Kapitel 39

763 50 1
                                    


C O L I N


Ich hasse Travis. Ich hasse meinen Dad. Ich hasse mich selbst. Für alles, was ich bin, was ich verkörpere, und für das, was ich fühle.

Mein Brustkorb schnürt sich zusammen, wenn ich an den bevorstehenden Prozess denke. Besser, ich gewöhne mich schon mal an den Hall und daran, wie der Boden schwingt, sobald sich einer der Wärter auf den Weg zu meiner Zelle macht.

Ich schließe die Augen und schlucke mühsam die Verzweiflung herunter. Mittlerweile ist sie zu einem geballten Kloß herangewachsen, der mich auseinanderzusprengen droht. Ich habe die ganzen Sorgen zu lange ruhen lassen. Vielleicht ist es jetzt zu spät, um überhaupt noch etwas an mir zu reparieren.

Wenigstens kann ich zu Kyle zurückgehen, wenn er es zulässt. Ich muss ihm ohnehin noch das Auto wiederbringen.

Wer hätte gedacht, dass ich die letzten Monate derart vermissen würde?

Tränen brennen unter meinen Lidern, als ich diese langsam wieder öffne und den Wolkenkratzer der Hamilton Group hinaufschaue. Sonnenstrahlen spiegeln sich in den Glaspaneelen. Ich spiegele mich in ihnen. So wie damals.

Und genau wie damals auch fühle ich mich einsam. Nicht alleine, sondern tatsächlich einsam. Als wäre ich der einzige Mensch auf diesem Planeten. Dabei bin ich dieses Mal keine zwölf Jahre alt. Man sollte meinen, ich wäre stärker geworden und könnte den Emotionen widerstehen, die mich mit all ihrer Macht kleinkriegen wollen.

Doch je länger ich dastehe, desto klarer wird mir, dass sich eigentlich überhaupt nichts verändert hat.

Mein Dad sitzt hinter einer dieser Wände und arbeitet nichtsahnend an einem seiner Projekte. Mom ist weiß Gott wo. Travis steckt in Schwierigkeiten. Ich stehe hier draußen und traue mich nicht, hineinzugehen.

In meinem ganzen Leben bin ich niemandem so hinterhergerannt, wie ich es bei meinem Vater getan habe. Aber ich konnte es nicht sein lassen. Irgendetwas hat mich stets zu ihm zurückgezogen. Es war wie meine persönliche, kleine Folter. Monat für Monat und Jahr für Jahr, um zu sehen, wie zufrieden er mit seiner neuen Familie ist. Um zu sehen, dass es keinen Unterschied macht, ob ich da bin oder nicht, ... bis er irgendwann in diesem Park aufgetaucht ist. Von meinem Bruder geschickt, damit er mir erzählt, dass ich genau wie er sei. Ausgerechnet in dem Moment, als ich angefangen hatte, zu vergessen, was er uns angetan hat.

Eine heiße Wut flutet wellenartig mein Innerstes. Ich möchte irgendwo gegentreten oder auf etwas einschlagen, aber als das Summen der Tür ertönt, wende ich mich bloß ab und warte, bis die zwei Männer in ihren Anzügen vorbeigegangen sind. Sie reden über den Geburtstag eines Mädchens, wahrscheinlich der seiner Tochter.

Ich drehe mich und beobachte ihre Unterhaltung von weitem. Wie automatisch scannt mein Gehirn ihre Silhouetten und gleicht sie mit der meines Vaters ab, wie ich ihn in Erinnerung habe. Keine Treffer. Und doch stelle ich mir vor, er stünde dort vorn, keine zwanzig Schritte von mir entfernt.

Wie hat Travis mir das nur antun können?!

Meine Sicht verschwimmt zu einem undeutlichen Brei. Eine Mischung aus Anzugträgern, meinem Spiegelbild und einer langen Reihe an Klingelschildern. Das Hupen der Autos im Hintergrund ist verzerrt und jagt mir Angst ein, weil ich kaum noch die Distanz zum Fußweg, geschweige denn zur Straße, abschätzen kann.

Ich lehne mich seitlich gegen die gläserne Außenwand. Der Schlafentzug macht mich fertig, aber in meinem Innersten ist zu viel los, als dass ich mich hinlegen und ausruhen könnte. Also kämpfe ich gegen den Schwindel an. Befehle meinen Beinen, mich wieder vernünftig zu tragen, und laufe los.

Wenn die Sterne für uns leuchtenOnde histórias criam vida. Descubra agora