Wald der Finsternis

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Und mal wieder befinde ich mich mitten im Nirgendwo.
Leonie hatte die tolle Idee, dass wir wandern gehen sollten.

Nicht nur das, nein, wir gehen wildcampen.
Und das ist der Grund dafür, dass ich mich jetzt zusammen mit meiner besten Freundin irgendwo im Nirgendwo, abgeschottet von allem Lebendigen befinde.

Wo wir beim Thema sind:
Murrend erschlage ich den Moskito auf meiner Haut.
Leonie steht schräg hinter mir auf dem Pfad, welcher daraus besteht, dass er kaum vorhanden ist und die Bäume sich den größten Teil definitiv gelungen zurückerobert haben.

Die Karte, welche Leonie von diesem Wald gefunden hat, ist eben auch von ihrem Großvater.
Es ist ein Wunder, dass hier überhaupt irgendetwas existiert.

"Hey, Thalia!"
"Was ist los?"
Als ich mich zu Leonie umdrehe steht diese an einen Baum gelehnt, ihr gesamter Kopf ist rot wie eine Tomate und sie sieht einfach nur fertig aus.

"Ich hab keinen Bock mehr zu wandern.
Können wir nicht zurück gehen?"
Das ist jetzt nicht ihr Ernst oder?
Ich stehe hier, mit einem Rucksack, der gefühlt doppelt so schwer ist wie ich, nur weil sie diesen Plan umsetzen wollte, und kaum sind wir zwei Stunden unterwegs gibt sie auf?

Auf sie zugehend starre ich sie an, bevor ich kommentiere:
"Das hier war deine Schnapsidee Leo.
Leide unter den Konsequenzen.
Es sind doch sowieso nur noch höchstens zwei Stunden bis wir das Ziel erreichen.

Das ist wahrscheinlich sogar weniger als wir bis zum Auto brauchen würden.
Also komm jetzt, beweg deinen Hintern.
Bevor es dunkel wird hätte ich tatsächlich gerne alles aufgebaut."

Mit diesen Worten stapfe ich wieder vorne durch den Wald, schlage die Äste aus dem Weg, welche mir immer wieder im Gesicht hängen.
Ich hasse wandern.
Ich hasse zelten.
Wieso bin ich eigentlich hier?

Kopfschüttelnd fällt mein Blick auf das Mädchen zurück, welches mir in einigem Abstand folgt.
Leonie ist seit ungefähr sechs Monaten meine beste Freundin.
Wir beide haben uns in der Universität getroffen, Studiengang Psychologie.
Es war wie Liebe auf den ersten Blick - nur eben platonisch.

Und das ist der Grund, warum wir nun mitten um Wald umherstapfen.
Nach über zwei Stunden und mindestens zehn Pausen sind wir dann endlich da.

Angekommen auf der Lichtung, welche auf der Karte verzeichnet war.
Genau hier wollen wir unser Lager aufschlagen, genau hier werden wir das Zelt aufbauen.

Ich schnalle es zuerst von meinem Rucksack hinunter, bevor wir es zusammen auf dem Boden platzieren.
Glücklicherweise baut es sich wenigstens selbst auf, die Heringe jedoch müssen wir trotzdem in den Boden hauen.

Als wir damit fertig sind und auch unsere Sachen im Zelt verstaut haben zieht die Dämmerung über das Land.
Die Kälte kommt mit ihr zurück.
Relativ schnell entscheiden wir uns dafür, das Zelt heute Abend nicht mehr zu verlassen.

Stattdessen spielen wir eine Runde Uno.
"Vier ziehen.", rufe ich lachend, während Leonie mich nur perplex anstarrt.
Dies ist schon die vierte Runde, in welcher ich ihr den Sieg versaue.

"Ich habe keine Lust mehr Thalia.", murrt sie, während sie die Karten zurück auf den Stapel legt.
Wie immer habe ich gewonnen.
"Ich hätte noch etwas mit.", verrate ich zwinkernd, bevor ich zwei Shots aus meinem Rucksack herausziehe.

"Du bist die Beste."
Fröhlich stoßen wir an, lassen uns vom Alkohol von innen heraus wärmen.
Vielleicht war die Idee mit dem Zelten ja doch nicht so schlecht.

"Weißt du Leonie, ich bin echt froh dich kennengelernt zu haben.
Du bist wie die Schwester, welche ich nie hatte.
Und dafür bin ich sehr dankbar."
Leonie schaut mich kurz an, bevor sie wieder auf den Boden sieht.

"Weißt du, ich hatte eine sehr schwierige Kindheit Thalia.
Meine Eltern wurden getötet.
Aufgezogen wurde ich von meinem verrückten Großvater, der bis heute behauptet, dass dies das Werk von Vampiren ist.

Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass ich endlich jemanden gefunden habe der mich versteht."
Ihr Blick führt wieder zu mir, sie sieht mir in die Augen.

"Ich möchte kein Mitleid von dir.
Ich will dir damit nur sagen, dass ich dir dankbar bin."
Kommentarlos beuge ich mich nach vorne, schließe meine Arme um sie.
"Ich habe dich lieb.", flüstere ich dann leise.

Der Schrei eines Mannes lässt uns schließlich zusammenzucken.
"Bleib hier.", sage ich zu Leonie, sehe sie warnend an.
Egal was ihn angegriffen hatte, ich bezweife, dass sie es überleben würde, wenn sie jetzt hinausgehen würde.
Natürlich hört wie immer niemand auf mich.

Leonie öffnet den Reißverschluss des Zeltes, verlässt den Raum.
Ihr dämlicher Helferkomplex sollte einfach mal fünf Minuten verstummen.
Fluchend erhebe ich mich aus der Ecke, in welcher ich saß, und laufe meiner besten Freundin nach.

Ihr Schrei aus Schock weist mir ziemlich schnell den Weg.
Im Wald liegt ein Mann, vielleicht mittelalt, mit einem Wanderrucksack.
Die Stöcke, welche er wahrscheinlich auch für seine Wanderung benutzt hat, liegen einige Meter entfernt.

Dies ist jedoch nicht das verstörende.
Die verstörende Tatsache ist der Punkt, dass am Hals des Mannes ein Mädchen hockt.
Und ihre Zähne sind in seine Halsschlagader gebohrt.

Das Schreien von Leonie hat sie von ihrem Opfer abgelenkt, langsam kommt sie auf uns zu, lässt den Wanderer liegen.
"Noch mehr Essen für mich."
Ihre roten Augen leuchten auf, während sie sich über ihre blutverschmierten Lippen leckt.

Ich fühle mich wie vereist, habe das Gefühl, dass ich mich nicht bewegen kann.
Leonie scheint es genauso zu gehen.
Das fremde Mädchen läuft auf Leonie zu, aber in dem Moment, in welchem sie dort ankommt, löst Leonie sich aus ihrer Starre.

Verdutzt schaut die Vampirin ihr hinterher, bis sie die Verfolgung aufnimmt.
Die beiden verschwinden aus meinem Sichtfeld, ich achte wieder auf die Leiche.
Meine Schritte führen mich langsam darauf zu, ich knie mich vor dem Mann nieder.

Er hat nur die Wunde am Hals, nichts weiter.
Trotzdem war dies genug um ihn zu töten.
"Geh weg von meiner Beute.", ertönt plötzlich ein Knurren hinter mir.
Der Vampir ist wieder da, Leonie im Schlepptau.

Ihr Genick sieht gebrochen aus.
Ich registriere dieses Detail, als ich mich hinstelle.
Als sie dann ohne Beschwerde ihrerseits auf den Boden geworfen wird bin ich mir sicher.

Die Vampirin jedoch kommt auf mich zu.
"Jetzt bist du wohl dran Kleine."
Ich renne nicht weg, bleibe einfach stehen.
"Es macht aber keinen Spaß wenn du keine Angst hast.", schmollend grinst sie mich an, zeigt mir ihre spitzen Zähne.

Als sie eine Armlänge von mir entfernt ist greife ich ihren Hals, zwinge sie dazu, stehen zu bleiben, da ich sonst meine Nägel in ihre Haut bohre.
"Was denkst du wer du bist?"

Lachend sieht das Vampirmädchen mich an, das Lachen vergeht jedoch ziemlich schnell wieder, als sie realisiert, dass sie sich nicht aus meinem Griff lösen kann.
"Wieso?", ihre Stimme ist nur ein Hauch.

"Du kommst mir bekannt vor.
Unterer Adel, richtig?", ich lächle.
"Wer bist du?", plötzlich sieht sie nicht mehr so stark aus, scheint tatsächlich Angst um ihr Leben zu entwickeln.
Wobei, das sollte sie auch.

"Vor allem bin ich auf einer Mission.
Aber die hast du ja leider umgebracht.", füge ich mit einem Blick auf den toten Körper von Leonie hinzu.
"Wer zur Hölle bist du?", ihre Stimme ist von Panik und Wut verzerrt.
Die Finger der Vampirin versuchen, meinen Arm zu zerfetzen, ich halte sie jedoch mit einem Blick in ihre Augen davon ab.

"An deiner Stelle, Sophie, würde ich das lassen."
Kaum erkennt sie meine jetzige Augenfarbe erstarrt das Mädchen zu Eis, ihre Augen sind auf den Boden gerichtet, ihre Haltung ist in wenigen Sekunden schwach und klein geworden.

"P-Prinzessin.", flüstert sie leise.
Mit ein wenig Gewalt werfe ich sie gegen den Baum, hinter welchem der Mann liegt, und laufe dann zu ihr.
Sie weiß, dass wegrennen sinnlos ist.
Ich knie mich neben die Gestalt, welche durch den Aufprall auf dem Schädel ein wenig benommen ist.

Leise flüsternd berichtige ich sie: "Königin."

Nur Augenblicke später sind es meine Zähne, welche den Hals der Vampirin säumen.

|1310 Wörter|

|Wildnis, Zelten, Wanderer, Vampir|

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