[17] 6|Mittwoch

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Muss sie sich schlecht fühlen, weil sie Alice so abblitzen lassen hat? Eigentlich nicht oder doch? Warum hat sie dann immer noch ein schlechtes Gewissen und liegt schon wieder wach auf dem Sofa herum? Aber Ronja ist verletzt und findet, dass Alice es hätte mitbekommen, begreifen müssen, sollen, warum. Das macht sie traurig, dass es nicht so ist. Oder kann sie es aus irgendwelchen anderen Gründen nicht wahrnehmen? Selbst wenn sie in dem Moment nicht anders handeln konnte, – warum auch immer – kann sie sich dennoch entschuldigen und es auch genauso kommunizieren. Oder nicht? Verlangt sie zu viel? 

Warum hat sie eigentlich nicht erwähnt, dass sie sich für den nächsten Tag krankgemeldet hat? Um nicht noch mehr Schuldgefühle aufzubauen? Rücksichtnahme? Und ist es so, wie es rüberkam? Dass Alice sie wirklich dabei haben möchte, bei dem Treffen mit Tim, diesem komischen homophoben behindertenunfreundlichen Mistkerl?! Na immerhin. Die Krankmeldung war immerhin die richtige Entscheidung. Zwei Nächte kaum geschlafen, dafür um so mehr in Gedanken rumgewälzt. Puh. 

Ein Klopfen an der Wohnzimmertür. Ronja dreht sich um und fragt, was los sei. Die Tür öffnet sich. 

„Darf ich zu dir kommen?" 

„Alice, ist alles okay?" 

„Ich vermisse dich." 

Ronja hebt ihre Decke an und Alice wartet nicht lang, um sich schnell mit drunter zu kuscheln. 
Nach ein paar stillen Sekunden schafft es Alice ihren Mut zusammen zu bringen. „Ich weiß, dass meine Reaktion nicht so gut war." 

„Nicht so gut?" 

„Bitte Ronnie, mir fällt das schwer." 

Ronja geht in sich und möchte ihr diese Chance geben, sich zu erklären, selbstverständlich, sie wünscht sich genauso sehr, dass sie DAS, – was es auch ist, – aus der Welt räumen können. „Okay. Tut mir leid, Al." 

„Also ... weißt du noch, als ich dir erzählte, dass ich bis dahin niemanden erzählen konnte, dass ich auf Frauen stehe?" 

„Ja." 

„Das stimmt nicht so ganz. Ich hab es ein paar Leuten erzählt und die haben so in der Art wie Tim reagiert. Ich weiß, wie sehr es verletzt und das tut mir auch wirklich leid. Es tut mir auch vor allem leid, dass ich nichts dagegen gesagt habe. Meine Erfahrung ist nun mal eine andere. Lieber den Mund halten, sonst wird es schlimmer. Und irgendwie kam das wieder so hoch in mir und dann ... Es tut mir leid, wirklich. Niemals wollte ich dich damit verletzen oder etwas anderes." 

Ronja zieht Alice, die angefangen hat zu weinen, in ihre Arme und hält sie einfach. Ihr selbst kommen auch die Tränen. Was musste Alice nur schon ertragen? 

◦◦◦◦◦◦

Erneutes gerädertes Aufstehen, jedoch um einiges leichter in ihr drinnen. Beim Gedanken an die Erklärung ... wird ihr schlecht. Es zieht sich ihr wieder der Magen zusammen. Das hat, nein, das nimmt sie immer noch sehr mit und lässt sie mit Alice mitfühlen. Solche Erfahrungen sind alles andere als schön. Solche intoleranten Menschen ... Nicht davon die Laune verderben und die eigene Energie flöten gehen lassen!, ruft sie sich selbst innerlich zu. 

Beim Frühstück fällt ihr ein, dass sie Alice noch gar nicht erzählt hatte, dass sie sich für heute krankgemeldet hat, worüber sie selbst doch sehr froh ist. 

„Etwa wegen mir?", fragt Alice direkt im Anschluss. 

„Weil ich kaum geschlafen habe und es mich mitgenommen hat." 

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