Schuld

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Kapitel 28

Violet

Das Geräusch des Motors heulte auf, als sie erwachte und den Kopf von dem Mantel nahm, das ihr während ihres unerholsamen Schlafes als Kissen gedient hatte. Im Innenraum des Fahrzeuges, das sich gerade über Feldwege zwischen den alten, aber kleinen englischen Wäldern quälte und ab und an auch bereits die ersten Hügel der schottischen Highlands absorbierte, war es ruhig.

Zu ruhig.

Violet erinnerte sich noch gut an die letzte Autofahrt ins Ungewisse, dass sie zusammen mit Nicolas und seiner Schwester gemacht hatte. Damals waren sich von Magaretas Territorium zu einem alten Hotel geflohen, in das Re gehaust hatte. Damals war es nicht so still gewesen, auch wenn sie selbst und Nicolas kaum etwas gesagt hatten. Es hatte sich einfach nicht so still angefühlt und trotz der Bedrohung, die damals auch bereits geherrscht hatte auch bei weiten nicht zu bedrückend.

Als sie neben sich blickte, sah sie Sofia in der anderen Ecke des Wagens sitzen. Sie saß ebenfalls auf der Rückbank, ließ den Kopf aber hängen und krallte sich an die Decke fest, in der Violet und Nicolas die Schale eingewickelt hatten, die man lieber nicht mit bloßen Händen berühren sollte.

Am liebsten hätte Violet die Schale einfach in dem nun halb zerstörten Anwesen gelassen, aber Sofia hatte sich geweigert sich von ihrem verschlungenen Gefährten zu entfernen und wer könnte ihr das schon verübeln?

Dennoch war es gefährlich diese Schale mitzunehmen.

Weder Violet noch Nicolas konnten abschätzen, wann sie wieder aktiv werden würde und seine schwarzen Klauen nach einem weiteren Unsterblichen ausstrecken würde. Doch Sofia schien das alles nicht zu beunruhigen, ganz im Gegenteil: Es war nur ein Gefühl, aber Violet war sich sicher, dass die sonst immer so lebensfrohe Sofia kein Problem damit hätte, ebenfalls verschlungen zu werden, um im Tod mit ihren Mann wiedervereint zu werden.

„Wohin fahren wir?", fragte Violet leise, beugte sich nach vorne zum Fahrersitz und sah, wie Nicolas leicht den Kopf in ihre Richtung drehte, ohne die Straße außer Acht zu lassen.

„Ein Gasthof in den schottischen Highlands. Dort sollte immer noch eine Enklave von Geborenen existieren", meinte er nur und nutze die Chance, um sich nach seiner Schwester umzudrehen. Er versuchte es zu verbergen, aber sie sah wie Nicolas sich sorgte und dabei den Kiefer aufeinander presste, als würde dieses Gefühl ihn wütend machen. Vielleicht war er auch einfach wütend auf Re, der diese Schale ja erst in Björn und Sofias Anwesen gebracht hatte und damit auch für den Tod vom Gefährten seiner Schwester verantwortlich war. Oder es zumindest billigend in Kauf genommen hatte.

„Du planst ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, um Re zu verfolgen?", fragte Violet ins Blaue hinein, aber er schwieg kurz. Für Violet war das Antwort genug.

„Denkst du, dass wir das jetzt tun sollten?", fragte sie etwas vorwurfsvoll und deutete mit einer Kopfbewegung zu Sofia. Es wäre schön zu warten, bis seine Schwester zumindest wieder aus diesem unheimlichen Dämmerzustand erwachte, in dem sie gefangen zu sein schien. Sie hatte gerade ihren Gefährten verloren, einen Konflikt konnten sie jetzt nicht gebrauchen.

„Nicolas?",

„Was erwartest du Violet? Dass ich alles stehen und liegen lasse, weil meine Schwester trauert?" fragte er sarkastisch, aber Violet antwortete klar und deutlich:

„Ja!"

Er gab einen spottenden Ton von sich und blickte wieder komplett auf die Straße.

„Ich sorge lieber dafür, dass er nicht umsonst gestorben ist", knurrte er und Violet kam wieder in den Sinn, wie sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte, Re zu vernichten, wenn Nicolas ihr nicht den Mund zugehalten hätte.

Sie hatte keine Ahnung wohin diese Macht jetzt in Moment war, aber wenn sie wiederkommen sollte, würde Violet zu Ende bringen, was sie begonnen hatte und diesen Mistkerl Re einen langsamen und grauenvollen Tod zu wünschen.

„Re hätte tot sein können, wenn du mich nicht aufgehalten hättest. Ein Wort von mir mit dieser aktivierten Macht und ich hätte ihn töten können" brachte sie ihm vorwurfsvoll entgegen.

„Hättest du nicht", wandte er ein und Violet öffnete den Mund, um ihm abermals zu widersprechen, doch Nicolas war mit seiner Erklärung schneller

„Du bist nicht die einzige, die Macht erhalten hat und damit auch Wissen", sagte er und Violet schwieg. Nicht die Einzige? Sollte das heißen, er hatte auch dieses Wissens-Flash-back gehabt? Woher? Wieso? Und vor allem: was wusste er, was sie nicht wusste?

„Alles, was du auf diese Weise befiehlst, hat Konsequenzen. Es ist ein Eingriff in den natürlichen Ablauf und das Universum verlangt nach Gleichgewicht. Wenn du jemanden befiehlst zu verschwinden ohne Ziel wohin, werden andere auftauchen. Wenn du jemanden sagst, er soll sterben, dann wird ein anderer leben. Diese Kraft ist unkontrollierbar und du tust gut daran, sie nie wieder zu benutzen."sagte er schnell und Violett spürte, wie ihr auf einen Schlag eiskalt wurde. Sie hatte diesen Anhängern von er befohlen zu verschwinden und dann hatte sie diesen einen Vampir befohlen zu sterben....konnte es sein... Nein! Nein, das konnte nicht sein! Das ergab kein Sinn. Das wäre kein Gleichgewicht.

„Ich sehe keine Konsequenzen", meinte sie und Nicolas Gesichtsausdruck blieb hart.

„Noch nicht. Warte es ab. Wer weiß, was du mit dem Verschwinden all dieser Vampire bewirkt hast, was du an ihrer Stelle, in unsere Welt gebracht hast. Wäre nicht das erste Mal, dass eine Königin, damit fast die Welt zerstört" Das brachte sie eine Weile zum schwiegen. Vor allem das, was er weggelassen hatte: Sie hatte nicht nur ein paar weggeschickt, sondern einen anderen Vampir befohlen zu leiden bis er starb. Aber eigentlich hatte sie Letzteres ja nicht beabsichtigt. Die logische Konsequenz daraus wäre, dass jemand anderen leid genommen worden war und derjenige nicht starb. Oder? Konnte es dennoch sein, dass es ihre Schuld war, was Björn passiert war? Der Gedanke lähmte sie kurz, aber sie schluckte das Gefühl der Schuld nach hinten. Sie konnte es sich nicht erlauben, sich davon handlungsunfähig zu machen. Stadtessen fragte sie weiter.

„Was meinst du damit, dass es nicht das erste Mal wäre? Was hat dir die Macht offenbart?"

„Nicht die Macht. Der Tod. Ich war tot, Violet und kam auf deinen Befehl zurück, bleibe auf deinen Befehl hin am Leben. Und ich habe gesehen, was es gekostet hat."

„Was?", fragte sie so leise, dass er es kaum hätte hören sollen.

„WAS HAT ES GEKOSTET?", und noch während sie das fragte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte Nicolas von den Toten zurückgeholt, was bedeutete, ein anderer musste für ihn sterben, wenn das Universum Gleichgewicht wollte. Björn. Es war doch ihre Schuld und das bedeutete, wenn sie versuchte Björn mithilfe dieser Macht zurückzuholen, wie es ihr kurz in den Sinn gekommen war, dann könnte sie Nicolas wieder verlieren. Gefährte gegen Gefährte, unsterblicher gegen Unsterblicher. Ein Zittern durchfuhr sie und sie blickte wieder zu Sofie, die weiter nur vor sich hinstarrte, als würde sie der Welt langsam entrinnen. Stück für Stück, weil es nicht nötig war von der Schale verschlungen zu werden, um sich selbst zu verlieren. Nicht für sie, nicht wenn man die Liebe verloren hatte, mit der man die Ewigkeit hatte verbringen wollen.

 Nicht für sie, nicht wenn man die Liebe verloren hatte, mit der man die Ewigkeit hatte verbringen wollen

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Nicolas (Bd.2)Where stories live. Discover now