19 - Mitternachtsgefühle

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Ich weigere mich, auch nur für eine einzige Sekunde von Riders Seite zu weichen.

Zwar könnte ich vor lauter Erschöpfung jeden Moment einschlafen, doch ich kämpfe gegen den Drang der Müdigkeit an.

Falls sich Rider plötzlich bewegen oder anders auf sich aufmerksam machen sollte, möchte ich wach und für ihn da sein. Dann braucht er mich nämlich dringender denn je.

„Sie sollten wirklich schlafen, Miss Wright", sagt Mister Thompson um drei Uhr nachts besorgt zu mir. Wie auch schon die vier Male zuvor, als er mir zum Schlafen geraten hat, schüttele ich vehement mit dem Kopf.

Schlafen kann ich erst dann, wenn ich mir sicher bin, dass es Rider gutgeht.

Er darf nicht allein sein, wenn er aufwacht, denn sonst gewinnt die Einsamkeit in seinem zertrümmerten Herzen endgültig die Oberhand.

„Ich weiß, dass sie das nicht hören möchten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Bruder in den nächsten Stunden aufwachen wird, liegt quasi bei null. Es wird ein paar Tage dauern, bis wir die Medikamente absetzen und ihn zurück ins Leben holen können. Legen sie sich also bitte für ein paar Stunden hin, Miss Wright", versucht es Mister Thompson erneut.

Dass seine Worte in mein rechtes Ohr hineinwandern und links direkt wieder hinauswandern, scheint ihm nicht bewusst zu sein.

Es ist mir egal, dass Rider im künstlichen Koma liegt und die Chancen, dass er von selbst aufwacht, fast bei null Prozent sind. Wunder sind immer möglich und genau deshalb werde ich warten.

„Danke, aber ich bleibe wach", mache ich meinen Standpunkt deutlich.

Ich glaube daran, dass Rider stark genug ist, um von selbst wieder aufzuwachen. Er kann zu einem Wunder werden!

Für Granny und mich!

Als könnte Mister Thompson meine Gedanken lesen, erklärt er mir: „Sie verstehen mich nicht richtig, Miss Wright. Ihr Bruder befindet sich in einem künstlichen Koma. Das bedeutet, dass wir Ärzte entscheiden müssen, wann er wieder aufwacht. Er selbst hat keinen Einfluss darauf."

Ich schlucke schwer. Die Fakten noch einmal laut gegen den Kopf geworfen zu bekommen, tut weh.

Kann mir Mister Thompson nicht wenigstens meine Hoffnung lassen, dass Rider in den nächsten Stunden aufwacht? Selbst, wenn das unmöglich ist?

Ich brauche etwas, woran ich mich festklammern kann, ansonsten verliere ich den Verstand.

„Wenn alles gut läuft, können wir die Medikamente schon in ein paar Tagen reduzieren. Ihr Bruder wird dann am Ende der Woche aufwachen. Er-"

„Halten sie den Mund!", fauche ich Mister Thompson wütend an. „Gehen sie bitte einfach. Ich möchte das alles nicht hören! Ich brauche Hoffnung, aber sie nehmen mir diese Hoffnung weg! Das ist verdammt nochmal nicht fair!"

Ich versuche stark zu bleiben, doch die Tränen bahnen sich verräterisch einen Weg an die Freiheit. Wie geplatzte Träume kullern sie über meine Wangen.

Natürlich ist mir bewusst, dass mir Mister Thompson bloß helfen möchte, aber auf seine Hilfe kann ich gerade gut verzichten. Lieber klammere ich mich an meinen eigenen, vielleicht sogar unrealistischen Wunschvorstellungen fest, statt meinen Bruder aufzugeben.

Ich muss jetzt für ihn da sein.

Für ihn beten.

An ihn denken.

Ihm zeigen, dass jemand auf ihn wartet, wenn er zurück ins Leben kommt.

Ich kann sehen, dass Mister Thompson noch etwas sagen möchte, aber glücklicherweise schließt er seinen Mund wieder und verlässt dann den Raum.

Don't mess with a copWhere stories live. Discover now