Kapitel 1.7 - Luke

49 21 0
                                    

Lukes POV



Schatten tanzten an den Wänden. Die Laternen die entzündet waren und die vielen Kerzen erleuchteten die Kapitänskajüte immerhin genug, damit sie nicht über irgendein Hindernis am Boden stolperte und auf die Nase fiel. Wenn sie sich das hier so ansah - allein die wenigen Augenblicke die sie dafür besaß - verstand sie durchaus, dass die Verlorenen sich Hooks Bande immer wieder als Ziel aussuchten: An Prunk und Wert übertraf vermutlich allein diese Kajüte viele 'Schätze' im Lager der Verlorenen um Weiten.


Andererseits war es für die Verlorenen wirklich nie mehr als ein Spiel. Es ging ihnen nicht darum, wirklichen Wert anzuhäufen oder das Wertvollste zu stehlen, dass Hook besaß. Sie hatte Stapel von Goldmünzen und Schätzen herumfahren sehen, ohne dass es jemand beachtete. In vielen Ecken des Baumes lagen Gold-, Silber und Kupfermünzen verschiedener Jahrhunderte neben schimmernden Edelsteinen. Rubine, matt oder wie gefangenes Feuer, Diamanten, Amethyste, Perlenketten oder ganze Schmuckstücke. Im Hangman's-Tree fanden sich viele Nischen, Aushöhlungen zwischen Wurzeln oder Kuhlen die in Erdwände eingegraben worden waren, auf denen Tand sich stapelte, teilweise wirkte es einfach hineingeworfen.
Viele Sachen hatten die Verlorenen irgendwann einmal als Beute erlangt. Bei den Piraten, Indianern oder der Seestadt gestohlen, bei einem Überfall erbeutet, von einem besiegten Piraten genommen oder auch in Neverland gefunden. Für die Verlorenen war manchmal der kleinste, unscheinbarste Tand ein Schatz, während das ach so begehrte Gold der Piraten wahllos in dem Baum zerstreut lag, als wäre es nicht mehr wert als ein Kieselstein. In der Hauptkammer stapelten sich hinter Peters 'Thron' aus einem mühevoll verzierten Baumstumpf wie für einen Feenprinzen zahlreiche Hügel aus Gold, Ketten, Kisten, Kleidungsstücken und Waffen. Besonders schöne Dinge, die sie meistens Hook gestohlen hatten. Manchmal rannten die kleineren Jungen umher, bekämpften sich damit und warfen es dann wieder achtlos beiseite. Wert... nun, jeder maß das etwas anderem zu. Ein Schatz war nicht immer gleich ein Schatz.


In den Wäldern und in dem Leben das sie dort führten, war Gold und solcher 'Tand' den Verlorenen nichts wert -außer dem Abenteuer, die der Überfall auf die Piraten oder Eingeborenen an sich bedeutete. Zumindest den meisten von ihnen. Es ging einfach nur um das Stehlen, das Abenteuer an sich. Den Piraten etwas zu nehmen, dass sie vorher jemand anderem geraubt hatten oder ihnen einfach persönlich etwas bedeutete.


So wie den Roten Mantel von Captain Hook, huh?


Unruhig flatterte ihr Blick umher. Immer wieder fort von der hochgewachsenen Gestalt vor ihr, einen Ausweg suchend, dann schnell wieder zurück. Sie konnte es sich nicht leisten, eine Bewegung zu verpassen, die ihren Tod bedeuten könnte. Draußen schienen die Kampflaute immer wieder abzuebben, dann wieder anzusteigen wie Wellen, die zurückrollten- nur um dann erneut mit Anlauf in die Brandung zu preschen. Sie hörte hölzernes Rumpeln- vermutlich hatte einer der Jungs die gestapelten und mit einem Netz befestigten Fässer an Deck losgeschnitten, von denen die Späher berichtet hatten. Kurz verstummten die Schüsse, draußen erklang Gelächter- und dann zorniges, lautes Brüllen. Verdammt und zugenäht- wann würde ihr verfluchter Bruder endlich bemerken, dass sie viel zu lange brauchte?! Sie konnte schwer um Hilfe rufen. Sie musste nicht weiter als bis drei zählen können, um zu wissen, dass schon nachdem sie zu einem Ruf ansetzte, ihr Hals mit Blut geschwemmt werden würde. Ihr Kiefer spannte ein wenig, während sich die Lippen zu einem schmaleren Strich formten und sie sich von innen leicht in die Wange biss.


Hook schwieg zu lange und schien auf ihre Worte nicht einzusteigen. Was hatte sie erwartet? Humor bei dem Piraten, dessen Name alle Verlorenen nur voller Abscheu, Hass oder Furcht aussprachen? Dass sie ihn mit einer so einfachen Taktik wie der, Zeit zu schinden, einfach aufs Glatteis führen konnte? In London war es ein Kinderspiel. Die meisten der Rattenkönige waren derart arrogant gegenüber Schwächeren, vor allem den Straßenkötern das sie sich immer gerne dazu herabließen, ihren ach so überlegenen Stand zu demonstrieren. Und jene Arroganz machte es leichter. Unterhaltungen konnte man lenken, provozieren, aus Mimik und Wortlauten lesen und seinen Gegenüber bemessen. Menschen widersprachen lieber, als Informationen einfach Preis zu geben und verplapperten sich schnell im Zorn. Hook aber... besaß eine eisige, feste Aura, die einem in die Finger stach, sobald man sie neugierig ausstreckte. Sie konnte diesen Mann nicht einschätzen. Und das machte sie zu ihrem eh bereits stolpernden Herzschlag noch nervöser.

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now