5.Kapitel

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Sobald wir an dem riesigen Hotel ankamen, fühlte ich mich jedoch schuldig.
Theo und May waren sauer auf mich. Mein Sohn wurde entführt. Durfte ich überhaupt Spaß haben? Ich hatte das Gefühl, diesen Luxus garnicht verdient zu haben.

Ich nahm ein energisches Klopfen an der Scheibe neben mir wahr. »Kommst du jetzt endlich?!«, ertönte Mariellas Stimme dumpf.
Sie hatte uns hierher gefahren, da ich immernoch nicht den Führerschein aufgrund meiner panischen Fahrangst aufweisen konnte.
Zögerlich griff ich nach meinem Rucksack und stieg aus. Wir hatten direkt vor dem Hotel geparkt, da dort eine kleine Parkfläche für die Gäste verfügbar war.
Ich drehte mich um meine eigene Achse.
Zuerst sah ich auf das Hotel. Dieses war mit seinen zehn Stockwerken schließlich auch ein ziemlicher Eyecatcher. „HOTEL MARINA" prankte in goldener Schrift über dem Eingang. Warum es so hieß? Keine Ahnung, das war mir aber eigentlich auch egal.

Ich blickte die Straße hinunter. Sie war nur wenig befahren und wies sonst eher kleine Häuser und noch dazu ziemlich viele Shoppingläden auf, weshalb das Hotel in Kontrast ziemlich unpassend an diesem Ort wirkte. Auf der anderen Straßenseite konnte ich jedoch ein mindestens genauso unpassendes Gebäude ausmachen. Es war nämlich komplett schwarz. Über dem Eingang war die silberne Schrift „Black Cat" zu erkennen. Ah, das war wohl der Club, über den Mariella geredet hatte. Gerade als ich das dachte, erklang Mariellas Stimme, »Da wo du gerade hinschaust ist der Club. Dort gehen wir später hin.« Ich konnte die Vorfreude in ihrer Stimme mitschwingen hören und als ich mich schließlich zu ihr umdrehte, sah ich sie auch. Die schwarzhaarige Schönheit strahlte nämlich malwieder über beide Ohren. Unwillkürlich musste ich auch anfangen zu lächeln und nickte ihr zu. »Aber komm, lass uns erstmal einchecken.« Wieder nickte ich, »Los geht's«.

Wir traten in das Gebäude ein und schon wieder musste ich mich staunend um meine eigene Achse drehen. Die Lobby war riesig, die Decke lag in locker sieben Metern Höhe. Der Stil des Hotels war minimalistisch-modern. Mir gefielen die einzelnen Grau-weiß Abstufungen und durch den gläsernen Lift, welcher sich links ein paar Meter von uns befand, wirkte die ganze Atmosphäre ziemlich futuristisch und ich fragte mich augenblicklich, wie das Hotel nicht ein Vermögen gekostet hatte. Mariella war wohl eben die Meisterin darin, gute Angebote zu finden.

Während ich so vor mich hin staunte, bemerkte ich garnicht, das Mariella bereits am Empfang stand und unsere Angelegenheiten regelte. Ich bemerkte erst, dass ich viel zu lange gestarrt hatte, als Mariella mir in die Seite knuffte. »Komm, lass uns gehen. Wir haben das Zimmer 115 im dritten Stock.«
»Oh, ja, ja klar. Lass uns gehen.« »Lift oder Treppe?« Ich grinste, »Lift, bitte.« Mariella grinste zurück, »Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.« Wir durchquerten die Lobby Richtung Lift, welcher bereits wie auf uns wartend offen stand. Als wir in diesem standen und auf Stockwerk Nummer drei drückten, schloss sich die gläserne Tür augenblicklich und der Aufzug setzte sich langsam in Bewegung.

Mein Blick fiel auf die Mitarbeiter an der Rezeption. Es waren vier Leute und jeder einzelne kümmerte sich bereits um neue Besucher. Schien wohl ein stressiger Job zu sein. Dann glitt mein Blick nach oben, langsam zogen Stockwerk eins und zwei an uns vorbei. Die Flure wirkten lang und als wir schließlich ausstiegen, bemerkte ich, dass sie auch ziemlich verwirrend waren. Die Gänge waren nämlich nicht gerade, sondern seltsam kurvig angelegt, weshalb man nicht direkt sagen konnte, wohin man nun eigentlich laufen musste. »Sollen wir einfach mal nach links laufen?«, fragte Mariella unsicher. Ich nickte.

»Richtig gewählt«, grinste Mariella, als wir kurz darauf tatsächlich an Zimmer Nummer 115 ankamen. Mit einer der beiden Schlüsselkarten, die sie unten an der Rezeption bekommen hatte, schloss sie die Tür auf. Die andere Karte stecke sie mir kurz darauf zu, ehe sie die Tür aufstieß.

Wir traten ein und ich musste etwas schmunzeln, als ich das Doppelbett wahrnahm. Dieses war auch nicht schwer zu übersehen, da es fast den gesamten Raum einnahm.
Links von dem Bett befand sich eine Fensterfront, während rechts die Wand komplett verspiegelt war. Selbst über dem Bett bemerkte ich einen Spiegel. Das Zimmer schien durch die klischeehafte Aufmachung regelrecht, „FICKT EUCH!", zu schreien.
Das schien auch Mariella zu bemerken. Denn sie räusperte sich, »Ehmm, nun gut. Im Internet sahen die Bilder von den Zimmern irgendwie anders aus. Aber ich beschwere mich nicht. Es sieht schließlich trotzdem klasse aus.« Peinlich berührt stellte sie ihre Tasche, worin sie ihr Gepäck lagerte ab. Ich tat es ihr gleich. »Ja, es ist wirklich hübsch hier.«
Erst jetzt nahm ich den Schrank neben der Tür wahr, in welchen ich keine Sekunde später meine Sachen verstaute. Dann sah ich mich ratlos in dem Zimmer um. »Aber wo ist eigentlich das Badezimmer?« Mariella, welche sich in der Zwischenzeit schon aufs Bett gepflanzt hatte, setzte sich sofort wieder auf, »Stimmt, du hast recht. Mir ist keine Extra-Tür aufgefallen.« Unschlüssig blickten wir uns um.

»Wow, haben die uns etwa über den Tisch gezogen?«, witzelte ich, was mit einem bösen Blick von Mariella kommentiert wurde.
»Ey, das ist nicht witzig!! Wenn wir uns nicht duschen können, riechen wir heute im Club wie Stinktiere.« Ich verdrehte die Augen, entgegnete aber nichts. Stattdessen lief ich die Wände ab. Es könnte schließlich sein, dass es eine versteckte Tür gab. Die Fensterfront ließ ich logischerweise aus. Stattdessen bewegte ich mich auf die Spiegelwand zu, denn mir war etwas dunkles in der Ecke aufgefallen.
Ein Griff. Ein kleiner schwarzer Griff. Energisch presste ich diesen hinunter und die Tür schwang auf. »Das hier ist wohl unser Badezimmer«, stolz deutete ich in den kleinen Raum hinein, welcher aus einer Toilette, einer Dusche und einem Waschbecken mit großen Spiegeln, sowie aus sorgfältig zusammengelegten Handtüchern bestand.
Mariella war zu mir herangetreten und blies die angestaute Luft aus. »Gott sei Dank.«

Schließlich fiel ihr Blick auf mich, »Und, wie ist es? Machen wir uns fertig? Oder gehen wir erst Abendessen? Wir haben gerade halb acht. Wie ist es dir lieber?« »Ich würde sagen, wir machen jetzt erstmal das Buffet unsicher und dann machen wir uns fertig. Es wäre blöd, wenn wir unser Make-up durch irgendwelche Essensflecken zerstören würden.«
Es war komisch das zu sagen. Ich hatte mich seit Monaten - nein -, seit Jahren nicht mehr geschminkt. Seitdem ich damals entführt wurde um genau zu sein. Nichtmal für die Arbeit im Café. Das lag wahrscheinlich einerseits daran, dass ich wohl so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich ziehen wollte. Andererseits erkennt man die wirklich wichtigen Dinge, wenn man solche Situationen wie ich durchlebt hat. Ich wusste schon garnicht mehr, wie ich geschminkt eigentlich aussah. Aber das erste Mal seit Jahren wollte ich eben das herausfinden.

Ich setzte mich kurz auf das riesige Bett, als aufeinmal Flashbacks aller schlechten Dinge in meinem Leben auf mich niederprasselten.
Meine Brust wurde eng, als ich an Hunter dachte. Ich war so eine schlechte Mutter.
Ich sah auf, als ich bemerkte, wie sich Mariellas Blick in meine Haut brannte.
»Du, Mariella? Denkst du, dass es wirklich okay für mich ist hier jetzt Spaß zu haben? Ich habe das Gefühl, das garnicht verdient zu haben.«

Die Augen der schwarzhaarigen weiteten sich fassungslos, dann kam sie mit schnellen Schritten auf mich zu und kniete sich vor mich.
Als sie meine Hände in ihre nahm äußerte sie schließlich ein energisches: »Natürlich hast du das verdient, Schatz. Du kannst dir nicht für immer die Schuld geben. Was passiert ist, ist passiert. Du kannst nur versuchen, die Zukunft besser zu gestalten.« Durch ihre Worte wurde mir warm ums Herz und tatsächlich konnte ich mich wieder etwas entspannen. Dies änderte sich jedoch, als Mariellas Blick ernster wurde. »Aber Rachel... wie kann es sein, dass du immernoch so denkst? Wie kann es sein, dass du immernoch solche Ängste und Panikattacken hast? Jetzt, nach bereits drei Jahren in Therapie?« Ich schluckte, »Das ist nicht so einfach... mal geht es mir besser, mal geht es mir schlechter. Mal habe ich solche negativen Gedanken, mal nicht. Aber ich glaube meine jetzige Verfassung wurde dadurch, dass May und Theo mich verlassen haben getriggert. Davor habe ich mich weniger schlecht als jetzt gefühlt.«
Mariella strich mir sanft eine dunkle Haarsträhne zurück, welche mir ins Gesicht gefallen war. »Du redest davon, dass es dir da weniger schlecht ging. Also immernoch nicht gut. Weißt du was ich glaube? Ich glaube, du solltest mal deinen Pyschologen wechseln, irgendwie scheint die Therapie bei dir ja nicht richtig anzuschlagen.« Ich wandte meinen Blick ab. Sie hatte recht. Ich war immernoch gefangen in der Vergangenheit und die Therapie schien mich nur wenig voran gebracht zu haben.
Ich räusperte mich, »Ich ehm... ich werde drüber nachdenken.«

»Super«, engegnete die schwarzhaarige und richtete sich auf, »dann hör jetzt mal auf Trübsal zu blasen, du bist ein wunderbarer Mensch und wir beide werden jetzt das geilste Wochenende unseres Lebens haben.«

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt