- Kapitel 11 - Hilfeschrei

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Esa hatte sich etwas beruhigt, der Schwindel schwand langsam und ihr Atem wurde weniger hastig. Der Schmerz pochte dumpf in ihrem Fuß und in ihrer Schulter, es strahlte von den beiden Punkten weit aus, sodass sie kaum wagte den Oberkörper oder das Bein zu bewegen. Ob Philos schon bemerkt hatte das sie fort war? Ob er bereits Leute geschickt hatte, um sie zu suchen? Bei den Ahnen... Allein bei der Vorstellung kochte kalte Panik in ihr hoch. Eher würde sie ertrinken, als noch einmal zurückzugehen. Noch einmal in diesem Haus gefangen sein, noch einmal Philos Berührungen auf ihrer Haut fühlen, seine Stimme hören... oder sein Stöhnen. Esa musste sich übergeben.

Mit dem Handrücken den Mund abwischend, kam noch deutlicher das Bedürfnis eines Bades in ihr auf. Matt schleppte sie sich auf das Wasser zu und bemerkte es erst, als sie schon mitten drin saß. Gut, kaltes Wasser. Sie wusch sich das Gesicht, spülte den Mund aus und tat dies immer wieder. Schöpfte immer wieder Wasser mit den Händen und rubbelte ihr Gesicht hab, ließ zu, das Tropfen ihren Hals hinunter liefen. Und sie war froh einfach hier im Wasser zu sitzen. Es war so frisch, abkühlend. Vielleicht... sollte sie noch ein Stück weiter hinein, das die Strömung sie davontragen würde.

Da hörte sie auf einmal Schritte hinter sich. Sie zuckte heftig zusammen und verfiel abermals in blinde Panik. Sie wollte ins tiefere Wasser hechten, doch da legte sich eine Hand auf ihre Schulter und hielt sie scheinbar spielerisch leicht auf.
„Gestern hast du noch vergnügt am Fluss gesessen und ein Lied gesummt und heute hast du mich nichtmal kommen gehört, so sehr bist du in deiner Angst vertieft. Was führte zu diesem Wandel? Hat mein nächtlicher Besuch dich doch mehr geängstigt, als du zugeben wolltest?", fragte eine raue, tiefe, aber gleichsam sanfte Stimme. Sie erkannte ihn wieder noch bevor sie seinen eigenartig anziehenden Geruch vernahm. Der Fremde.

So viele Sachen lagen ihr auf der Zunge, die sie sagen wollte. Sie wollte ihm entgegen schreien, dass er verschwinden sollte, dass er sie natürlich, wie auch nicht geängstigt hatte. Wer drohte denn jemanden an seine Mutter umzubringen und erwartete dann noch das jemand keine Angst hatte? Aber... wenn sie sich zurückerinnerte, der Fremde war sowieso voller Widersprüche. Erst heldenhaft und mutig, sie zu vor Thonas unheilvollen Gedanken zu retten, dann gefährlich und bedrohlich wie er einfach in ihrem Haus aufgetaucht war. Thona...
„Was hast du mit ihm gemacht? Mit dem Mann der gestern bei mir hier am Fluss war? Der mir... weggetan hat.", fragte sie atemlos, nachdem sie vor gemischten Gefühlen einen Moment geschwiegen hatte. Sie versuchte seine Hand derweil von ihrer Schulter zu wischen, aber sein Griff war unnachgiebig. Der Fremde schnaubte nachdenklich oder unterdrückte er damit ein amüsiertes Kichern? Sie verzog den Mund in schlechter Erwartung.
„Der Mann, der deine Abweisung ignoriert hat und der dich beim Versuch dich zu nehmen beinahe ertränkt hat? Spielt es eine Rolle was mit ihm passiert ist? Du bist ihn los, eigentlich solltest du mir danken.", hielt der Fremde dagegen. Sie war ihn also los? Was sollte das bedeuten? „Was hast du mit ihm gemacht?", wiederholte Esa stur ihre Frage und schluckte hart. Die Kälte der Wassers kroch langsam in ihr Bewusstsein und was eben noch angenehm war, wurde nun allmählich zu eisigen Stichen auf ihrer Haut.
„Ich habe ihn getötet.", antwortete der Fremde als wäre es eine normale Sache. Er klang nun jedoch etwas genervter, seine Stimme war tiefer geworden. Esa wich das Blut aus dem Gesicht, auch wenn es das war, was sie befürchtet hatte. Ihr wurde wieder schwindelig. Wieder einmal übernahm dieses watteähnliche Gefühl ihren Kopf. „Du hast... Er... Das war doch...", sie bekam keinen ganzen Satz mehr über die kribbelnden Lippen. Es war alles ein schrecklicher Albtraum. Alles nur ein... Nein. Es war kein Traum.

Doch bevor Esa noch weiter in den Schwindel absinken konnte hörte sie weitere Schritte auf dem kiesigen Boden. Zwei, nein, drei Leute liefen im Eilschritt auf sie zu. „Da ist sie! Geh und sag Philos, dass wir sie gefunden haben, Ben. Es wird sicher erleichtert sein, dass sie nicht weit gekommen ist.", sagte einer der drei, woraufhin einer umkehrte und noch immer im Laufschritt die Treppen wieder hochlief. Esa erstarrte zur Salzsäure. Das Grauen das in ihr aufwallte spiegelte sich in ihrem Gesicht. Nein... Sie konnte nicht wieder zu Philos zurück! Das ging einfach nicht.

In einer Kurzschlussreaktion packte sie den Arm des Fremden, dessen Hand sie bis eben versucht hatte wegzuschieben und klammerte sich im nächsten Moment an ihn. „Bitte, lass das nicht zu! Ich flehe dich an, lass sie mich nicht mitnehmen, Fremder! Sie werden mich zu Philos bringen! Mich einsperren! Mir wehtun! Ich kann das nicht! Bei den Ahnen flehe ich dich an, lass das nicht zu! Hilf mir! BITTE!", schluchzte sie hektisch und beinahe verrückt vor Angst. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre bebende Hand krallte sich in das Fell das er über der Kleidung trug. Die Schritte von Philos Männern kamen näher, gleich würden sie nahe genug sein, um sie zu greifen. Esa konnte kaum atmen, so panisch wurde sie, alles in ihr war zusammengeballt und angespannt. Tränen liefen ihr sogleich über die Wangen. „Bitte, Fremder...", hauchte sie leise mit zitternder Stimme. Und aus seiner Kehle kam ein seltsam tiefer, kehliger Laut, den sie bis in ihre Knochen spürte. Ein Knurren? Nein, sowas hatte sie noch nie gehört, und es hielt auch nur für den Bruchteil einer Sekunde an. Im Nachhinein fragte sie sich, ob sie sich das Knurren nicht nur eingebildet hatte. Im nächsten Moment hatte er Fremde schon ihre Hände von sich gelöst und war aufgestanden. „Nein, lass mich nicht hier! Bitte!", wimmerte sie und duckte sich dann ganz klein, presste die Fäuste auf die Ohren und wippte vor und zurück. Gleich würden Philos Männer sie ergreifen, sie erwartete ihre Hände bereits an ihrer Kleidung reißen. Sie würden sie über die Kies zerren, und sie würde weinen und schreien, treten und schlagen, so sehr sie noch mit ihrem schmerzenden Arm konnte.

Sie war halb wahnsinnig vor Angst, das die Männer sie gleich ergriffen, doch es geschah quälend lange nichts. Wenn sie nicht so von Sinnen gewesen wäre hätte sie das Surren der Luft gehört, als die Flammen um sie herum aufwallten und den Sauerstoff verbrannten. Sie hätte das Draakal gerochen und die Hitze der Flammen gespürt. Doch Esa war wie in Trance. Sie war gefangen in ihrer schrecklichen Erwartung, in ihrer blinden Hysterie. Sie roch nichts, sie hörte auch nichts, sie war wie versteinert. Ein bebendes, zusammengekrümmtes Bündel Mensch in der Erwartung Schmerz zu empfinden.

Dynastie der Drachen - Die Augen der BeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt