Kapitel 26

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Mit schnellen Schritten lief Natsu am Gehsteig neben der Straße, hatte die Kapuze über dem Kopf, da es etwas zu regnen begonnen hatte. Ihre Gedanken wanderten immer von einem Thema zum anderen, bis sie schließlich wieder bei Akio und seinem tollen Plan landeten.
Eigentlich hatte sie bloß vorgehabt, ihre Mittagspause mit einem ruhigen Spaziergang zu verbringen, aber der Junge, den sie noch nicht einmal richtig kannte, hatte sie am Vortag dezent aus der Bahn gerissen.
 
Immer wieder fragte sie sich, wie Akio es eigentlich geschafft hatte, sie tatsächlich davon zu überzeugen, da mitzumachen.
Das Ganze war nicht gerade legal, aber schlimmer als die Sache mit den Autos und die Sache im Gefängnis konnte es theoretisch nicht mehr werden, weshalb sie sich des Öfteren mit diesem Gedanken beruhigte.
 
Sie rieb ihre Hände fest aneinander, als sie bemerkte, dass sie ihre Handschuhe im Zimmer vergessen hatte und es gefühlt von Minute zu Minute immer kälter wurde. Mithilfe ihres Atems versuchte sie, sie aufzuwärmen, aber es half nicht wirklich etwas, weshalb sie es mit ihren Taschen in der Jacke probierte.
 
Ihr Blick schweifte durch die Gegend, sie wusste selbst nicht wieso, aber sie wollte sich einfach umsehen – auch wenn Natsu nicht so ein Fan von einer Großstadt wie Tokio war, faszinierte die Hauptstadt Japans sie jedes Mal aufs Neue, obwohl sie sich hier immer so klein fühlte.
Außerdem würde sie nicht mehr lange hier sein, denn die Uhr tickte, und mit jeder Minute, die verging, war das Ende des Frühlingsturniers näher, was bedeutete, dass sie bald wieder zurück nach Miyagi musste.
 
Das Mädchen seufzte, schloss dabei für einen Moment die Augen.
Auf keinen Fall würde sie sagen, dass sie Akio vertraute, aber er war ihre einzige Quelle, nachdem Miwa sie ja einfach fallen gelassen hatte.
Was sie wohl gerade tat?
 
Schnell schüttelte sie den Gedanken beiseite – es interessierte sie nicht, sollte die Ältere doch machen, was sie wollte.
Ihr Handy vibrierte in ihrer Jackentasche, weshalb sie es augenrollend hervorholte und sich die Nachricht durchlas, während sie keinen Schritt langsamer wurde.
 
Akio
Nur fürs Protokoll: Was
springt eigentlich für mich
dabei raus, wenn ich dir
helfe?
                          13:34

Natsu
Das fragst du dich jetzt
nach fast 24 Stunden?
13:34

Akio
Jap. Krieg‘ ich ne‘ Antwort?
                          13:34

Natsu
Ich schätze mal, du wärst
besser dran, wenn die Polizei
nicht von deiner Zusammenarbeit
mit Miyu wüsste, oder?
13:35

Akio
Ich verstehe.
             13:35

Akio
In anderen Worten:
Wenn ich dir nicht helfe,
petzt du?
                          13:35

Natsu
Gut erkannt, Holmes.
13:35

Akio
Dankeschön, Watson ;)
             13:35
 
Kopfschüttelnd ließ Natsu das Handy wieder in die Tasche fallen, während sich ein kleines Grinsen auf ihr Gesicht schlich.
Sie wusste selbst nicht, woher es kam, aber es war da.
 
Wenn sie so darüber nachdachte, konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass der Junge mit den blauen, unschuldigen Augen und den immer verwuschelten schwarzen Haaren gar nicht so unschuldig war, wie er auf dem Spielfeld stets wirkte.
Erneut schüttelte sie den Kopf – sie führte sich vor Augen, dass dies sowieso das erste und letzte Mal war, dass sie etwas mit ihm zutun hatte, denn schließlich war das ihr letztes Turnier in der Oberschule.
Und sie würde bestimmt nicht zum Studieren nach Tokio ziehen, da war sie sich absolut sicher.
 
Während sie so in ihren Gedanken versunken war, bemerkte sie nicht, dass ihr jemand entgegen kam.
Dafür erschrak sie umso mehr, als sie mit diesem Jemand zusammenstieß und der fremden Frau ein paar Hefte hinunterfielen.
 
„S-Sorry!“, entschuldigte sie sich sofort.
Die Frau bückte sich zuerst wortlos, um ihre Sachen aufzuheben, bevor sie ein leises „Schon gut“ murmelte.
 
Natsu bückte sich ebenfalls um ihr zu helfen, doch als sie ihr eines der Hefte geben wollte, griff die Fremde nach ihrer Hand und hielt sie fest.
Sie blickte ihr tief in die Augen – ihre eigenen strahlten grün, um ihre Nase herum befanden sich so einige Sommersprossen und ihre Haare glänzten in einem dunklen Braun.
 
„Du mischst dich hier in etwas ein, dass dich nichts angeht“, sagte sie leise.“
Natsu schluckte. „Was-“
„Und du vertraust den falschen Leuten. Wenn ich du wäre, dann würde ich aufpassen, was ich tue.“
 
Das Mädchen starrte sie nervös an. „I-Ich weiß nicht, von was Sie sprechen.“
Im Ausdruck der Fremden lag Sorge, aber auch etwas Nervosität und Angst. Als sie ihr so ins Gesicht blickte, stellte sie fest, dass sie nicht älter als Fünfundzwanzig sein konnte.
 
„Was… von was sprechen Sie?“ Sie ahnte es bereits, doch sie wollte sich dennoch versichern.
 
Die Fremde schloss für einen Moment die Augen, dann sah sie sich um. „Du weißt genau, von was ich spreche.“
 
Für einen Moment herrschte Stille, in denen ihr Blick Bände sprach – aber dennoch war da plötzlich etwas in Natsus Innerem, das ihr sagte, dass die Fremde hier die Person war, der sie nicht trauen sollte.
 
„Wer sind Sie?“, fragte sie skeptisch.
Die junge Frau zögerte. „Wieso?“
„Weil ich es wissen will.“
„Du würdest vieles wissen wollen, was ich weiß.“
„Zum Beispiel?“
 
Wieder zögerte ihr Gegenüber. „Du kannst Akio nicht vertrauen.“
„Wem sollte ich dann vertrauen?! Soll ich mich absondern?! Soll ich wieder mit Miwa zusammenarbeiten, oder was?!“
„Vergiss das. Denkst du wirklich, sie wäre einfach so ins Gefängnis reingekommen, ohne Schwierigkeiten zu bekommen, wenn sie nicht mit denen in Verbindung stehen würde?“, zischte sie ihr fast schon flüsternd zu – immer wieder sah sie sich um, als hätte sie Angst, verfolgt zu werden.
 
Natsu zog die Augenbrauen zusammen – Miwa hatte sie also auch belogen, oder was?
 
Leise atmete sie durch, sah dann auf den Boden hinab, während die Ältere sich erhob und besorgt auf sie herabblickte.
„Ich will nur nicht, dass dir das Gleiche wie mir passiert. Du bist gerade mal so alt wie ich damals, als ich da ungewollt hinein gezogen wurde, und ich bereue es bis heute, dass ich nicht auf die richtigen Leute gehört habe.“
 
Unsicher sah die Orangehaarige zu ihr hinauf, bevor sie sich ebenfalls langsam erhob, dabei den Blickkontakt keine Sekunde unterbrach.
 
„In was wurden Sie hinein gezogen?“
„In diese ganze Sache. Mit Miyu, mit ihrer bescheuerten Agentur, mit allem. Mach nicht denselben Fehler und vergiss das alles einfach wieder, okay?!“
 
Natsu schluckte nervös. „Wieso sollte ich dann Ihnen vertrauen? Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind.“
Die Fremde sah zur Seite, schien dabei zu überlegen, während sie die Hände in die Jackentaschen steckte und die Lippen nachdenklich zusammenpresste.
„Hören Sie… ich weiß nicht woher Sie so viel über mein Leben wissen, aber-“
„Mein Name ist Lexie“, antwortete sie, dabei trafen ihre grünen Augen wieder auf sie. „Es ist egal, woher ich das weiß. Wichtig ist, dass ich weiß, dass du dich da in etwas hineinstürzt, bei dem du in ein paar Jahren furchtbar bereuen wirst, überhaupt damit angefangen zu haben – oder dich von jemanden reinziehen gelassen zu lassen.“
Ohne ein weiteres Wort setzte sie sich die Kapuze ihrer Jacke auf, versteckte die Hände wieder in den Taschen, bevor sie sich auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung machte.
 
Eine Weile verharrte Natsu in der Bewegung – der Name klang nicht wirklich Japanisch, aber sie hatte irgendwie das Gefühl, dass sie ihn schon einmal in naher Vergangenheit gehört hatte, auch wenn die Fremde ihr keinen Nachnamen genannt hatte.
 
Eine Weile blieb sie so stehen, merkte dabei nicht, wie planlos sie eigentlich durch die Gegend starrte.
 
 
 
 
Die lauten Gespräche um ihn herum weckten Hinata.
 
Verschlafen blinzelte er ein paar Male, als er die Augen öffnete und die Sonne ihm direkt ins Gesicht schien.
 
Er sah sich um, streckte sich dabei etwas – etwas weiter entfernt sprachen seine Teamkollegen miteinander, während sie sich fertig machten.
Er hatte keine Ahnung, von was sie sprachen, aber er wusste, dass es ihn nicht interessierte.
 
Müde drehte er sich auf die Seite und griff nach seinem Handy, das er gestern Abend noch achtlos neben sein Kopfkissen geworfen hatte – am Sperrbildschirm zeigte ihm seine Uhr kurz nach Neun, das Lächeln von seiner Schwester und ihm auf dem Hintergrundbild lächelte auch ihn an. Einige Sekunden betrachtete er es, bevor er wirklich etwas lächeln musste.
Es dauerte, bis er die erhaltenen Nachrichten registrierte – was aber nicht bedeutete, dass er darauf klicken oder sie offiziell lesen wollte.
Stattdessen las er sie sich nur in der Vorschau durch.
 
Kageyama
Hey, sorry, dass ich erst jetzt
antworte, ich hatte etwas Stress..
Über was wolltest du denn reden?
                                       22:59
 
Kageyama
Schläfst du schon?
                          23:00
 
Kageyama
Oder bist du noch wach?
                          23:00
 
Obwohl er sich das Lachen zu unterdrücken versuchte, schaffte es dennoch ein kleines Schmunzeln auf seine Lippen – Kageyama hatte sich echt nicht verändert, denn schon vor Jahren hatte er ihm spätabends geschrieben und ihn gefragt, ob er denn schon schliefe.
Als ob er darauf antworten könnte, wenn er tatsächlich schlief.
 
Kopfschüttelnd legte er das Handy weg und setzte sich auf, drehte dabei den Kopf etwas herum, um sich ein wenig zu dehnen.
 
„Ouu, wer ist denn da endlich wach?“, fragte Atsumu, der ebenfalls noch in der Decke eingewickelt auf seinem Futon saß.
„Red nicht, du bist selber erst vor fünf Minuten aufgestanden“, meinte Sakusa, während er seinem Verlobten ein T-Shirt ins Gesicht warf.
„HEY!“
„Mach dich endlich fertig.“
 
Hinata strich sich durch die Haare, seufzte dabei leise – es war das erste Mal seit Langem, dass er am liebsten im Bett bleiben und schlafen würde.
Aber es half nichts dagegen, dass er nun aufstehen und nach dem Essen trainieren musste.
 
 
Wobei essen relativ war – das Müsli in seiner Schüssel aß er nur mit den Gedanken abwesend, weshalb er auch nicht viel runterbrachte.
Immer noch still schob er die leere Schüssel von sich weg, stützte gähnend den Kopf mit der Hand am Tisch ab.
Die letzte Nacht hatte er kaum geschlafen, immer wieder war er aufgewacht und hatte an das mitgehörte Gespräch denken müssen, immer wieder hatte er sich herumgedreht und nie war er zufrieden mit seiner Position gewesen.
 
„Müde?“, hörte er jemanden fragen.
 
Verschlafen sah er in das Gesicht seines Gegenübers, dessen Augen auf irgendeiner Art und Weise prüfend wirkten.
 
Unsicher nickte er, sah dabei wieder auf den Tisch.
 
„Dachte ich mir schon“, meinte Suna, sah zu den anderen, als wolle er prüfen, ob sie noch mit ihren eigenen Gesprächen beschäftigt waren, bevor er sich nach vorne beugte und mit dem Strohhalm in seinem Smoothie herumrührte. „Aber macht nichts, is‘ ja normal, wenn man so spät schlafen geht, nich‘?“
 
Hinata verharrte für einen Moment in der Position, während er langsam aufsah.
Der Mittelblocker sah ebenfalls zu ihm.

„Ich… ich war nur kurz draußen!“, verteidigte er sich.
Suna zog fraglich die Augenbrauen zusammen. „Hey, ich hab bloß ‘ne Feststellung gemacht, ja? Du brauchst nich‘ gleich so nervös werden.“
Hinata schluckte, setzte sich wieder gerade und sah zur Seite.
„…oder hast du etwas zu verbergen?“
Erneut hielt er inne, schüttelte dann den Kopf
„Na dann.“
 
Kopfschüttelnd erhob er sich. „Ich geh schon mal“, sagte er noch, bevor er die Cafeteria verließ und in den Flur nach draußen ging.
 
Sein Blick war dabei nach unten gerichtet, weshalb er nicht sah, dass jemand auf ihn zukam, in den er zugleich hineinlief.  
 
„S-Sorr-“ Er sah auf, blickte Kageyama dabei direkt in die Augen – und für einen Moment verschlug es ihm die Sprache. „Sorry“, sagte er leise.
 
„Kein Problem“, sagte der Setter, sah dabei ein letztes Mal auf sein Handy, bevor er es seufzend einsteckte. „Hey, ähm, ich wollte dich sowieso noch fragen-“
„Es war nichts“, unterbrach Hinata ihn sofort, als er merkte, dass sein Gegenüber über die Nachricht reden wollte. „Es war nichts. Mir war bloß langweilig, und ich…“ Er biss sich auf die Unterlippe, als der Ärger wieder in ihm hochstieg – er war viel zu müde zum Streiten.
„Sicher?“
„Jep. Bloß Langeweile“, meinte er, bevor er ohne eines weiteren Wortes seinen Weg zum Zimmer antrat, um sich seine Trainingssachen zu holen.
 
 
Als Hinata die Halle betrat, lag eine gewisse Aufregung in der Luft. Fragend sah er sich um, bis er ein paar etwas größere Boxen neben dem Eingang stehen sah.
Sofort breitete sich eine Vermutung in ihm aus, weshalb auch auf seinem Gesicht ein Grinsen erschien.
 
„Wir kriegen unsere Trikots!“, rief Atsumu ihm zu, als Hinata zur Gruppe dazu stieß.
Damit war seine Vermutung bestätigt, und das Lächeln wurde breiter.
„Echt jetzt?!“
„Ja!“
 
Ein paar Minuten darauf bat Hibarida um Ruhe.
„Also dann, wie ihr schon mitbekommen habt, sind eure Trikots heute morgen angekommen. Wir werden das Ganze der Reihe nach angehen, also wir sagen die Nummer und euren Namen, dann kommt ihr nach vorne und holt euch eures.“
 
Aufgeregt wippte Hinata mit dem Fuß herum, konnte es beinahe nicht mehr abwarten, endlich dranzukommen.
 
Ushijima war gleich der Erste, kurz darauf waren auch schon Bokuto mit der Nummer Vier und Hoshiumi mit der Nummer Fünf dran, worauf bald Hakuba mit der Nummer Sieben folgte.
 
Jeder Spieler, der sich sein Trikot abholte, ließ Hinatas Aufregung noch weiter steigen.

Die Trainer holten das nächste Shirt hervor, und Iwaizumi las die darauf zu sehenden Daten vor. „Nummer Neun, Kageyama.“
 
Der dunkelhaarige Setter trat nach vorne, holte sich dankend das Trikot ab, bevor er den Rückweg auch schon wieder antrat.
 
Irgendetwas verkrampfte sich plötzlich in Hinata, als er genauer darüber nachdachte, dass Kageyama wieder die Nummer Neun bekommen hatte – die Erinnerungen an früher kamen hoch, was ihn jedoch nicht daran hinderte, weiterhin aufgeregt zu sein.
Er sah es eher als Zufall, schließlich war es bloß eine Zahl, und solange er nicht-
 
„Nummer Zehn, Hinata.“

Let my Heart beat for you - KageHinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt