Prolog

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Daddy behauptet immer, dass wir in einer Blase der Lüge leben. Dass das, was uns als Wahrheit verkauft wird, Teil von etwas viel Größerem ist und wir sind nur die Spielfiguren. Deshalb hat er mir früh beigebracht, alles zu hinterfragen und stets die Wahrheit zu sagen.

Ich glaube an die Magie. Nicht nur an das, was offensichtlich ist, denn das wäre ja viel zu einfach, schließlich bin ich Schülerin an einer der bekanntesten Zaubererschulen der Welt.

Nein, ich glaube an die Magie hinter der Magie. Denn auch die magischen Menschen sehen einfach nicht genau genug hin.

"Luna!", stöhnte Ginny neben mir. "Kannst du das Ding nicht wenigstens heute mal bei Seite lassen?"

Sie spielte auf meine Gespensterbrille an. Ich weiß auch nicht, was die Leute dagegen haben. Ich habe ihr mehrfach eine angeboten, aber Ginny kann wirklich stur sein.

Wir waren gerade auf dem Weg hinunter in die große Halle zum Weihnachtsball und ich wollte mir nichts entgehen lassen. Ohne Brille konnte ich nicht hinter die Schleier der Wahrheit sehen. Ich verstand einfach nicht, warum sich keiner der anderen dafür interessierte, was sich dahinter befand. Manchmal fühlte ich mich so andersartig, als käme ich von einem völlig anderen Planeten.

"Tu es wenigstens für Neville!", bat Ginny als wir den Eingang zur Großen Halle erreichten.

"Jetzt lass sie doch, Ginny. Mich stört das nicht", sagte meine Begleitung.

Das war einer der Gründe dafür, warum ich Neville so mochte. Er war nicht wie die anderen und besaß eine ganz besondere Form von Mut - den Mut, er selbst zu sein. Vielleicht die seltenste Form des Mutes in dieser Welt.

Ginny ging in Begleitung von Harry, in den sie verliebt war seit ich sie kannte, aber das Schicksal hatte ihr bisher übel mitgespielt, denn Harry hatte immer nur Augen für Ginny Schwester Kimberly gehabt. Obwohl sie sich äußerlich so glichen, waren die beiden Schwestern im Inneren wie Tag und Nacht. Und sie waren beide meine besten Freundinnen. Kim hatte es in letzter Zeit nicht leicht gehabt, weshalb ich sofort besorgt die Halle nach ihr absuchte. "Da hinten ist sie. Neben dem blonden Mann."

"Ist das Finn Scamander?", fragte Harry fassungslos. Ich denke, er war immer noch ein bisschen in sie verliebt.

Durch meine Gespenterbrille konnte ich den Mann nicht gut erkennen, Kim hatte ich nur aufgrund ihrer charakteristischen Haarfarbe entdeckt. Hinter dem Glas meiner besonderen Brille explodierte es vor Impulsen, die die anderen nicht sahen. Neben den goldenen Feen, die um die schwebenden Kerzen tanzten und den Geistern, die meinten, sich vor mir verbergen zu können, sah ich vorallem auch die aufgeladenen Emotionen meiner Mitschüler - die Aura, den Schein - als feurige Glut, weißblaue Aufregung und knallrote Sehnsucht. Es war ein Kaleidoskop an regenbogenfarbenen Gefühlen. Dazu umschwebten alle hunderte von Schlickschlupfen. Kleine Wesen, die sich in unsere Köpfe nisten und für Aufruhr sorgen. Fasziniert wandte ich meinen Kopf in alle Richtungen, während wir durch den Raum gingen, damit mir nichts entging.

Mein Blick richtete sich erst auf Kims Begleiter, als wir am Tisch ankamen und es raubte mir den Atem. Meine Mitschüler bestanden jeweils aus einer Farbe und wurden von einigen Schlickschlupfen umsurrt, doch dieser Mann, nicht viel älter als wir, wurde geradezu von unsichtbaren Geschöpfen und Formen umlagert. Es war wie ein Feuerwerk. Goldene Feen nisteten in seinem Haar, Kringel aus violetten Licht umschwirbten ihn, die ich nicht benennen konnte. Eine Art von silbernen Libellen sauste wie ein Wirbel um ihn herum und seine Aura war heller als die Sonne.

Atemlos nahm ich die Brille ab, weil ich ihn sehen musste. Seine Frisur war schräg. Seine goldenen Locken fielen ihm auf einer Seite seines Kopfes fast über die whiskeyfarbenen Augen. Ich hatte noch nie in meinem ganzen Leben bei einem menschlichen Wesen solche Augen gesehen. Sein Gesicht hatte etwas entrücktes. Er wirkte mehr wie ein Elf, als wie ein Mensch. Ich konnte nicht an mir halten und starrte ihn nur fasziniert an.

"Luna!" Ginnys Ellbogen landete wie so oft in meinen Rippen und ich zuckte schmerzerfüllt zusammen, ehe ich sie fragend ansah. "Sag irgendwas!"

"Oh! Ich bin Luna Lovegood!" Ich streckte dem Fremden meine Hand entgegen, während ich aus den Augenwinkeln sah, wie Kim und Ginny kicherten. Ich war es gewohnt und nahm es ihnen nicht übel. Ich machte mir nichts aus diesen komischen gesellschaftlichen Sitten. Ich hätte ihn gern einfach weiter angesehen und wusste nicht, was falsch daran war.

Er erhob sie und umfasste kurz meine Hand. In mir explodierte etwas und meine Faszination stieg, während ich ihn begeistert anlächelte. "Finn Scamander. Sehr erfreut! Eine tolle Brille hast du da."

"Ich kann dir auch eine geben!", sagte ich glücklich.

Ginny räusperte sich und ich entnahm ihrem warnenden Blick, dass ich wieder etwas falsch gemacht hatte, weshalb ich mich für den Rest des Abends zurückhielt. Doch während Finn und Kim zur Tanzfläche gingen und sich zusammen zur Musik bewegten, konnte mir niemand verbieten, ihn anzusehen. Ich setzte abermals die Gespensterbrille auf und da explodierte um diesen Mann wieder eine Welt hinter der Welt. Ein Land aus Farben, Geschöpfen, ja sogar Geräuschen. In meiner Brust fühlte sich mein Herz ganz seltsam an und ich wusste sofort, dass ich einer Sensation auf der Spur war, der es auf den Grund zu gehen galt.

Field Research - Liebe auf dem PrüfstandWhere stories live. Discover now