4. Kapitel

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Sturmpfote beobachtete seinen Bruder beim Schlafen. Er war kurz vor ihm aufgewacht und hatte mitbekommen, wie dieser die Augen aufmachte und unruhig um sich schaute, aber dann den Kopf wieder sinken ließ und einschlief. Währenddessen hatte sich Sturmpfote schlafend gestellt und ihn aus seinen Augenschlitzen beobachtet.

Nun hatte er sich aufgesetzt und ließ seinen wachsamen Blick über die anderen Schüler schweifen. Als er sicher sein konnte, dass niemand aufgewacht war, schlüpfte er leise aus dem Bau und lief am Rande des Dornentunnels entlang. Er brauchte jetzt einen Ort, wo er allein sein und in Ruhe nachdenken konnte.

Er hielt sich in den Schatten und eilte auf den Ältestenbau zu. Dort, an der Stelle, wo der alte Stamm und die Dornenhecke sich berührten, gab es eine Lücke. Er hatte sie vor ein paar Tagen entdeckt, als ihm langweilig gewesen war und er das Lager abgesucht hatte. Hinter der Hecke ging es zwar immer noch steil bergauf, doch kleine Vorsprünge und Büsche erleichterten das Vorankommen. Leise stahl er sich aus dem Lager und kletterte die Felswand hinauf. Es war der beste Weg, wenn man nicht entdeckt werden wollte.

Oben angekommen, schaute er hinunter auf das Lager, das mucksmäuschenstill vor ihm lag. Nichts bewegte sich, nur einmal raschelte es am Lagereingang. Wahrscheinlich hält Maulwurfkralle Wache, dachte er und wendete seinen Blick nach oben. Die Sterne funkelten in dieser Nacht besonders hell und bildeten einen leuchteten Kranz um den fast vollen Mond. Morgen ist ja schon Vollmond!

Langsam kam Sturmpfote wieder zur Ruhe und seine aufgewirbelten Gedanken beruhigten sich.

Er hatte von Diamantenrose geträumt, das wusste er ganz genau. Sie waren über die Lichtung gelaufen und danach auf den großen Ahornbaum geklettert, der ziemlich genau in der Mitte der Wiese stand.

Das war ja noch nichts Besonderes oder Verwunderliches. Die SternenClan-Kätzin hatte ihn schon zweimal in seinen Träumen besucht und er hatte sich schon an ihre verschiedenfarbigen Augen und ihren funkelnden Sternenpelz gewöhnt. Doch diesmal war es anders gewesen, als bei ihren letzten Besuchen. Diesmal hatte er geglaubt seinen Bruder gerochen zu haben. Er wusste nicht genau warum, aber ihn beunruhigte diese Tatsache.

Kurz bevor er aufgewacht war, glaubte er noch, Regenpfotes hellgestreiften Schwanz zu erkennen, der hinter einem Baum verschwand. Er hatte das merkwürdige Gefühl von seinem Bruder ausspioniert worden zu sein. Er wusste, dass Regenpfote, wenn er es wirklich gewesen war, nichts hatte hören können, weil Diamantenrose und er zu hoch gewesen waren. Vielleicht hat Diamantenrose mich deswegen auf den Baum geführt! , kam ihm schlagartig der Gedanke. Bei ihren ersten Besuchen waren sie nämlich am Boden geblieben und hatten sich ins hohe Gras gesetzt.

Regenpfote weiß nichts über Diamantenrose, erinnerte er sich mit Schuldgefühlen. Am Anfang wollte er seinem Bruder über seine Träume erzählen, doch dann hatte er sich dafür entschieden, sie doch geheim zu halten. Wenn er mich darauf anspricht, muss ich ihm die Wahrheit sagen!

Sturmpfote schaute gedankenverloren in den Himmel und bemerkte erschrocken, dass der Mond schon die Baumkronen berührte und die Sterne verblassten. Wie lange sitze ich schon hier? Ich muss schnell zurück ins Lager, damit ich vor der Morgenpatrouille noch ein wenig schlafen kann!

Kurz darauf schlüpfte er auch schon in den Schülerbau. Mit einem schnellen Blick auf Regenpfote vergewisserte er sich, dass sein Bruder noch tief und fest schlief. Leise drehte er sich im Kreis und legte sich mit dem Rücken zu Regenpfote in sein Nest.

Ich werde dir alles erklären, Regenpfote! Und dann werden wir keine Geheimnisse mehr voreinander haben! Versprochen!

Das schwor sich Sturmpfote, bevor er seine Augen schloss.

Eine Pfote stieß ihn in die Seite. Geh weg! , dachte er verschlafen. Wieder stieß ihn eine Pfote in die Seite, diesmal ein wenig fester und bestimmter. „Geh weg!", murmelte er nun leise. Lass mich schlafen! , wollte er rufen, doch er war noch zu müde.

Noch einmal stieß ihn die Pfote an, aber diesmal drehte sie ihn fast auf die Seite. „Hau endlich ab und lass mich schlafen!" fauchte er, während er schläfrig die Augen öffnete.

Er erblickte nur graues Fell und dachte zuerst, es wäre sein Bruder Regenpfote, der ihn aufwecken wollte. Doch dieses Fell war heller als das seines Bruders und viel länger.

Da traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Schnell setzte er sich auf und schaute seiner Mentorin direkt in die blaugrünen Augen. Sofort musste er den Blick abwenden. „Sturmpfote! Was ist nur los mit dir?", fragte sie ihn ärgerlich mit einer Spur Sorge darin. „Ich musste dich dreimal mit der Pfote anstoßen, bevor du überhaupt die Augen aufgemacht hast! Hast du heute Nacht nicht geschlafen?" Nun klang sie doch mehr besorgt.

Jetzt musste er sich irgendeine Ausrede einfallen lassen, denn er konnte seiner Mentorin ja schlecht erzählen, dass er außerhalb des Lagers den Mond betrachtet hatte. Noch weniger konnte er sagen warum.

„Morgen Nacht ist doch Vollmond und ich habe mir darüber Gedanken gemacht, ob ich mit darf. Und wenn ja, wer alles dort sein wird!", schwindelte er ein bisschen, denn an die Versammlung zu Vollmond hatte er wirklich kurz gedacht. Er hatte zwar genug andere Gedanken im Kopf gehabt, doch es war nicht ganz gelogen.

„Du brauchst dir doch nicht deswegen die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen! Der Clan braucht dich fit und munter!", ermahnte ihn Mondstrahl.

„Komm jetzt! Die anderen warten schon!", fügte sie noch hinzu, bevor sie sich umdrehte. „Welche anderen denn?", wollte Sturmpfote wissen, der seiner Mentorin aus dem Bau folgte. „Wir sind heute für die Jagdpatrouille eingeteilt. Entenfeder und Samtflügel warten schon auf uns vor dem Dornentunnel. Und jetzt beeil dich, sonst gehen sie ohne uns los!"

Entenfeder trat ungeduldig von einem Bein auf das andere und verschwand ohne ein Begrüßungswort im Dornentunnel, sobald er Mondstrahl und Sturmpfote entdeckte. Samtflügel winkte den beiden mit ihrem buschigen Schweif zu und wartete auf sie.

„Was hat denn Entenfeder? Er ist doch nicht böse auf mich, weil ich verschlafen habe?", fragte Sturmpfote besorgt.

„Nein! Das ist er nicht! Er hätte selbst noch gerne geschlafen und wenn er aufgeweckt wird, ist er immer ein bisschen mürrisch!", versicherte ihm Samtflügel mit einem Schnurren. „Aber wir sollten uns trotzdem beeilen, um ihn einzuholen!"

Die drei Katzen holten ihren Clan-Gefährten noch vor dem Waldrand ein und gemeinsam rannten sie durch den Wald Richtung Felsenhügel.

Warrior Cats - Düstere SchattenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora