verloreneBuchstaben

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Eines Tages saß sie einfach hinten bei uns in der Klasse.
Keiner bat sie darum, sich vorzustellen.
Sie hatte wohl irgendwie etwas auf den ersten Blick Abweisendes an sich.
Auf den zweiten Blick faszinierte sie.

Sie sprach so gut wie nie. Ich weiß nicht, ob ich sie je habe sprechen hören.

Trotzdem faszinierte sie mich.
Es wunderte mich schon , wie sehr sie mich faszinierte.
Es wunderte mich so sehr, dass ich mich mehr über sie nachdachte als ich es ohnehin schon tat.
Ich glaube nicht, dass es an ihrem Aussehen lag, eher an sowas wie ihrer Art.

Und irgendwann fing sie an, mir zuzulächeln.
Ich war erst schockiert, dann lächelte ich zurück, zu dem Mädchen dort hinten in der Ecke, ein paar Meter nur von meinem Platz und doch war sie Welten entfernt.

Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber immer wenn sie mich ansah, und ich sie ansah, malte sie mit ihrem Finger unsichtbare Kreise auf den Tisch.

Doch dann war sie plötzlich weg.
Von einen Tag auf den anderen.
Mir einzureden, dass sie nur krank war und bald wieder unscheinbar ihren Platz in der Ecke verteidigen würde, half nach und nach weniger, mein Bauchgefühl und die Zeit überzeugten mich schließlich, dass sie weg war. Und nie mehr wieder kommen würde.

Und erst Monate, vielleicht Jahre später fiel mir auf, dass es keine Kreise gewesen waren.
Sondern Buchstaben.
Fünf verlorene Buchstaben.
H.
I.
L.
F.
E.
Immer und immer wieder.

von Schall und RauchDonde viven las historias. Descúbrelo ahora