Kapitel 8- Mr.X lässt nicht locker

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Kapitel 8 – Mister X lässt nicht locker

Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich kein bisschen erholt. Das war vermutlich auch nicht weiter verwunderlich angesichts der letzten Nacht und dennoch hatte sie zumindest auf ein wenig Erholung gehofft.
Wann immer sie die Augen geschlossen hatte, hatte sie das Gefühl überkommen die Blicke unsichtbarer Augen würden auf ihr lasten. Ihre überspannten Nerven hatten ihr das verstohlene Tappen leise aufgesetzter Füße vorgekaukelt, ein Atmen in der Dunkelheit oder das Rascheln von Stoff und war es ihr doch gelungen in einen leichten Dämmerzustand zu gleiten, hatte dort bereits die reglose Gestalt in dem dunklen Hoodie auf sie gewartet und sie aus dem Dunkeln der Kapuze heraus angestarrt.

Und als sie bei Tageslicht wieder aufstand, müde und gerädert, war ihr ein Gedanke gekommen. Energisch zerrte sie den Hoodie aus dem Rucksack und ließ ihn im nächsten Augenblick einfach fallen. DAS war kein Kleidungsstück ihres Bruders. Nun war sie sich ganz sicher und ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Einen kurzen paranoiden Moment lang war sie sich sicher irgendwo in dem dichten Stoff würde sich eine Wanze oder ein kleine Kamera befinden. Vielleicht auch ein Peilsender? Dann aber rief sie sich zur Ordnung und schüttelte den lächerlichen Gedanken ab. Sie benahm sich wie eine Verrückte!

Was aber nun damit anfangen? Dass dieser Pullover sich an dem Ort befunden hatte, an dem auch ihr Bruder sich viel aufgehalten haben musste, konnte nur eines bedeuten. Die beiden Männer hatten sich getroffen. War es vielleicht kein Fremder gewesen, der versucht hatte durch die Luke zu kommen? Zumindest kein Fremder in diesem Haus. Was, wenn er ihr Angst hatte machen wollen? Was, wenn all das nur dazu gedient hatte sie in die Flucht zu schlagen? Nun...das war dann vielleicht etwas nach hinten losgegangen. Immerhin war es sicher nicht seine Absicht gewesen dass sie das Haus in Brand steckte. Oder?
Verwirrt und ohne wirklichen Ansatzpunkt tigerte sie durch den Raum. Der geschlossene Laptop zog ihren Blick immer wieder auf sich. Was, wenn sie ihn fragte? Hatte sie die Chance zu erkennen ob er log? Wohl kaum. Aber sie musste etwas unternehmen. Also atmete sie tief durch und klappte den Laptop auf. Und erlebte eine Überraschung.

Wieder war da das Videofenster. Wieder sah sie den abgedunkelten Raum voller Elektronik, von der sie nicht einmal den Ansatz einer Ahnung hatte wofür er gut sein mochte. Und auch der Unbekannte befand sich noch immer im Bild. Doch saß er dieses Mal nicht da, als hätte er gewusst dass er sie gleich zu sehen bekommen würde. Sein Kopf ruhte auf seinen angewinkelten Armen und ganz offensichtlich schlief er tief und fest.
Verblüfft und ziemlich überfordert hockte sie da und starrte auf den Bildschirm. Was sollte sie jetzt tun? Sollte sie ihn aufwecken?
Sie zögerte. Dann lehnte sie sich zurück und beschloss den unbeobachteten Moment zu nutzen und sich in aller Ruhe die Sachen anzusehen, die ihr Bruder zusammen getragen hatte. Klickte sich durch jede Datei, durchforstete die gespeicherten Chatverläufe, besah sich alle Bilder ganz genau.

„Guten Morgen."
Die elektronisch verzerrte Stimme ließ sie derartig zusammen fahren, dass ihr Knie unsanft gegen die Tischkante stieß.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken."
Irrte sie sich oder schwang da ein Lachen mit? Unsicher klickte sie das Videofenster an und erblickte ihn nun wieder in der gewohnten Pose vor der Kamera.
„Thomas hat dich besucht, wie ich hören konnte."
Allein diese Aussage brachte ihr Blut wieder zum kochen.
„Der Laptop war zu.", platzte es aus ihr heraus.
„Aber nicht ausgeschaltet und ich habe noch andere Mittel um die Informationen zu bekommen, die ich will."
Sie war einen demonstrativen Blick auf die geöffneten Dateien vor sich.
„Offensichtlich."
„Verurteile mich nicht. Das alles dient einem höheren Ziel."
Sevil schnaubte und lehnte sich zurück.
„Wie du meinst. Du hast deinen Pulli im Haus vergessen."
„Unter anderem."
Dass er es so unumwunden zugab, brachte sie aus dem Konzept. Sie hatte sich darauf eingestellt ihn genau im Auge zu behalten damit ihr auch ja nichts entging und wusste nun absolut nicht mehr wie sie es anstellen sollte.

„Du hast erwartet dass ich dich anlügen würde?"
„Warum nicht?"
Er gab keine Antwort und sie war es Leid. Abrupt erhob sie sich und begann damit ein paar Sachen zusammen zu sammeln.
„Wenn außer deinem Pulli etwas dabei war, kann ich dir nicht versprechen dass es unversehrt ist. Ich habe zwar ein paar Dinge mitgenommen aber nur weil ich dachte dass sie meinem Bruder gehörten. Warst du das? In dem Haus?"

Sie hatte gehofft ihn zumindest ein wenig aus dem Konzept zu bringen aber dessen war ganz offensichtlich nicht so. Reglos saß er da und starrte, vermutlich, zu ihr herüber.
„Nein. Auch wenn du mir das vielleicht nicht glaubst. Und die Sachen sind egal. Du bist unversehrt, das ist alles was zählt."
Sevil schwieg.
Dann fasste sie einen Entschluss.
„Ich weiß zwar nicht warum aber ich glaube dir."
„Das ist ein Anfang."
„Und das ist auch schon alles. Weiter geht diese Geschichte hier nicht."
Sie wollte den Laptop wieder schließen, hielt aber inne als die Stimme erneut ertönte.

„Du hast dich durch deinen Aufenthalt in Gefahr gebracht, Sevil. Wenn es Thomas weiß, wissen es alle anderen auch schon und vermutlich bereits die ganze Stadt. Was denkst du, wie der Täter es finden wird, dass nun auch Michaels kleine Schwester hier herum schnüffelt?"
Sie hielt inne. Nun, nachdem sie all die Dinge gelesen hatte, wusste sie wovon er sprach und sank auf dem Stuhl ein wenig in sich zusammen.
„Tja... nun bin ich aber hier. Damit wird er leben müssen."
„Das wird er. Die Frage ist nur ob er dir dasselbe zugesteht."
„Droh mir nicht!"
„Ich drohe dir nicht, ich versuche dir deine Lage vor Augen zu führen."
Sie hob an etwas zu erwidern, schüttelte dann aber nur den Kopf und funkelte ihn wütend an.
„Lass mich dir helfen. Selbst wenn du nur ein paar Nachforschungen anstellst und dann wieder..."
„Das könnte dir so passen!", unterbrach sie ihn, aber er ließ sich überhaupt nicht stören.
„....nach Haus fährst, kann ich dich unterstützen und vor allem ein Auge auf dich haben. Ich kann immer Hilfe schicken, wenn du sie brauchst und das ist es, worauf es mir ankommt."

Seine Worte zermürbten sie. Einen kurzen Augenblick erinnerte er sie an Michael. Sie hatten oft exakt dieselbe Unterhaltung geführt. Wusste er davon? Und wenn ja, verwendete er das nun bewusst gegen sie oder waren er und Michael sich ähnlich? Ach was ging es sie wie WIE dieser unheimliche Kerl war! Sie schüttelte die Gedanken ab und seufzte.

„Von mir aus. Aber keine Spielchen. Deine Gruselnummer kannst du mit anderen spiele, haben wir uns verstanden?"

„Ich tue nur, was nötig ist, das verspreche ich dir. Danke."

Und dann, wie durch Zauberhand, war das Videofenster einfach verschwunden und Sevil saß einfach nur da und starrte perplex auf den nun vollkommen normalen Desktop.

Scambled PapersWhere stories live. Discover now