∎ 𝐁𝐥𝐮𝐭𝐛𝐚𝐝

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Hatte ich zu Beginn noch darauf gehofft, erneut in einem schlechten Traum gefangen zu sein, stellte sich dann jedoch nach und nach alles als erschreckende Wirklichkeit heraus. Zu lange ging der Alptraum schon, als dass ich auf Rettung zu hoffen wagte. Mein Leben entglitt mir wie ein nasser Ball, den man hätte fangen sollen, doch der viel zu schnell und ungünstig geworfen worden war. Dafür hatte jemand anderes nach dem Ball gegriffen, ihn trocken gerubbelt und ihn somit gefügig und besser greifbar gemacht. Mein Leben lag in fremden Händen.

Nein, das war auch nicht der richtige Ausdruck. Mein Leben lag in anderen Händen, fremd waren sie keineswegs, was ich zeitweise bedauerte. Manchmal wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mein Leben in wirklich fremden Händen zu wissen, als in jenen, die ich zu kennen geglaubt, und die sich nun mehr und mehr von mir entfremdeten. Wie ein Spielball wurde mit meinem Leben umgegangen, als bedeute es nichts. Fiel der Ball hin, bekam er noch mehr Rissen und Macken, an denen er eines Tages zerbrechen sollte. Doch dass es soweit nicht kommen sollte, hatte mir der Spieler zu verstehen gegeben.

Denn ein kaputter Ball eignet sich schließlich nicht mehr zum Spielen.

Dass alles gerade wirklich passierte, bestätigte mir das unmöglich wegdenkbare Blut. Wie ein Strom aus Tränen bahnte es sich seinen Weg über meine Haut, hinterließ seltsame Muster. Meine Hand auf der linken Seite war seltsam schwer zu bewegen. Das Blut verklebte und hielt meine Finger dicht beieinander. Wie Sekundenkleber pappten sie plötzlich zusammen inmitten der rot, braunen Flüssigkeit, die immer zäher zu werden schien.

Mit zittrigen Fingern stellte ich den Wasserhahn an. Eiskaltes Wasser brach über mir zusammen wie eine Welle der Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass Leander verrückt geworden war, die Erkenntnis, dass ich keineswegs träumte, sondern die Wirklichkeit mit meinen eigenen Augen ertragen musste. Ich träumte das Blut-Wasser-Gemisch am Boden der Dusche genauso wenig wie die verdreckte Schramme an meinem Arm.

Er hatte doch sicher ganz genau gesehen, dass ich gerade den Waldweg mit meinem Fahrrad hinab gefahren kam. Er hatte gesehen, dass ein anfliegender Stock, der sich unglücklicher Weise in den Speichen meines Fahrrads verfangen hatte, mich zum Fall bringen würde.

Tränen lösten sich aus meinen müden Augen und gesellten sich zu dem Wasser, liefen zusammen mit dem Blut meinen Körper hinab. Inmitten des vielen Wassers kämpfte ich um Luft, sowie um meine Eigenständigkeit, die wohl irgendwo in dem Meer aus meinen Tränen ertrunken war. Mit geöffnetem Mund, um den modrigen Waldgeschmack aus meinem Mund zu spülen, wand ich mich gen Duschkopf, der mir sofort Wasser in die geöffneten Augen spuckte. Vor Schreck schloss ich sie, doch die ersten Tropfen vermischten sich bereits mit meinen unaufhörlichen Tränen und verursachten ein leichtes Brennen. Während ich mir beide Hände vor die Augen schlagen wollte, begann der Boden unter mir zu schwanken. Ich traf nicht einmal mein Gesicht mit meinen äußerst unpräzisen Griffen. Mit einem weiteren verzweifelten Griff nach der Ablage für Duschgel und Shampoo glitt ich kraftlos zu Boden.

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich gefallen bin. Ich weiß nur noch, dass mein Helm eine ganz schöne Schramme abbekommen hatte. Genauso lang und tief wie die auf meinem Arm. Mein Schädel hatte gebrummt wie eine riesige Hummel, als ich mich in den bunten Laubblättern wiedergefunden hatte.

Nur sehr schleppend fand ich wieder zurück aus der Dunkelheit der Ohnmacht hinein in die grelle Beleuchtung des Badezimmers. Wieder schmerzte mein Kopf. Ich spürte nicht nur das angenehm wärmende Wasser über meinen Körper laufen, sondern auch meine triefenden Haare in meinem Gesicht hängen. Eingeatmetes Wasser kraftlos aushustend versuchte ich das Wasser aus meinen bestimmt geröteten Augen zu blinzeln.

Leander war der erste, der bei mir gewesen war. Er fragte, ob ich irgendwo Schmerzen hätte und beantwortete selbst, dass der kleine Kratzer an meinem Arm nicht schlimm aussah, dabei hatte er bereits durch meinen dicken Pullover begonnen den weißen Stoff rot zu färben. Er nahm mir den Helm ab und versteckte die Schramme daran vor den Blicken der anderen, die nach und nach ebenfalls zu uns kamen. Da, wo ich bereits wieder aufrecht im Laub gesessen hatte, nachdem Leander mich grob hochgezogen hatte.

𝐆𝐞𝐟𝐚𝐧𝐠𝐞𝐧 - in der eigenen FantasieWhere stories live. Discover now