20 - Wahrheiten

309 16 7
                                    

Er hatte mich innerhalb mehrerer Stunden ausfindig gemacht, und das einzige, was ich wusste war, dass ich nur noch gezählte Stunden auf dem Konto vom Todesengel Azrael hatte. Ich war so gut wie tot, und das wusste ich, als seine Augen sich mit dem Auto, in dem ich mich befand, bewegten, bis wir außer Sicht waren.

Das Auto verlangsamte sich, während ich immer wieder nach hinten blickte, um sicher zu gehen, dass uns niemand verfolgte. Anders als der Weg zum Block fuhr O.g. woanders hin, ich wusste nicht wohin, aber viel wichtiger war es mir, dass wir endlich von dort weg waren.
Wir befanden uns in der tiefsten Nacht, während wir einen Ausblick auf einen verlassenen See oder Fluss hatten, der das Licht des Mondes widerspiegelte und die Natur mich umso mehr beruhigte, als einfache Stille herrschte, und ein leichter Windzug durch das offene Fenster entstand.
Er schaltete gerade das Auto ab, als ich ihm dabei zusah und er mich undefinierbar ansah.
„Danke", vermied ich den Blick zu ihm, weil ich wusste, er würde nun alles wissen wollen.
„Ein danke reicht nicht aus", machte er mir klar: „Ich glaube, ich halte dich für eine ganz andere Person, als du wirklich bist.". Er hatte recht, keine Frage.
„Du kannst die Realität zwar vor mir verschweigen, aber alleine wird dir das auch nichts nützen.", fuhr er fort. Bot er mir gerade etwa seine Hilfe an?
„Lange Geschichte", brachte ich die Ausrede, als wüsste ich nicht, dass sie nix bringen würde.
„Wie du siehst ist die Nacht noch lang.", lehnte er sich zurück und ein leichtes Schmunzeln bildete sich.
Ich überlegte sekundenlang, ob ich es ihm wirklich erzählen konnte, was Sache war, aber gab es einen Grund, weshalb ich es tun sollte? Was ist, wenn es das Gegenteil bezwecken würde, was ist, wenn?
Was ist, wenn ich ihm doch nicht trauen konnte? Dann wäre ich doch auch nicht hier, oder?

„Kennst du den Remmo Clan?", stellte ich eine dumme Frage, dessen Antwort ich schon kannte. Wer kannte ihn denn schon nicht? Ich pustete laut aus, bis ich weiter erzählte, denn dazu hatte ich mich entschlossen, ich meine was hätte ich denn schon zu verlieren? Ich musste es riskieren, denn Karim hatte mich längst schon gefunden.
„Eine arrangierte Heirat sollte es zwischen mir und Karim Remmo geben.", wartete ich nun auf eine Reaktion seinerseits, während seine Augenbrauen bereits zusammenfanden.
„Ich sag mal, wir waren zu verschieden, und es geschahen nicht gerade Dinge, die sehr schön waren. Meine Eltern waren auch Befürworter dieser Heirat, obwohl sie wussten, was es für Menschen waren. Aber sie haben mich wie eine billige Ware aus der Industrie weiterverkauft.", schmunzelte ich ironisch, als ich an diese Menschen dachte, die ich als Familie betitelte. Die Tatsache an sich war traurig, aber ich war schon lange nicht mehr traurig darüber. Der Kummer gegenüber meinen Eltern, meinen Brüdern hatte sich schon lange in Wut gewandelt.
„Deswegen hast du deinen Namen geändert?", hackte noch O.g. nach.
„Ja, ich dachte, die Entfernung und eine Namensänderung seien genügend, aber ich hätte von Anfang an über die Grenze gehen müssen.", strich ich mir die Haare aus dem Gesicht, als ich mich mit vollem Körper in dem unbequemen Kleid zu ihm drehte.
„Scheisse Duha", sah O.g. sauer zur Seite, während er mich wieder ansah: „Das ist ein Wixxer, ich saß mit dem im Knast."
„Keine Sorge, bevor ihr da verwickelt seid, bin ich schon im Flieger.", sprach ich lässig, anders als ich es vor einer Stunde war.
„Bist du behindert, und wie soll es dann weiter gehen? Willst du dein ganzes Leben abhauen vor der Realität?", machte er mich an, während ich umso wütender wurde.
„Dann sag mir doch, was ich tun soll?! Ich hab niemanden Ouissem niemanden, checkst du? Ich hab keine andere Wahl.", war ich außer mir, bis er mich auf etwas aufmerksam machte: „Denkst du, ich kenne Karim nicht? Denkst du, du bist sicher, wenn du ins Ausland abhaust, und erst recht glücklich? Der Bastard wird uns jagen, aber nicht bevor ich ihm seine Mutter f*cke.".
„Halt dich bitte raus, ich werde heute Nacht noch meine Sachen packen.", schüttelte ich etwas aufgeschmissen den Kopf. Ich hatte andere Vorstellungen und Hoffnungen hier in Stuttgart gehabt, trotz schlechten Startes, aber jetzt schien alles unmöglich.
„Du bleibst, wo du bist, hast du mich verstanden?", schimpfte er mit mir, als wäre ich ein kleines Kind: „Soll er sich nur in unsere Gegend trauen, dann f*cke ich ihn.", schnaufte er auf, bis er sich im Auto eine Kippe anzündete, und durch den Zug meines Beifahrerfensters der Rauch zu mir zog.
„Ich will alles wissen Duha.", forderte er mich fest auf, als er seine Kippe qualmen ließ und den Gang des Flusses beobachtete.
„Wer hat dich in der Nacht hier nach Stuttgart gefahren?", zog er fest an der Zigarette, während sich seine Augen zu Schlitzen formten.
„Freunde", antwortete ich kurz und knapp genervt, ich hasste es, über diese Schattenseiten meines Lebens zu sprechen. Ich würde sie am liebsten ignorieren, so tun als gäbe es sie nicht, aber das wäre dumm, so dumm wie ich es nun mal war. Ich ließ zu sehr auf mir rumtrampeln, und das war die Rechnung dafür.
„Duha wer, antworte richtig in Sätzen. Welche Freunde meine Fresse", regte er sich auf, während meine Gedanken ganz wo anders hinschweiften. Ich war so durcheinander, und überfordert mit allem, und der Kampf dagegen gab mir den ganzen Rest.
Ich wusste, dass ich, sobald wir zurück waren, meine ganzen Sachen packen würde, und die Leine ziehe und ich wusste auch, dass er mich daran hindern würde, warum auch immer.
„Duha?!", packte mich O.g. am Kinn: „Hörst du mir überhaupt zu?", sah er mir in die Augen, während er realisierte, dass ich tatsächlich nichts von dem wahr nahm, was er sprach, weil ich in den Abgrund meiner Gedanken fiel: „Ich hab dich gefragt, was er dir angetan hat, dass du so voller Angst bist. Du musst mir vertrauen, sonst sässen wir jetzt nicht hier zusammen.", fuhr er fort, während seine Stimme bis zum Ende hin weicher klang. So kannte ich ihn überhaupt nicht.
„Ich will nicht-", stritt ich gerade das Thema ab, denn es waren Dinge, die ich nicht mal meinem schlimmsten Feind antun würde. Er unterbrach mich, während meine Augen vor ihm fliehten: „Manchmal ist es besser sich auszukotzen, anstelle dessen das, was dir im Hals hängt, runterzuschlucken.", sprach er wahre Worte. Es stimmte, denn wer fühlte sich nach dem Kotzen nicht besser? Sei es nach dem Suff, nach einer Übelkeit oder des gleichen.
Es war schwierig, mich zu überwinden, doch wollte ich einerseits ihm erzählen, was geschah, wie ich war, und warum ich zu dem wurde, was ich jetzt bin.

„Nach der Verlobung begann der ganze Horror so langsam", pustete ich laut aus: „Das ganze war von Beginn an ein Horrorfilm,  allerdings bekam ich erst nach der Verlobung alles so richtig zu spüren.", begann ich, ohne jegliche Träne zu verlieren. Wegen dem Ganzen konnte ich schon lange nicht mehr weinen, es war bereits ein Teil von mir, den ich mir eingestand und lernte, damit zu leben. Es hatte mich abgehärtet.
„Um ehrlich zu sein gibt es so viel zu erzählen, ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll. Bei dem Drogenhandel und den Drogen, die er mir zudröhnte, als ich mehrere Male schon von ihm vergewaltigt wurde?", musste ich vor Ironie grinsen. Es war nicht gerade zu übersehen, dass ich den Verstand verloren hatte, und dass irgendwas bei mir schief lief: „Es war zwar sehr schwer wieder unabhängig von den Drogen zu werden, aber ja ist nicht so, dass ich mir trotzdem manchmal eine Spritze reinhauen könnte, um einfach abzuschalten, und den Problemen zu entkommen.", zeigte ich ihm meine misshandelten Arme, als ich meine Ärmel hochstülpte.
„Es war nicht Karim, der mir weh tat, es war meine eigene Familie mit den eigenen Händen, die mich eine Klippe runterschubsten, an dessen Abgrund unzählige, spitze Steine auf mich warteten.", schüttelte ich noch immer enttäuscht den Kopf: „Lächerlich oder", schmunzelte ich wieder und blickte zu ihm.
„Wenn's eins gibt, was ich gelernt habe, dann ist es, dass Blut keine Familie macht", sagte er monoton, ohne jegliche Gefühle zu offenbaren, dessen Worten ich sofort an Bedeutung schenkte.
„Kurz und knapp, am Ende der Geschichte verpfiff ich ihn an die Bullen, und nutzte die Gelegenheit, als er im Knast saß.", klatschte ich in die Hände, als würde ich einen schlechten Witz oder eine Geschichte erzählen.
„Ich wusste schon von Anfang an, dass was falsch bei dir ist.", schüttelte er den Kopf: „Sehr ermunternd, danke.", antwortete ich darauf.
„Wer hätte es gedacht, kaum komme ich aus dem Knast raus, und du haust vor dem Pisser Karim ab hier nach Stuttgart.", lachte er stumpf.
„Du hast nicht ansatzweise ne Ahnung, wie er wirklich ist.", verschwand ich wieder in meinen Gedanken, als ich mit leerem Blick aus dem Fenster sah.
„Ich kenn ihn besser, als du denkst.", schaltete er den Wagen an, als er das letzte Stück der Kippe aus meinem Fenster flitschte: „Die Kraft mancher Männer reicht nur gegenüber einer Frau aus, sonst ist da nichts mehr hinter", erläuterte er mir, als er in den Rückgang schaltete und geschickt aus dieser Sackgasse fuhr. Während eine Stille herrschte, malte ich mir die dutzenden Möglichkeiten aus, um von hier zu verschwinden. Es war nun mal so, dass es eine Frage der Zeit war, bis er vor meiner Tür auftauchen würde, und auf diesen Moment werde ich nicht warten. Ich wusste, O.g. meinte es gut, und auf irgendeine Weise vertraute ich ihm und Nima, als würde ich die beiden schon Jahre kennen.
„Wenn du willst, kannst du auch heute bei mir bleiben", hörte ich ihn in einem.. komischen Ton sagen, als fiele es ihm schwer, jedoch nicht im negativem Sinne.
„Du musst dich zu nichts verpflichten Ouissem, ich hab's auch bis hier hin alleine geschafft.", lehnte ich dankend ab, aus dem Grund, niemandem eine Last zu sein. Ich wollte nicht, dass ich ihn mit meinen Problemen zu pumpe, während er bestimmt selber welche hatte.
„Ich fühle mich zu nichts verpflichtet Duha", sprach er kalt aus, während seine Augen auf die Straße starrten: „Manchmal sollte man einfach die Hilfe annehmen, die man angeboten bekommt. Alleine wirst du dir nicht helfen können."

_________________________
Hola ein neues Kapitel🫰🏼
Ich hoffe, es gefällt euch ☺️

O.G. - Aus der ZelleWhere stories live. Discover now