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3 - Auf falschen Wegen

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"Wähle dir einen Reisebegleiter und dann erst den Weg."

✶✶✶

Am dritten Abend meiner Reise bemerkte ich, dass wir von unserem Kurs abgekommen waren.

Um meine These zu belegen, stellte ich mich bei unserer Ankunft am nächsten Lagerplatz mit dem Rücken zum Norden und starrte ins Himmelsgewölbe. Die Sonne hatte heute besonders stark auf meinen Schädel geschienen und mir wahrscheinlich die letzten Reste meines Verstandes verbraten. Doch eines konnte ich — den Sternenhimmel als das erkennen, was er war: Ein Wegweiser nach Hause.

Ich nutzte die Gunst der Dämmerung, um den Stern meiner Vorfahren zu finden und musste abermals feststellen, dass er nicht direkt vor uns lag, wie er es eigentlich müsste, sondern etwas zu weit rechts. Wir waren in nordöstliche Richtung geraten, anstatt unseren südöstlichen Kurs zu halten. Da hatte ich die Orientierungsfähigkeit des Kamelführers offenbar überschätzt.

Ein tiefer Seufzer entkam meiner Brust. Wenn wir zu stark von unserer Route abwichen, dann würde sich meine Ankunft in Jaradin verzögern.

Die Anweisungen meiner Eltern waren jedoch klar gewesen. Ich solle exakt bei Vollendung meines neunzehnten Sternenzyklus zu ihnen ins nomadische Leben zurückkehren. Dafür würden sie in der Oase auf mich warten.

Das war nicht gerade etwas, was Nomaden gerne taten. Das Warten. Kasbahren waren bekannt für ihre Ungeduld. Rastlose Menschen, die stets das Weite suchten. Mir war schmerzlich bewusst, dass meine Eltern über eine Verspätung alles andere als erfreut sein würden.

Ich biss mir auf die Unterlippe und beschloss, den Kamelführer darauf anzusprechen. Schliesslich war er von Sitty bezahlt worden. Er war verpflichtet, ihrem Auftrag nachzukommen, sonst würde er den zweiten Teil der Bezahlung von meinen Eltern nicht erhalten. Ich wusste, wie knauserig und exakt mein Vater war. Abmachungen waren eine Frage der Ehre und wenn sich eine Partei nicht daran hielt, dann würde er auch nicht zahlen.

Eine hässliche Szene könnte uns auf dem Kamelhof von Jaradin blühen. Ich sah es schon vor mir.

Besser nicht.

Entschlossenen Schrittes ging ich durch unser Zeltlager und hielt Ausschau nach dem Kamelführer. Einmal mehr war mein Zelt fernab aller anderen aufgestellt worden, als sei ich eine Aussätzige, der man am liebsten aus dem Weg ging. Von niemandem in ein Gespräch verwickelt zu werden, hatte auch seine Vorteile. Das gab mir mehr Zeit, mich auf meine Bücher zu konzentrieren, welche ich nur nachts im schwachen Licht einer Öllampe lesen konnte — dann, wenn meine Augen vor Müdigkeit bereits brannten. Ich schaffte immer nur ein paar wenige Seiten.

Ich durchquerte das gesamte Lager, aber fand den Kamelführer nicht. Er musste irgendwo in einem Zelt stecken, dachte ich mir. Dann würde ich bis zum Abendessen warten müssen, um dies zu klären. Ich ging gerade an einer Jurte vorbei, da griff ich ein paar Worte auf, die darin gesprochen wurden.

„Und wo soll diese Höhle sein?", fragte der eine, dessen Stimme ich als jene des weissbärtigen Mannes identifizierte.

Meine Grossmutter hatte mein Gehör gut geschult. Als Windflüsterin lag es ihr besonders am Herzen, dass ich die Klänge der Wüste erkennen und Gefühle aus der Stimmlage von Menschen herausfühlen könne. In dieser Stimme schwang Besorgnis und ein Hauch Misstrauen mit.

„In Qarda."

Ich blieb abrupt stehen. Das war der Kamelführer, der geantwortet hatte. Hier steckte der Kerl also. Ich trat einen Schritt näher an die Zeltplane, um besser lauschen zu können.

„Die Nekropole von Qarda?", hakte der Alte nach. „Bist du dir sicher?"

„Das hatte er mir gesagt. Ich schwöre es beim Namen des letzten Sultans und seinen sieben Söhnen! Wir sind nur noch einen Tagesritt davon entfernt."

Zwischen Sand und SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt