XIX

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Schon eine Woche vor der Klassenfahrt ist der Großteil der Klasse unkonzentriert, sodass wir kaum vernünftigen Unterricht machen können. Auch ich kann mich kaum konzentrieren, was aber eher daran liegt, dass Lana immer noch in der Einrichtung des Jugendamts ist und ich sie täglich nur maximal drei Stunden sehe.

Jedes Mal, wenn wir uns verabschieden müssen, fängt sie an, zu weinen und ich kann ihr nicht einmal versprechen, dass sie bald wieder bei mir ist, weil es bisher nichts Neues gibt.

Frau Müller meint, dass ich mich erstmal auf die Klassenfahrt konzentrieren und mir nicht zu viele Sorgen machen soll, aber sie hat leicht reden. Immerhin ist es nicht ihre Schwester, die so offensichtlich unglücklich ist.

Darüber schaffe ich es wenigstens, die Tatsache auszublenden, dass ich eine Woche lang mit Dominik verbringen werde und es kaum eine Möglichkeit gibt, ihm aus dem Weg zu gehen.

In Ermangelung einer Alternative hat Herr Fischer mich mit Dominik und zwei seiner Freunde in ein Zimmer gesteckt, weil alle anderen Zimmer voll waren. Also werden wir sogar in einem Raum schlafen müssen.

Natürlich denke ich darüber nach, einfach hierzubleiben, aber Frau Müller besteht darauf, mich morgens zur Schule zu fahren, als hätte sie davon gewusst.

Mit einem Ruck wuchte ich die große schwarze Tasche aus dem Kofferraum und werfe mir meinen Rucksack über die Schulter. Frau Müller winkt mir durch das Fenster zu und fährt dann weiter.

Nach unserem letzten Gespräch hat sie versprochen, dass ich Lana während der Fahrt jeden Tag anrufen und mit ihr sprechen darf. Ich hoffe, dass sie mich dann etwas weniger vermisst.

Kurz stehe ich unschlüssig auf dem Parkplatz. Dann entdeckt mich Herr Fischer, der bereits vor einem großen Reisebus steht und auf einer Liste alle Schüler abhakt. Die Chance, zu flüchten ist somit offiziell vertan.

Also Augen zu und durch. Ich laufe auf ihn zu, begrüße ihn leise und werfe dann die Tasche in das Gepäckfach. Dort liegen schon mehrere Koffer und ich erkenne hinter der Scheibe schon einige Leute aus meiner Klasse.

Weil die Lehrer vorne sitzen, gehe ich so weit wie möglich nach hinten und setzte mich in die vorletzte Reihe. Blöderweise vergesse ich dabei, einen Blick in die ganz letzte Reihe zu werfen, denn als ich merke, dass auch Dominik dort sitzt, versteife ich mich.

Noch immer dauert unsere Funkstille an und ich bin mir sicher, dass ich derjenige bin, der sie brechen sollte. Leider schaltet mein Hirn sich größtenteils aus, sobald ich Dominik sehe, sodass ich es nicht schaffe, vernünftig mit ihm zu sprechen.

Noch bevor die Fahrt beginnt, stecke ich meine Kopfhörer in die Ohren und mache Musik an. Vielleicht kann ich auf der Fahrt den Schlaf von letzter Nacht nachholen. Die Anweisungen des Busfahrers ignoriere ich.

Endlich fahren wir los. Boulevard of Broken Dreams in meinen Ohren starre ich aus dem Fenster und versuche einzuschlafen. Leider sind meine Klassenkameraden weniger müde als ich und die Gespräche dringen durch meine Kopfhörer.

Jedes Mal, wenn ich Dominiks Stimme höre, kribbelt es leicht in meiner Brust und ich will, dass es endlich aufhört, weil Dominik mit Sicherheit nicht auf Männer steht.

Spätestens nach letztem Freitag weiß er, dass ich keine Hemmungen habe, mit irgendwelchen wildfremden Männern rumzumachen und bestimmt findet er das alles andere als normal.

Ich habe keine Ahnung, warum er ins Rainbow geht, aber wenn seine Schwester ihn mitgenommen hat, dann liegt es bestimmt nicht daran, dass er selber queer ist.

Irgendwann schlafe ich doch ein.

Mein Traum ist ständig untermalt von Lanas Weinen und ich kann dieses Geräusch nicht mehr hören. Am liebsten würde ich selbst anfangen zu weinen.

Eine Berührung an meiner Schulter lässt mich aufschrecken. Dominik. Langsam hebe ich die Hand und ziehe einen der Kopfhörer aus meinem Ohr.

„Wir machen eine Pause. Dachte du willst vielleicht auch mit raus", murmelt er unsicher, „Sorry, dass ich dich geweckt hab."

„Schon okay", nuschele ich und stehe auf. Dominik springt zuerst aus dem Bus und geht zu seinen Freunden, ich folge ihm langsamer. Die Sonne strahlt am Himmel und passt so gar nicht zu meiner Stimmung.

Nicht NormalWhere stories live. Discover now