Kapitel 1 - Magie trifft auf Realität

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Als die hübsche Polizistin, die mich eingesperrt hatte, nach einigen wenigen Stunden zurück zur Arrestzelle kam, war mir klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Verstehen Sie mich nicht falsch, normalerweise würde ich mich freuen, ohne triftigen Grund spontan aus der Haft entlassen zu werden, doch Gründe gibt es hierfür immer. Die Polizeibeamtin, die nun den Schlüssel in das Zellenschloss schob, hatte kastanienbraunes, schulterlanges Haar, grüne, mandelförmige Augen und eine sportliche Figur. Sie sah jung aus, doch ihr Blick wirkte kühl und erfahren. Noch bevor ich etwas sagen konnte, setzten sich ihre Lippen in Bewegung. "Mr. Blackwood, würden Sie mich bitte begleiten? Inspector Ainsley möchte sie sprechen." Wie ich schon sagte, zu schön, um wahr zu sein. Ich musste die Decke, die meinen Körper bedeckte, krampfhaft festhalten, da Polizeidecken (Gibt es eigentlich extra Polizeidecken? Sind diese genormt? Bedrucken Polizisten einfach irgendwelche Decken mit Logos?) nicht auf 1,98 m große Exhibitionisten ausgelegt sind. Selbstverständlich habe ich mich nicht freiwillig vollkommen nackt durch den Green Park begeben, doch erklären Sie den hiesigen Polizisten erstmal, dass ein wilder Kaubuk (ein garstiges Geisterwesen in Koboldgestalt) all ihre Kleidungsstücke hat verschwinden lassen, als Sie dabei waren, ihn in die Geisterwelt zurückzuschicken. Diese kleinen Kerle stehen auf öffentliche Demütigungen, sehr zur Freude ihrer Herren. Die Polizistin musterte mich halb abwertend, halb peinlich berührt, als mir die Decke beim Treppensteigen fast entglitt. "Letzter Schrei in Mailand, ich schwöre es." Ich entlockte ihr kurz ein Kichern, dann setzte Sie wieder ihren förmlichen, professionellen Blick auf. Sie sprach während meines Walk-of-Shame durch das Revier kein Wort mit mir. Einige Kollegen blickten lachend hinter ihren Schreibtischen hervor oder tuschelten miteinander. Nachdem wir gefühlt eine Runde durch jeden Quadratzentimeter des Reviers gemacht hatten, öffnete die Polizistin eine Bürotür und kündigte mich einem älteren Herrn an, vermutlich Inspector Ainsley. Dieser nickte ihr kurz zu und rief mich zu sich: "Mr. Blackwood, kommen Sie rein, bevor man im Revier noch einen Kalender von Ihnen anfertigen lässt. Sergeant Paxton wird Ihnen etwas zum Anziehen holen lassen." Paxton verschwand kurz, um diesen Auftrag an einen rothaarigen Constable weiterzugeben und kam dann wieder ins Büro, wobei Sie die Tür hinter sich schloss. Ainsley zog den Rollladen zu, welcher uns von den anderen Beamten im Großraumbüro trennte. Er wies mich durch ein Nicken Richtung Stuhl darauf hin, mich zu setzten. Die Decke schien beim Sitzen noch unberechenbarer als beim Aufstehen zu agieren. Ich schaffte es dennoch, mich auf den KunststoffFreischwinger zu setzen, ohne den Rest meiner Würde zu verlieren (falls davon noch etwas übrig war). Ainsley war durchschnittlich groß, hatte graue Haare und einen perfekt gestutzten Schnauzer. Dieser zuckte nachdenklich nach links, als er scheinbar darüber nachdachte, wie er das Gespräch beginnen sollte. "Blackwood, wir haben Sie splitterfasernackt im Green Park gefunden. Sie sind wie der Teufel gerannt und hatten nichts außer einen Holzstab und eine kleine, silberne Glocke bei sich. Laut der Kollegen aus dem Park haben Sie behauptet, Magier zu sein. Sie gaben an, einen Kautschuk zu jagen." "Kaubuk" korrigierte ich. Ainsley stieß ein leises Knurren aus, bevor er fortfuhr:"Sie haben sogar eine Website, auf der Sie ihre Dienste als Magier, Geistervertreiber und was auch immer anbieten..." Dieses Gespräch lief in keine gute Richtung, an und für sich freute ich mich über jeden Besucher meiner Website, doch im Zusammenhang mit meinem Flitzersprint durch den Green Park hoffte ich, dass mich der Inspector nicht einweisen lassen würde. "Sie haben eine Menge positiver Bewertungen. Meinen Sie das ernst? Kennen Sie sich mit diesen Dingen aus oder sind Sie nur ein geschickter Scharlatan? Welche Beweggründe stecken hinter Ihrem Image?" Ok, entweder Inspector Ainsley macht sich über mich lustig oder er prüft meinen Geisteszustand auf akuten Wahnsinn. "Ich meine es todernst. Ich verfüge über gewisse Talente und ein fundiertes Wissen im Bereich des Paranormalen." Mein Ego antwortete schneller als mein Verstand. Warum muss ich mich in der Gegenwart von hübschen Frauen immer aufspielen? Idiot. Ich schrie förmlich nach einem Platz in der Geschlossenen. "Also gut, wir arbeiten momentan an einem Fall, bei dem wir die Unterstützung eines Beraters mit Ihrem Wissen gut gebrauchen könnten." Ich wollte mich gerade rechtfertigen, als ich realisierte, dass Ainsley mich nicht kritisierte, sondern einen Job anbot. Paxton warf ihrem Boss unterdessen böse Blicke und ein Schulterzucken zu, aber Ansley machte unbeirrt weiter: "Wir könnten Ihre kleine Einmann-Nudistenparty dafür vergessen und würden Sie selbstverständlich auch für Ihre Dienste bezahlen." Paxton mischte sich wütend, aber kleinlaut ein: "Sir, denken Sie wirklich..." "Ja, ich denke wir kommen ohne Hilfe, ohne SEINE Hilfe nicht weiter. Wir stehen vor einer Sackgasse, aus der wir allein nicht herausfinden." Da ich meinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsjobs bestreite (unter anderem durch das Geld, der Klienten, die mich über meine Website anheuern), konnte ich dringend eine Finanzspritze gebrauchen. Noch bevor Sergeant Paxton meine berufliche Umorientierung zu Nichte machen konnte, willigte ich ein, indem ich mich schwungvoll vom Stuhl erhob und Inspector Ainsley meine Hand entgegenstreckte. Ich war so enthusiastisch, dass ich meine fehlende Bekleidung vergaß und meinen Rest Würde mit der fallenden Decke in Sekunden verlor. Sergeant Paxton lief rot an und schlug sich die Hände vor dem Mund. Inspector Ainsley schnaubte nur genervt. Natürlich kam just in diesem Moment der rothaarige Constable mit einer Jogginghose und einem Shirt in der Armbeuge an, die mit dem Logo der Londoner City Police bedruckt waren. Er ließ die Klamotten vor seinen Füßen auf den Boden sinken und verließ genauso ruckartig, wie er gekommen war das kleine Büro. Zum Glück war es Sommer. Auch wenn viele böse Zungen England als dauerberegnetes, graues Fleckchen abtun, gibt es doch zahlreiche sonnige und auch ausgesprochen warme Tage. Ich würde nicht sagen, dass es hier mehr regnet als im Rest Europas. Wie auch immer, ich war über die spätabendliche Hitze froh, denn obwohl die Klamotten der Polizei knapp passten, gab es dort keine Schuhe in der passenden Größe. Ich lief also barfuß über das noch warme Kopfsteinpflaster nach Hause. Ich wohne im Keller eines Second Hand-Buchshops in Finsbury, London. Die Mieten sind hier wahnsinnig teuer. Durch einen Bekannten bin ich an meine jetzige Wohnung gekommen, welche lediglich aus einem Zimmer und dem Bad besteht. Selbst bekannte schwedische Möbelhäuser würden sich an der Einrichtung eines derart kleinen Raumes die Zähne ausbeißen. Neben einer geräumigen Couch aus braunem, vom Liegen weich gewordenem Leder, auf der ich schlief, fand sich eine improvisierte Küche, bestehend aus einer einzelnen Kochplatte, einer kleinen Spüle und einem Minikühlschrank links neben der Badezimmertür. Mein gesamtes Mobiliar hatte schon besser Tage gesehen, doch passte durch den einheitlich schäbigen Look perfekt zusammen. Die restlichen Wände waren mit Regalen zugestellt, in denen sich Kleidung, Bücher und allerlei Dinge fanden, die ein Magier im Alltag benötigte. Ich ließ mich müde vom einstündigen Barfußspaziergang auf meine Couch fallen. Erst jetzt machte ich mir Gedanken über die tieferen Beweggründe des Inspectors. Der Fall musste schon ganz schön bizarr sein, um einen nudistischen Website-Magier hinzuzuziehen, den man erst vor wenigen Minuten kennengelernt hatte. Sergeant Paxton war offenkundig nicht begeistert, ihren Dienst am Mittwochmorgen mit mir anzutreten. Ich musste morgen früh aufstehen, um mir eine neue Fahrkarte zu besorgen (vielen Dank auch an das dämliche Geisterwesen, dass meine Klamotten samt Brieftasche inklusive Fahrkarte entwendet hat) und mit der U-Bahn zur Westminster Station zu kommen, ohne in den Berufsverkehr zu geraten. Von dort aus war es ein kurzer Fußweg zum New Scotland Yard. Liegend angelte ich mir eine kalte Zitronenlimonade aus meinem Kühlschrank und aß dazu die letzten Kekse aus der Packung von vorgestern, welche ich am Ende der Couch fand. Notiz an mich selbst: dringend einkaufen gehen. Der Grund für meine athletisch-schlanke Figur sind nicht die ausgewogene, vitaminreiche Ernährung und der regelmäßige Sport, sondern die durch Geldmangel und Bequemlichkeit entstehende Nahrungsmittelknappheit und regelmäßige Flucht vor paranormalen Gesellen und enttäuschten Arbeitgebern. Dies soll nicht heißen, dass ich meinen Job schlecht mache, sondern eher, dass meine Kunden ziemlich verdrehte Erwartungen haben, was ein Magier so tut und wie er es tut. Vor ein paar Wochen hatte ich zum Beispiel eine Kundin, der ein Baku auflauerte. Bakus sind tigerähnliche Wesen mit einem Touch Horrorelefant. Sie verschlingen Alpträume, welche sie bei den Betroffenen selbst verursachen. Dadurch rauben sie dem Opfer Energie und Lebenszeit. Sterbliche können diese Wesen nicht sehen und glauben oft, dass sie an Schlafstörungen leiden. Sie wachen mitten in der Nacht mit rasendem Herzen auf und haben Schwierigkeiten wieder einzuschlafen, auch wenn sie hundemüde sind. Nachdem meine Kundin wie schon viele andere vor ihr, ein wahres Ärztehopping betrieben hatte, kam sie zu mir. Bereits nach einer zweitägigen Observation ihrer Wohnung konnte ich den Übeltäter ausmachen und habe Recherchen zu dessen Beseitigung anstellen können. Die einzige wirksame Methode, sich eines Bakus auf Dauer zu entledigen, besteht darin, sein Kopfkissen mit dessen Ebenbild zu besticken. Da Menschen Bakus nicht sehen können, versuchte ich ihn zumindest detailgenau zu beschreiben, als ich meine Vermieterin Mrs. Sedgemore darum angebettelt hatte, einen Kissenbezug zu besticken. Ihr gelang es trotz Arthrose und schlechter werdenden Augen das genaue Ebenbild des Baku anzufertigen. Ich musste ihr nicht einmal erklären, warum ich einen derart hässlichen Kissenbezug haben wollte, denn Sie vermutete, dass es eines dieser „Pokémon-Motive" sei, die ihre Enkel vergötterten. Ich entlohnte Mrs. Sedgemore durch meine Gegenwart bei einer Tasse Tee. Diese drollige, alte Lady war vernarrt in mich. Ihre Enkel waren neben mir die einzigen Personen, von denen sie regelmäßig besucht wurde. Diese rotzfrechen Teenies nutzten ihre Großmutter schamlos aus und statteten ihr monatlich kurze Besuche ab, um ihr Taschengeld aufzubessern. Mrs. Sedgemore durchschaute die Masche zwar, sehnte sich jedoch so sehr nach familiärer Zuneigung, dass sie das Spielchen mitmachte. Ich nahm in Mrs. Sedgemores Augen die Rolle des genügsamen Enkels ein und erinnerte sie laut ihrer eigenen Aussage an ihren verstorbenen Ehegatten, welchen sie als großgewachsenen, gutaussehenden, dunkelhaarigen Kavalier beschrieb. Ohne mich selbst zu loben, musste ich zugeben, diese Eigenschaften zu erfüllen, doch wo sind meine Manieren? Ich war an der Stelle abgeschweift, an der ich das scheußliche Stickgut in die Hände meiner Klientin übergeben hatte. Sie hat mir ad hoc zu verstehen gegeben, dass sie einen Exorzismus erwartet hatte, irgendetwas mit einer Opferung über einem Pentagramm, um die Geister loszuwerden oder so ähnlich. Trotz ihrer Unzufriedenheit hatte sie das Kissen dann doch angenommen und siehe da, der Baku blieb fern. Zu mindestens so lange, bis sie es entsorgte, um modischeren Stücken Platz zu machen. Prompt kam der Baku zurück. Die Kundin stellte jedoch keine Verbindung zur Entsorgung ihres Zierpolsters her, sondern gab meinen fehlenden Exorzismus die Schuld. Bis auf meine Anzahlung bin ich leider leer ausgegangen. Neben den „seriösen" Kundenanfragen bekomme ich am laufenden Band Scherzmails und Anfragen nach Seancen. Diese halte ich prinzipiell nicht ab, da ich das Geisterreich respektiere und keine paranormalen Anhaftungen riskieren möchte. Jetzt könnten Sie sich fragen, aus welchen Gründen ich diese Website dennoch betreibe. Die Antwort ist einfach: In den bürgerlichen Jobs, die ich bislang ausübte, wurde ich aufgrund seltsamer Vorkommnisse, die sich in meiner Gegenwart abspielten, früher oder später entlassen. Ich habe wirklich alles versucht. Als ich beispielsweise im Londoner Zoo Gehege reinigen sollte, drehte ein Alpaka durch. Hier ging es nicht um Spuckereien, sondern um ein Alpaka, das anfing, den anderen seine Extremitäten abzubeißen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Kannibalismus unter Alpakas sehr selten ist. In einer Bäckerei in der Nähe des Borough Markets bestand meine Aufgabe lediglich darin, die Maschinen nach Betriebsschluss zu reinigen. Obwohl ich keine der Maschinen je in Betrieb genommen habe gaben sie im Laufe einer Woche den Geist auf. Und dieser Job war einer der gelungeneren. Der heutige Job hatte mich vollständig ausgelaugt. Nach der Verfolgungsjagt mit dem New Scotland Yard und meinem ungewollten Spaziergang durch die ganze Stadt, fiel ich todmüde in mein Bett aka. Sofa. Ich schloss die Augen und kam relativ schnell in einen traumlosen, ruhigen Schlaf.

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