- Kapitel 6 - Bedrohung

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Sie erwachte, aber es war noch nicht Morgen. Die Vögel schliefen noch und hatten noch keinen Gesang angestimmt. Die Luft roch kalt wie der letzte Hauch des Winters. Und Esa fror. Aber nicht nur wegen der generell Kälte der Nacht, ein frischer Windstoß ließ sie die Decke bis zum Kinn ziehen. Wo kam denn bloß der Wind her, fragte sie sich. Hatte Mutter etwa ein Fenster offen gelassen?

Noch einmal die Augen zukneifend, genoss sie die flüchtige Wärme des Bettes, dann stand sie in ihrem knielangen Nachtkleid auf und versuchte die Richtung zu bestimmen, aus der der Luftzug kam. Ihre Zehen krümmten sich vor Kälte, als die Luft kalt und wie ein Nebel um ihre Füße waberte. Sie ging nach rechts, aus ihrem Zimmer heraus in den kleinen Raum zwischen ihrem Zimmer, der Treppe und dem gegenüberliegendem Zimmer ihrer Eltern. Da ihr Vater mit ihrem älteren Bruder seit einigen Wochen weg war, da er einen Schmiedeauftrag in einem anderen Dorf bekommen hatte, schlief ihre Mutter allein in dem kleinen Raum. Aber der kalte Wind kam nicht von hier oben. Er war die Treppe herauf gekrochen, denn als sie nun die ersten Stufen nahm erschrak sie kurz. Die Kälte wanderte durch den Stoff ihres Nachkleides wie durch ein schütteres Blätterdach und legte sie unangenehm auf ihre Haut. Unten angekommen wusste sie sofort woher der nächste Luftzug kam. Und tatsächlich, das Fenster neben der Tür war sperrangelweit offen. Sie musste tatsächlich vergessen haben es zu schließen. Oder... Der Zug stoppte sobald sie das Fenster geschlossen hatte. Tatsächlich, es war das beschädigte Fenster das schon seit Wochen repariert werden musste. Es schloss nicht mehr richtig, deshalb konnte es passieren, dass es sich bei kräftigem Wind von allein öffnete.

Gähnend drehte Esa sich also um und ging in ihr Zimmer zurück, des früher einmal ihrem Bruder gehört hatte. Doch bereits an ihrer Zimmertür merkte sie das etwas anders war. Etwas war seltsam. Sie schluckte und konzentriert all ihre Sinne auf die vor ihr liegende, fensterlose Dunkelheit. Es war sein Geruch, der ihr als erstes auffiel. Er roch dunkel, wie verbrannte Erde, wie Steine und Wald, aber wärmer, menschlicher. Sie konnte sie anders als den Geruch noch einmal einzuatmen, denn es fiel ihr schwer ihn einzuordnen, denn auf seine verstörend ungewöhnliche Art hätte sie den Geruch als angenehm beschrieben. Und sofort wusste sie, zu wem dieser Geruch gehörte.

„Was tut Ihr hier?", fragte sie unbehaglich. Ihr Herz war ihr gefühlt in den Magen gerutscht und sie fand kaum ihre Stimme um zu sprechen. Doch das Bedrohliche sprach nicht, seine Schritte waren kaum zu hören, als er sich bewegte. Sie trat einen halben Schritt zurück.
„W-was willst Ihr?", fragte sie erstickt von dem Kloß der Angst in ihrem Hals. Was wollte der Fremde vom Fluss in Haus ihrer Familie, in ihrem Zimmer?! Er hatte sie gerettet, gut, aber danach in jemandes Haus einzubrechen hob die gute Tat beinahe wieder auf. Wer tat denn sowas, wenn er nicht irgendwas böses im Sinn hatte.
„Verschwindet oder ich schreie, dann ist das ganze Dorf wach. Allen voran meine Mutter und die wird Euch verscheuchen." Drohte Esa mit aschfahlem Gesicht. „Dann werde ich sie töten. Sie und jeden einzelnen Dorfbewohner, der ihr folgt...", erwiderte da endlich die Stimme des Fremden voll bösartiger Ruhe, als hätte er in der Tat nichts zu befürchten. Als würde ihm die ganze Welt gehören. Aber Esa wusste es natürlich besser. Leute blufften um ihre eigene Angst zu verstecken. Bestimmt, machte Esa sich Mut, machte er sich gerade genauso ins Hemd wie sie. „Aber klar doch! Mit deinen eigenen Händen, ohne Waffen?", fragte sie bewusst provokant, obwohl sie sich nichtmal sicher ob er wirklich unbewaffnet war. Ihre Stimme zitterte wild. Bei den Ahnen, vielleicht war er ein Räuber. Aber dann hätte er seine Chance doch schon am Fluss genutzt, oder nicht?

Der Fremde schwieg, was Esa als kleinen Sieg quittierte und verschränkte die Arme, um selbstsicherer zu wirken. Gerade, als sie sich noch weiter vortrauen wollte mit ihren Worten, bekam sie die verspätete Antwort auf ihre Frage. „Mit meinen Händen und Zähnen, mit Blut und Feuer. Menschen zu töten ist nicht schwer, ihre Körper sind verletzlich und schwach." Es hätte lächerlich klingen sollen, aber Esa trieb es einen Schauer über den Rücken. Denn in seinen Worten schwang eine furchteinflößende Ernsthaftigkeit. Sie wollte noch weiter zurückweichen.
„Und jetzt seid Ihr hier, weil Ihr Schmuck und Geld wollt? Einen Lohn für Euren Einsatz am Fluss?", fragte sie, bereit jeden Zeit die Hände in die Hand zu nehmen und die Treppe runterzulaufen. Sein Zischen klang spöttisch. „Nein", knurrte er rau und unmenschlich, als hätte ihr das klar sein müssen. „Nein", wiederholte Esa ohne Stimme. Ein so simples Wort, jagte ihr nun Angst und Schrecken ein.

Das war zu viel, definitiv zu viel. Sie schüttelte wortlos den Kopf, wich zurück bis sie mit dem Rücken an die Tür zum Schlafzimmer ihrer Mutter stieß. „MAM-„, schaffte sie es zu rufen, da presste sich die Hand des Fremden wie aus dem Nichts auf ihren Mund. „Hast du meine Worte nicht verstanden? Wenn deine Mutter aus ihrem Schlaf erwacht, werde ich sie töten. Ich werde ihr die Kehle herausreißen noch bevor sie überhaupt versteht, was vor sich geht. Wag es nicht, das zu provozieren, Menschenmädchen.", knurrte er noch immer ruhig, aber einschüchternder. Noch bevor Esa verarbeiten konnte das er es durchaus ernst meinte legte er den Arm um sie und zog sie zurück in ihr Zimmer. Sie stemmte die Füße in den Boden und hieb mit den Händen auf den Fremden ein, der die Tür hinter ihnen schloss.

Mit schier unglaublicher Kraft stieß er sie für das Bett zurück, wo sie schwer atmend und wie erstarrt liegen blieb. Ihr Herz pochte wie der Flügelschlag eines kleinen Vogels, und alles in ihr war angespannt und in Erwartung des schlimmsten. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und sie an ihre Brust gezogen, während sie abwartete was als nächstes geschah.
Doch es passierte... nichts.

Auch nach einem weiteren Moment, in denen sie Minuten lang nur verängstigt an die Decke starrte blieb das Erwartete aus. Vorsichtig wagte sie, sich aufzurichten.
„Und jetzt?", wagte sie es zwischen zwei tiefen Atemzügen zu fragen. Doch es kam keine Antwort. Ihre Worte verhallten. Und sein Geruch verklang ebenfalls. Erst nachdem sie viel zu lang auf ein Geräusch oder ein Wort mit weit aufgerissenen Augen in ihrem Bett gewartet hatte, wurde ihr klar, das er schon fort war. Der Fremde war nicht länger in ihrem Zimmer. Wie auch immer er von einen auf den anderen Moment verschwinden konnte. Aber die Angst blieb in ihrem Hals. Sie brauchte einen Augenblick bis sie aufstand, ihr Zimmer verließ und sicher ging das die Schlafzimmertür ihrer Mutter auch noch immer geschlossen war. Esa war nun Kalt und Warm gleichzeitig. Ihr Kopf fühlte sie fiebernd an, während alles andere klamm und kalt war.

Da sie nicht wusste was sie jetzt tun sollte und, sobald das Adrenalin in ihrem Körper wieder zur Ruhe kam, totmüde wurde beschloss sie in ihr Bett zurückzugehen. Aber einschlafen konnte sie den Rest der Nacht nicht mehr und lauschte auf jedes kleine Geräusch.

Dynastie der Drachen - Die Augen der BeuteWhere stories live. Discover now