⊱Kapitel 38⊰

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Es vergehen Minuten, Stunden und Tage. Ganze acht Stück. Etwas mehr als eine Woche, die genauso trist war, wie die Tage zuvor. Die meine Gefühle genauso sehr verwirbelt haben, wie bereits zuvor. Acht ganze Tage, in denen ich Aiden zwar gezwungenermaßen begegnet bin, mit dem ich aber weder einen Blick und schon gar keine Worte gewechselt habe. Dafür gibt es auch keinen Grund mehr. Das Gespräch zwischen Ethan und ihm an jenem Nachmittag war deutlich genug. Mit der Zeit habe ich mich damit abgefunden, dass ich niemals eine vernünftige Erklärung bekommen werde. Dass das mit uns einfach vorbei ist. Vorbei, bevor es überhaupt richtig anfangen konnte. Das Schlimmste daran ist, dass ich Aiden vertraut habe. Dass ich ihm so viel erzählt habe. So viel von dem, was außer Alli niemand weiß. Was niemanden etwas angeht. Weil es einfach keine Rolle spielt. Hätte ich geahnt, dass Aiden genauso ein Idiot wie viele andere ist, hätte ich von Anfang an meinen Mund gehalten und wäre ihm brav aus dem Weg gegangen. Diese Begegnung zeigt mir eigentlich nur, dass man den Leuten eben doch nur bis vor die Stirn schauen kann. So lieb und emotional sie zunächst vielleicht auch sein mögen, manche entpuppen sich irgendwann eben als komplette Vollpfosten. Damit muss ich zurechtkommen. Umso schneller ich das akzeptiere und Aiden aus meinem Gedächtnis streiche, seine Berührungen und seine Worte, desto eher habe ich die Möglichkeiten mein gebrochenes Herz wieder zusammenwachsen zu lassen. Nach meiner anfänglichen Unsicherheit gelingt mir das AAP – Anti Aiden Programm - sogar ganz gut. Im Bus bleibe ich einfach im Gang stehen oder setzte mich neben willkürliche Schüler auf einen der wenigen freien Plätze. Den Klassenraum betrete ich so gut es geht als Letzte. So laufe ich keine Gefahr zufällig zur Tür zu schauen, wenn jemand sie durchquert und dabei in Aidens traurige Augen sehen zu müssen. In der Mittagspause setzten Josie und ich uns absichtlich an einen Tisch am anderen Ende der Cafeteria. Dafür bin ich meiner besten Freundin furchtbar dankbar. Auch Ethan gibt sein Bestes. Sieht er mich am Ende des Korridors, verschwindet er mit Aiden in die entgegengesetzte Richtung, kommt er auf unsere Dreiergruppe zu, geht Ethan ihm entgegen. Die Tribüne meide ich in der letzten Woche sehr konsequent. Das Footballtraining ist für mich tabu. Das Bild auf meiner Kommode habe ich bereits an demselben Nachmittag vor acht Tagen in zwei zerrissen und im Papierkorb entsorgt. Stundenlange Telefonate mit Allison und Anti-Aiden-Nachmittage mit Josie lenken mich immer wieder aufs Neue ab und tragen dazu bei, diese kurze Beziehung endgültig für gescheitert und Aiden für offiziell idiotisch zu erklären. Die Stunden, in denen ich mich in den Schlaf weine werden kürzer. Ich bin fest davon überzeugt bald ohne Gedanken an ihn einschlafen zu können. Der einzige Haken an der Sache ist es Aiden den ganzen Tag erfolgreich aus dem Weg zu gehen. Denn das klingt einfacher, als es am Ende ist. So wie jetzt.
»Lyn! Warte! Bitte!«
Die Augen verdrehend laufe ich den langen Schulflur entlang. Ich weiß genau, dass es Aiden ist, der versucht mein Gehör zu erlangen, aber da kann er lange warten. Eineinhalb Wochen lang wollte er mich nicht sehen, nicht hören und auch nicht sprechen. Da muss er auch jetzt nicht mit dem Gedanken spielen. Nicht jetzt, wo das Anti-Aiden-Programm so gut läuft. Jetzt, wo ich nicht wie, ob ich ihm mit meinem Rucksack einen überziehen soll oder ihm mit seinen Blicken am Ende sogar noch verzeihen würde. Also tue ich das einzig Richtige. Ich ignoriere ihn und versuche so schleunigst wie möglich davon zu kommen. Ich weiß genau wo er hin will. In einer knappen viertel Stunde beginnt sein Training, also steuere ich besser auf den Haupteingang zu. Doch natürlich ist Aiden schneller als ich. Ehe ich den Flur zum Ausgang erreichen kann steht er vor mir und versperrt mir den Weg. Seine Brust hebt und senkt sich viel zu schnell, die Verzweiflung steht ihm auf der Stirn geschrieben. Aiden ringt suchend nach Worten. 
»Lyn, bitte. Lass uns reden. Nur fünf Minuten. Ich, ich-« Weiter kommt er nicht, denn ich habe ihn längst unterbrochen. 
»Lass es Aiden. Ich will sowas nicht hören. Wenn du mich jetzt entschuldigst.« Meine Worte sollen stark und entschlossen wirken, doch stattdessen zittert meine Stimme so sehr, dass ich bete, dass Aiden es nicht bemerkt. 
Meine Abfuhr jedenfalls trifft ihn. Bis ins Mark. In dem Augenblick, in dem Moment, in dem die einzelnen Silben über meine Lippen kommen, zerbricht ihn ihm etwas. Vielleicht das Gleiche, dass bei mir schon längst geschehen ist. Eine Sekunde lang halten wir beide inne. Ich, weil ich selbst nicht weiß was ich gerade denken oder fühlen soll und Aiden, weil er meinem Blick ausweicht und ihn lieber auf den leeren Gang hinter mir richtet. Trotzdem macht er keine Anstalten sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, also werde ich selbst aktiv und gehe einfach an ihm vorbei. Lasse ihn genauso traurig und verwirrt zurück, wie er mich vor ein paar Tagen. Ein paar Flure weiter vor unseren Spinden. Mit schnellen Schritten eile ich nach draußen, um erst einmal richtig durchatmen zu können. So stickig die Mittagsluft auch ist, so gut tut sie mir in diesem Moment. Sie tut genauso gut, wie der kleine Spaziergang nach Hause, bei dem ich es tatsächlich schaffe die Gedanken von eben abzuschütteln. Aiden zu verdrängen und mich stattdessen auf einen gemütlichen Nachmittag auf unserer Veranda zu freuen.

too closeWhere stories live. Discover now