Kapitel 27 ⚠️Gewalt

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„Caitlin, ich weiß, dass du da drin bist."
Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich komme mir vor, wie in einem schlechten Horrorfilm, indem sich das Opfer vor dem Ungeheuer versteckt, aber eigentlich jeder weiß, dass es keine Chance hat.
„Hatten wir nicht einen Deal?", fährt Victor fort und lässt abrupt Nathes Kopf los, der das letzte Mal auf den Boden donnert. „Hatten wir nicht gesagt, dass ich euch zwei nie wieder zusammen sehen möchte? Das eure kleine Affäre für IMMER ein Ende hat?"
Wenn du wüsstet, dass die Beziehung zu deinem Sohn mir so viel mehr bedeutet... mir alles bedeutet.
Tränen lassen den Lichteinfall im dunklen Schrank unscharf werden. Es hat keinen Sinn. Unsere Beziehung wird so niemals eine Chance haben. Nathe wird gezwungener Maßen mit Sophie zusammen kommen und ich werde studieren und hoffentlich das alles hier tief in meinem Langzeitgedächtnis vergraben.
Als Mr. Silver keine Antwort auf seine rhetorische Fragen bekommt, nimmt er seine freie Hand und legt diese um Nathes Finger.
„Ich hoffe, euch beiden Medizinern ist klar, dass wenn ich weiter Druck ausübe, seine Fingerknochen brechen könnten..."
Der Trotz aus den smaragdgrünen Augen verschwindet für einen Moment auf Nathes Gesicht. Mit gebrochenen Fingern kann er weder Klavier spielen, noch sein Footballteam zu den Meisterschaften führen. Und das weiß sein Vater auch.
Aber wenn ich jetzt raus komme, dann werde ich aus dem Haus geschmissen, kann meinen Abschluss nicht machen, Mr. Silver bedroht meine Familie und das Schlimmste ist, ich werde Nathe für immer verlieren.
„Vic, ich schwör dir, wenn du auch nur dran denkst..." Schon wird Nathe von einem leisen Knacksen unterbrochen und zieht scharf die Luft ein. Seine Finger sind noch von Vics Faust umschlossen, weswegen ich annehme, dass sie noch nicht gebrochen sind.
„Du solltest lieber zwei Mal überlegen, wer hier das Sagen hat, mein Sohn!"
Aus Mr. Silvers Mund diese zwei letzten Worte zu hören, klingt ironisch und falsch. Da letzte das Nathe für seinen Vater ist, ist ein Sohn, wohl eher eine Bürde, eine Last die er aus Gewissensgründen nicht loslassen kann.
„Verdammt Vic, Cat ist nicht mal in dem Schrank. Ich hatte zwei Gläser in der Hand, weil ich morgen Medizin schreibe und nicht alle zwei Minuten aufstehen wollte, um was zu trinken."
Ich kann Victor ansehen, dass er am überlegen ist, ob Nathes Aussage wahr sein kann. An sich ist das keine schlechte Ausrede, nur ob der Muskelmann das auch so denkt, ist fraglich.
„Ich werde jetzt zu diesem Kleiderschrank gehen, und wenn da eine Caitlin Swan ist, dann sind die angeknacksten Finger  erst der Anfang."

Okay Cat. Nicht in Panik verfallen. Als Arzt muss man in Notsituationen die Ruhe bewahren. Einen kühlen Kopf um gut nachdenken zu können.
So schnell ich kann, quetsche ich mich in die Kleidertonne, in denen Nathe seine schmutzige Wäsche schmeißt. Was man nicht alles fürs Unentdeckt bleiben tut. Kaum hab ich mich reingezwängt, höre ich, wie die Türe des begehbaren Kleiderschrankes aufgeht und Licht in den schwarz ausgestatteten Raum fällt.
Unterbewusst halte ich meine Luft an und bete so viel und so schnell ich kann.
„Ich hab dir doch gesagt, hier ist niemand,", höre ich Nathe sagen.
Schritte nähern sich über den Teppichboden und öffnen links neben mir eine kleine Kommode.
Pech, Mr. Silver! Da sind nur Schuhe! Und davon viele!  Nathe hat mindestens genauso viele wie seine Mutter. Außerdem, denkt er wirklich ich bin so klein und drücke mich in eine Schuhkommode rein? Sicher nicht! Dafür in seine dreckige Wäsche...
Ich würde nur zu gerne Victors Gesicht sehen, jetzt, wo er sich scheinbar in alledem so getäuscht hat.
„Da hast du ja noch mal Glück gehabt!"
„Caitlin war ein Ausrutscher. Wir haben keinen Kontakt mehr."
„Das habe ich mir gedacht. Du bist doch nicht so anders wie dein Vater. Die Frauen stehen einfach immer Schlange. Aber glaube mir, dass die Beziehung zu Sophie das Beste für dich ist."
Immer diese Sophie! Er kann es einfach nicht lassen und akzeptieren, dass man in diesem Jahrhundert seinen Partner selbst aussuchen darf.
Ich werde mit Sophie genauso wenig zu tun haben wie mit Caitlin." Nathes Stimme klingt selbstbewusst und überzeugt, obwohl ich mir vorstellen kann, dass er sich innerlich nicht so fühlt. Wenn der breite Mr. Silver vor einem steht und dich mit eiskalten blauen Augen mustert und am liebsten damit außer Gefecht setzen möchte, kann man eigentlich nichts anderes machen, als davor wegrennen oder kleinbei zu geben. Ich bewundere immer wieder aufs Neue Nathes Begabung, seine Angstgefühle mit Überzeugung zu unterdrücken.
„Deine Mutter wäre so enttäuscht von dir, Nathan"
„Nein Victor, sie wäre von dir enttäuscht. Du hast deinen Gefühlen nachgegeben und sie geliebt, obwohl sie nicht aus der >>richtigen << Blutlinie gestammt hat. Und jetzt verurteilst du mich für die selbe Aktion."
„Deine Mutter war etwas ganz besonderes. Nur ein Idiot hätte sie einfach gehen lassen."
Das war der erste süße Satz, den ich vom Herrn des Hauses gehört habe. Er muss sie wirklich geliebt haben.
„Aber dann kamst du und hast alles zerstört."
Und so schnell kann alles freundliche zunichte gemacht werden. Der hat krassere Stimmungsschwankungen als ich, wenn ich meine Periode habe.
„Ich habe euch zwei erst richtig vereint."
Echt so! Gib's ihm, Nathe!
„Nein...Du hast alles kaputt gemacht..." Mr. Silvers Stimme wird leise und traurig. Es bricht mir das Herz, dass Nathe diesen Satz hören muss. Das sollte kein Kind jemals von seinen Eltern hören. Niemals. „Du hast mein Ansehen in der Familie bis auf den Boden gesenkt."
„Dann kannst du ja froh sein, dass Mum gestorben ist und du mit Ivona und Maxi deinen Ruf wieder aufstellen ka..."
Eine schallende Ohrfeige unterbricht ihn.
„Rede nicht so ein Unsinn daher!" Mr. Silvers traurige Stimme verwandelt sich wortwörtlich mit einem Schlag in seine gewohnte, wütende und laute Stimme zurück. „Es wird so Zeit, dass du Gut machst, was du mir schuldest. Du wirst Sophie heiraten!"
Nathes Stimme beginnt genauso wütend zu werden. „Du kannst dich auch nicht anders verteidigen als mit Schlägen, oder Victor? Ich bin nicht deine Größte Schwäche, das bist du selbst!"

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