ich hier her kam. Was ist passiert? Umso mehr mein Gehirn sich erinnern wollte, umso stärker knallten die Schmerzen gegen meinen Kopf. Ich zog die Augenbrauen zusammen, legte mein Gesicht in die Hände und massierte mir dabei die Schläfe. Ich kann nicht. Ich kann mich nicht erinnern.

„Nana...", sagte Akio beklommen und streichelte meinen verbrennenden Rücken behutsam rauf und runter. Ich wischte mir die lästigen Schweißperlen von der Stirn und strich mir die langen Haare zurück, die mir unangenehm an meinen Nacken klebten, als ich mich wieder zurück lehnte. Meine schmalen Finger strichen durch die einzelnen Strähnen und für einen Augenblick überkam mich Panik. Ich observierte die honigblonde Farbe zwischen meinen Fingern und richtete meinen Körper wieder kerzengerade hin. Einen Moment. Wo war meine Haarschleife? Meine rote Haarschleife. Ich darf sie nicht verlieren! Ich darf sie auf keinen Fall verlieren! Ich schreckte auf und suchte mit meinen müden Augen das verschluckte Stoffteil. Akio bemerkte meine Entgeisterung und stand kurzerhand stürmisch von seinem Drehstuhl auf. Dieser krachte hinter ihm gegen das Tablet mit der leeren Wasserflasche, die mit einem leisen Ploppen zu Boden fiel und seinen Weg unter das Sofa rollte.

„Ruhig, Nana, ganz ruhig...!", wisperte er und versuchte mich wieder in mein Kissen zu drücken aber ich schüttelte nur fieberhaft den Kopf, worauf mir kurzerhand schwindelig und flau wurde. Ich öffnete meinen Mund aber meine Stimme wurde von einem fetten Kloß blockiert und verhindert. Akio reagierte perplex und legte seine starken Hände auf meine zierlichen Schultern. Diese Hände, die mir die letzten Jahre das schnelle Passen lehrten, die Hände, die mir Verständnis für Ball-Handling beibrachten, die Hände, die mir das richtige Werfen unterrichteten.

Ich schmiss die dicke Decke zur Seite und wollte meine Beine bewegen, meine Füße in Gang setzen und aufstehen aber etwas hinderte mich daran. ...und es war nicht mein Trainer, der sein Griff um mein Fleisch verstärkte. Etwas? ...nur was? Etwas sehr Wichtiges. Ich schweifte meinen Blick irritiert zu meinen Armen, zu meinen Händen und ballte die einzelnen Finger in eine Faust und öffnete sie wieder um in meine Handfläche zu gucken. Meine grünen Augen führten ihren Weg zu meinen Beinen. Ich legte den Kopf schief und versuchte mich auf meine Körperteile zu konzentrieren. Es klappte nicht. Es funktionierte nicht! Das Etwas zog mich hastig zurück. Warum? Was ist dieses Etwas? Was ist los, was ist passiert und was geschieht in diesem Augenblick mit mir? Moment. Einen Moment.

Ich erhob federleicht meine rechte Hand und strich mir von meinen Oberschenkel über zum Knie, weiter zu meinen Waden, Beinen, bis zu meinen Füßen und Zehen.
„Akio...", flüsterte ich gebrochen und wandte meinen Blick nicht von meinem Unterkörper ab. Ich starrte auf meine weiß-hellblaue gestreifte Pyjama-Hose und legte meine verbrennende Hand auf meine Wade. Nichts. Nichts! Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Das Wort wiederholte sich in meinem Gehirn wie ein endloser Abspann und nahm mir die Luft zum Atmen. Das Etwas war das Gefühl in meinen Beinen. Das nichtexistierende Gefühl in meinem Beinen war das Etwas, was mich wie ein Dämon in die Hölle zieht. Ich sah in Akio's graue Augen und erkannte die tiefen Augenringe, als wäre mein Coach tagelang wach gewesen. Er antwortete mir nicht, lockerte seinen Handgriff und blieb weiterhin stumm. Er ging meinem Blick aus dem Weg, senkte den Kopf und biss sich ratlos auf die Unterlippe. Er war müde, energielos aber strahlte dennoch eine Besorgnis aus, die mich schwach werden ließ.
„Wieso...", flüsterte ich „...ich spüre meine Beine nicht?"
„Wieso spüre ich meine Beine nicht!" Ich schlug mir mit meiner rechten Faust auf den Oberschenkel und wartete. Ich wartete auf eine Antwort, auf ein Vibrieren, auf ein Pochen, Pulsieren, Kribbeln, auf ein winziges Fünkchen Gefühl aber es passierte rein gar nichts. Ich schlug weiter, weiter, weiter und weiter, weiter, weiter bis Akio's Hand mein schmächtiges Handgelenk ergriff und mich in meinem Tun stoppte. Mein Atem wurde schwerer, mir wurde warm, meine Wagen glühten vor Aufregung und mein Kopf explodierte im Inneren. Ein ohrenbetäubendes Piepen erreichte meine Sinne und mein Herz rutschte mir in die Hose. Bitte. Bitte. Bitte. Bitte Akio, sag was, sag etwas! Bitte muntere mich auf, sag, dass alles in Ordnung ist, sag, dass alles wieder gut wird. Ich flehe dich an. Sag, dass wir morgen wieder wie gewohnt zusammen auf dem Feld stehen und Basketball spielen werden. Sag, dass wir bis spät in die Nacht trainieren und Körbe werfen werden. Sag, dass es nicht das Ende ist.

Tomorrow Is Another DayWhere stories live. Discover now