4. Kapitel

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Wenn das mal nicht der arrogante Arsch ist.
Unter zusammengezogenen Augenbrauen starrt er mich an, wenn er auch kurz über mein Erscheinen geschockt war, hatte er sich in Millisekunden mit einem aufgesetzten Pokerface unter Kontrolle.
Aus dem Augenwinkel sehe ich das Mädchen auf mich zukommen. Als sie mir die Hand gibt, löst sich mein Blick und richtet sich auf ein in schwarz gekleidetes Mädchen in meinem Alter.
„Hey, ich bin Sally", sagt sie, während sich unsere Hände schütteln. Sie hat definitiv das warme Lächeln ihrer Mutter abbekommen. Dem farbenfrohen Styl dafür nicht. An ihr ist alles schwarz, von den Fingernägel, über die Kleidung, zu den Haaren und Ohrringen.
„Ich bin Cat", nuschel ich unsicher und versuche meinen Blick nicht wieder auf Nathan zu lenken.
„Gehst du auch auf die Medicin, wie Nathe?", fragt sie interessiert und dreht sich kurz zu ihrem Bruder um, der sich keinen Zentimeter bewegt hat.
„Nun sei doch nicht so unfreundlich zu unserem Gast und stell dich vor.", wirft ihm Ivona streng vor.
Der Dunkelhaarige zieht leicht arrogant eine Augenbraue hoch und lenkt seinen grimmigen Blick auf Ivona „Wann wolltest du mir von dem neuen Auftrag erzählen?"
Würde einer meiner Geschwister mit meiner Mutter in so einem schroffen Ton reden, wäre die Stimmung im Hause gekippt und die Person kann sich auf 1 Woche Abwaschdienst einstellen. Aber die haben hier sicher ihre Angestellten für den Abwasch des Geschirrs.
Ivona bleibt ganz entspannt,völlig unbeeindruckt, wie wenn sie es überhört hätte: „ Er hat mir gestern Abend davon berichtet. Ich hätte jemand anderen engagiert, aber so passend lässt sich sonst keiner auf die Schnelle finden."
„Du meinst niemand ist für dich so leicht auszunutzen wie ich."
Eine kühle Hand greift nach meiner. Sally lächelt mich entschuldigend an: „ Das langweiliges Geschwafel musst du dir nicht anhören. Komm, ich zeig dir mal das Haus."

Haus ist untertrieben...Von einer riesigen Küche, zum eigenen Trainingsraum und Schwimmbad mit Sauna, Kinosaal, bis hin zu Schlafzimmern so majestätisch eingerichtet, wie es selbst Sisi gerne hätte, ist selbst das kleinste Detail im Haus elegant und überlegt platziert.
Geduldig führt mich Sally in jedes dieser Räume ohne dabei anzugeben, ganz sachlich erklärt sie mir alles. Sicher ist es für sie normal das alles zu haben, sodass sie gar nicht daran denkt damit angeben zu können.
Meine Hoffnung auf viel Freizeitaktivität schwindet je mehr Räume wir sehen. Um das Haus sauber zu halten, brauch ich wahrscheinlich den ganzen Tag. Zumindest haben sie ein paar selbstfahrende Staubsauger in jedem Stockwerk. Shawn 1-4 heißen sie, wie Sally mir erklärt. Das Bild mit dem Klecks im Eingangsbereich ist von ihr gemalt und beschreibt das minimalistische Leben oder so. Es war ein Projekt in ihrer Kunstschule. Also doch kein Millionengemälde wie ich anfangs dachte.
„Warum haben Du und Nathe euch eigentlich so angestarrt?", fragt der Emo mich vorsichtig, dennoch überrollt mich die Frage wie eine Dampfwalze.
„Ich war nur überrascht jemanden hier aus der Schule zu treffen."
Verständnisvoll nickt Sally und schaut mich ernst an: „Ich will mir gar nicht vorstellen, wie Nathe sich so in der Schule gibt. Aber er ist kein schlechter Mensch. Vertrau mir, ich wohne mit ihm seit 8 Jahren unter einem Dach."
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, bevor wir dann zurück in den Raum mit den vielen Sofas gehen. Die Stimmung wirkt auf einem Mal angespannt. Ivonas zarte Figur ist nicht mehr zu sehen, dafür ein breiter, großgebauter Mann der auf Nathe einredet. Die angereizten Diskussion mit Nathe erstirbt abrupt, als wir den Raum betreten.
Ich spüre das Unbehagen, dass in der Luft liegt, wie wenn man in einen Familienstreit hinein platzt. Nathes Haare sind verstrubbelt, seine Wangen sind errötet, aber mehr kann ich nicht sehen, denn als wir hereintreten dreht er sich sofort weg. Als wenn wir sie bei etwas erwischt hätten...
Bevor ich zu Ende denken kann, kommt der glatzköpfige Muskelprotz mit ausgestreckter Hand auf mich zu.
„Ich bin Victor, Schön dich hier bei mir begrüßen zu dürfen", seine blauen Augen lächeln mich freundlich an. Nathans Vater streckt mir seine Hand entgegen.
„Danke, dass sie mir diese Chance geben, Sir.", nehme ich dankend seine Pranke an und schüttele sie.
Ich kann verstehen was Ivona an ihm findet. Die Ähnlichkeit zu seinem Sohn ist unbestreitbar: Markantes Gesicht und breite Figur, helle Augen und dort wo eine Glatze ist, müssen früher ebenso dunkle Haare wie bei Nathan gewesen sein. Muskulös, breitschultrig und massiv. Im Dunkeln will man dem nicht begegnen. Und sich mit ihm anlegen erst recht nicht.
„Das Essen ist in ein paar Minuten fertig, begeben wir uns doch zu Tisch.", lächeln mich seine strahlend weißen Zähne an. Die sind zu 100% gebleecht.
Bei der Rundführung durch das Haus, habe ich die Küche mit der Köchin Berta schon kennengelernt. Eine kleine, rundliche, ältere Frau aus Deutschland die mit ihrer Oma– Schürze so gar nicht in das Moderne Haus passt.
Bei meiner Frage, ob ich helfen soll das Essen ins Esszimmer zu tragen, werde ich nur lächelnd abgewiesen, ich solle doch erst mal ankommen und mich wohlfühlen. Neben Ivona und Sally scheint mir Berta die warmherzigste zu sein.
Auf einem Servicewagen wird das kochende Essen in das Speisezimmer gefahren. Der Buttler steht schon bereit, allen die vorbereiteten Teller auf den Platz zu stellen.
Sally deutet mir an neben ihr Platz zu nehmen. Was heißt neben ihr, da die Tafel so lang ist sind mindestens zwei Meter Abstand zur nächsten Person. Mr. Silver sitzt bei der Fensterfront an der Spitze des Tisches, Mrs. Borrow ihm genau gegenüber. Mir gegenüber sitzt ein schlecht gelaunter Nathe, rechts und links von ihm sind leere Stühle. Wahrscheinlich für Ivonas und Victors Sohn, erschließ ich mir.
Sobald alle Teller verteilt worden sind, beginnt der Herr des Hauses mit einem „Guten Appetit" zu essen, erst dann greift der Rest zum Löffel.
Unauffällig falte ich die Hände und bete in Gedanken für mich, da ich das bei uns zuhause so gewohnt bin. Aus dem Augenwinkel kann ich das spöttische Gesicht aus der Musikstunde wiedererkennen.
Die Ruhe am Tisch  macht mich etwas nervös. Bei uns zuhause reden alle Kinder immer wie wild durcheinander und erzählen von der Schule. Das Einzige was man hier hört, ist das klappernde Geschirr.
„Ich möchte heute Abend mit euch allen Essen gehen.", unterbricht Ivona die ungewohnte Stille. Bei den Kindern hält sich die Begeisterung in Grenzen, dafür erstrahlt das Gesicht ihres Mannes umso mehr. „Du hast es nicht vergessen?"
Ivona lacht auf: „Ach mein Lieber, wie könnte ich den Tag vergessen, an dem ich dich kennengelernt habe?"
Förmlich tupft Victor seinen Mund mit der Serviette ab, erhebt sein Weinglas und strahlt seine Frau an. „Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich liebe! Der bedeutungsvollste Mensch in meinem Leben."
Ein erstickendes Husten durchbricht das beinahe Filmreife Liebesgeständnis. Nathe hat bis jetzt nur in seinem Essen herumgepickt,  aber jetzt muss er sich an dem Wasser verschluckt haben, als sein Vater die letzten drei Worte ausgesprochen hat.
„Möchtest du etwas sagen Nathan?" Die Stimme von Mr. Silver ändert sich schlagartig von weich zu laut und hart und er stellt das erhobene Glas wieder ab. Der dunkelhaarige Lockenkopf schüttelt belustigt den Kopf und räuspert sich: „Ist nur interessant zu hören, wie schnell du Menschen vergisst."
Die Faust des Vaters knallt mit Wucht auf die Tafel, sodass ich erschrocken zusammenzucke. Die unbehagliche Stimmung aus dem Wohnzimmer kehrt zurück. Wenn Blicke töten könnten, wäre Nathe jetzt mindestens 3 mal gestorben. Die blauen Augen die mich vorhin so freundlich begrüßt haben sind nun eiskalt und erbarmungslos auf ihn gerichtet. Aber Nathe macht das anscheinend überhaupt nichts aus.
Mindestens 5 Sekunden hallt der Knall der Faust in dem Raum nach. Keiner traut sich zu rühren.
Die Hand auf dem Tisch verkrampft sich so stark, dass sich Angst in mir breit macht.
Wo bin ich hier gelandet?

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